G 20 der Verlogenheit
Erstellt von DL-Redaktion am Donnerstag 27. Juli 2017
Der Gipfel der Verlogenheit
von Robert Misik
Erst der Krawall auf der Straße, dann die Krawalldebatte. Ist das noch ein politischer Diskurs?
Militanz ist heute eine Bildsprache. Alles, was sie produziert, sind eindrucksvolle Bilder. Sie unterscheidet sich darin von der Werbung nicht signifikant. Das vielleicht definierende Bild der Hamburger Chaostage war daher die simultane Fernsehübertragung der Randale, während die Staatenlenker in der Elbphilharmonie Beethovens 9. Symphonie hörten. Übertragen auch noch mit Split-Screen. Links die Realität in den Straßen, rechts die abgeschotteten Polit-Eliten in ihrer Pseudowirklichkeit. Wenn die autonome Randale einen Zweck verfolgt haben sollte, dann kann es nur die Produktion eines solchen Bildes sein.
Die Bild-Zeitung griff später genau diese Bildsprache auf und produzierte einen Zwei-Minuten-Clip, der schicke Randale-Bilder und den Konvent der G-20-Mächtigen gegeneinander schnitt, unterlegt mit der Musik aus der Elbphilharmonie. Es wird wohl unbeabsichtigt gewesen sein, aber am Ende sah der Springer-Film aus wie ein Werbeclip des Schwarzen Blocks.
Wenn die Bildproduktion die Wirklichkeitsproduktion ist, dann ist es auch nahezu irrelevant, wo randaliert wird, da eben die Randale nur mehr der Maßgabe der Werbung folgt und nicht einmal mehr am Rande der früheren „militärischen“ Logik. Keiner will mehr ein Winterpalais stürmen. Ja, nicht einmal die Außengrenzen der Sperrzonen, die Zäune, hinter denen sich die Mächtigen versammelten, sind Anziehungsorte. Der Ort der Macht ist völlig irrelevant geworden. Das war noch vor zehn Jahren in Heiligendamm anders, als es gegen den Zaun ging, und bei den Gipfeln davor, als gegen die Rote Zone, die verbotenen Areale, angerannt wurde.
Alle hyperventilieren jetzt, und in solchen Fälle gilt: Was man sagt, ist falsch und den eigenen Emotionen muss man misstrauen. Die Gewaltorgie heimischer und angereister Militanter ist dumm, und sie ist mehr als das, sie ist natürlich ein Verbrechen. Im engeren Sinne: Jeder Stein auf einen Menschen ist, solange es keine verdammt gute Begründung dafür gibt, ein Anschlag auf die gesundheitliche Integrität, wenn nicht gar das Leben einer Person – und irgendwelcher Leute Auto anzuzünden ist kein Akt der Revolte, sondern die Schädigung Unbekannter, auf deren Haben-Seite kein sichtbarer Vorteil für die Sache des Guten zu erkennen ist.
In einer Diktatur oder wenn es um Notwehr gegen ein autoritäres Regime geht, mag diese Rechnung anders aussehen, und auch in einer gesellschaftlichen Situation, in der mit militantem Druck politische Kräfteverhältnisse verändert werden können. Aber nicht hier, nicht jetzt. Und sowieso sollte man solche Rechnungen nur mit spitzen Fingern anstellen, da sie immer eine Büchse der Pandora öffnen – mit ihnen ist, in letzter Konsequenz, alles zu rechtfertigen. Von der Guillotine bis zum Genickschuss und zum Gulag.
Die Militanz richtet sich nicht nur gegen Polizei und Herrschende, sie nimmt auch alle anderen in Geiselhaft. Die Mitdemonstranten, die man dazu zwingt, entweder an einer Gewalt-Demo teilzunehmen oder das Protestieren sein zu lassen. Und alle anderen Aktivisten, deren Engagement verunmöglicht wird. Ganz zu schweigen von den Stadtbewohnern, deren Bewegungsfreiheit man einschränkt und deren Viertel man zerlegt. Das ist das Verlogene an den gewohnten Sprachübungen der Autonomen-Sympathisanten, dass die Militanz als Aktionsform eben „auch“ ihren Platz haben müsse: Die Militanten pflegen sich um den Platz der anderen üblicherweise nicht sonderlich zu scheren.
Das Stockholmsyndrom
Quelle : Der Freitag >>>>> weiterlesen
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