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Fusel der Freiheit

Erstellt von Redaktion am Mittwoch 18. Februar 2015

Schlagloch Meinungsfreiheit

File:Je suis Charlie, Kongens Nytorv, Copenhagen 9 January 2015 (12).jpg

SCHLAGLOCH VON CHARLOTTE WIEDEMANN

Über trunkene Medien und den Blutzoll des weißen Mannes: Nach Paris war „Je suis Charlie“ in aller Munde. Nach Kopenhagen ist das nicht so.

Die Trunkenheit verebbt nun allmählich, jener seltsame Rauschzustand, der sich nach den Attentaten in Paris unter den westlichen Meinungs- und Medienmachern verbreitete. Es waren Tage ungenierter Selbstbedienung. „Je suis Charlie“ lallend, durfte sich jeder Hochprozentiges genehmigen, den Meinungsfreiheitsfusel, der kostenlos an allen Ecken ausgeschenkt wurde. Betrunkene überschätzen bekanntlich ihre Kräfte, sie halten sich für stark, schön, scharfsinnig und begehrenswert – sie fühlen sich als Helden und genießen die Bewunderung in den Augen ihrer Mitzecher.

So sonnten sich Chefredakteure, TV-Moderatoren, Kolumnisten kollektiv im Glanze ihrer Courage, standen auf Barrikaden, gezimmert aus purem Edelmut. Würde nicht ein jeder sein Letztes geben, um das freie Wort zu verteidigen, den freien Gedanken?!

 „Je suis Charlie!“ im Iran

Nach Kopenhagen ist es stiller geworden. Womöglich hat der eine oder andere Held bemerkt, wie theoretisch die eigene Courage war. Denn es braucht wenig Mund, in einen Schrei einzustimmen, den viele Münder um den Schreienden herum im selben Moment ausstoßen. Genau der gleiche Schrei kann indes eine ganz andere Qualität haben, wenn die Umgebung stumm ist oder missgünstig.

Als der junge Twitter-Redakteur der iranischen Reformzeitung Shargh wenige Stunden nach dem Pariser Attentat ein Selfie mit „Je suis Charlie“ versandte, dachte ich: Chapeau! Der junge Mann gefährdete sich selbst und seine Zeitung. Es war ein Akt der Furchtlosigkeit gegenüber der eigenen Staatsmacht. Danach wusste ich, dass ich mir das Charlie-Logo nicht zu eigen machen würde; es kam mir falsch und billig vor, in meiner Situation.

Wider dem intellektuellen Konformismus

Sich in einer Atmosphäre, die von Agnostizismus und latenter Islamophobie geprägt bist, gegen die Ermordung antiislamischer Karikaturisten zu stellen, ist beschämend einfach. Gleiches in der Islamischen Republik zu tun, hat eine völlig andere Qualität. Doch kaum jemand nahm Notiz von dem jungen Iraner. Der Titel seiner Zeitung bedeutet übrigens „Osten“. Meinungsfreiheit ist auch ein östlicher Wert, ebenso wie ein südlicher. Die wahren Helden leben dort, wo der Freiheitsfusel nicht kostenlos ist und wo es nicht einmal die Chance gibt, intellektuellen Konformismus als Wagemut zu kostümieren.

Die Attitüde, universelle Werte zu verteidigen, verhüllt in diesen Tagen nur notdürftig die Selbstgerechtigkeit, mit der wir auf den kulturellen Zustand im Rest der Welt blicken. Als würde der Westen, als würde der weiße Mann den höchsten Blutzoll für die Freiheit leisten. Dem ist mitnichten so. Man braucht dazu nur auf die jüngste Liste von Reporter ohne Grenzen zu blicken, mit den Toten des vergangenen Jahres. Man sieht dort übrigens auch viele muslimische Namen.

Und die Morde von Paris und Kopenhagen haben nichts an diesem Befund geändert: Die übergroße Mehrzahl der Opfer des Terrors sind Muslime. Monat für Monat bestätigen dies sämtliche Statistiken, wie auch am Tag der Paris-Attentate die Zahl der Toten in Nigeria hundertfach höher war. Ungezählte Leichen, jenseits aller Breaking News. Nichtweiße Leichen.

Entsetzen und Trauer

 

Quelle: TAZ >>>>> weiterlesen

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Grafikquelle     :       Copenhagen rally in support of the victims of the 2015 Charlie Hebdo shooting‎.

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