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„Für Werte werben“

Erstellt von DL-Redaktion am Donnerstag 2. Dezember 2021

Designierte Außenministerin Baerbock

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Achtung – das ist nicht das Kölner-Dreigestirn

Interview von Jasmin Kalarickal, Felix Lee und Tobias Schulze

Die künftige Außenministerin Annalena Baerbock über grüne Personalquerelen, schwierige Koalitionskompromisse und den außenpolitischen Klimawandel.

taz: Frau Baerbock, die Ampelkoalition war in den letzten Wochen sehr um Harmonie bemüht. Nun gab es ausgerechnet bei den Grünen parteiinternes Gerangel bei der Vergabe der Ministerposten. Warum war das so schwierig?

Annalena Baerbock: Personalentscheidungen sind immer schwierig, wenn man viele kluge Köpfe hat, aber nur eine begrenzte Anzahl von Ressorts. Das sind mit die schwersten Momente in einer Partei. Wir haben ein starkes, kompetentes Team für die Regierung aufgestellt, das viel mitbringt: verschiedene Generationen, Ost und West, Männer und Frauen und Menschen mit Migrationsbiografie.

Im Endeffekt bekommt Cem Özdemir, der außenpolitisch versiert ist, das Landwirtschaftsministerium. Und Anton Hofreiter, der dafür besser qualifiziert gewesen wäre, geht leer aus. Heißt das: Quote schlägt Kompetenz?

Ganz und gar nicht. Wir setzen auf alle klugen Köpfe. Dazu wird auch Toni Hofreiter gehören. Damit diese Koalition gut funktioniert, braucht es auch starke Leute im Parlament. Gemeinsam entfalten wir am meisten Stärke. Was die Landwirtschaftspolitik betrifft: Cem Özdemir hat sich immer die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie auf die Fahnen geschrieben, dafür ist Landwirtschaft ein Schlüsselressort.

Die Fundis fühlen sich jetzt übergangen – droht die Rückkehr des Flügelstreits?

Nein. Es hat geruckelt, solche Momente gibt es immer wieder im Leben – auch im Parteileben. Aus den vergangenen Jahren wissen wir zugleich, wie stark wir sind, wenn wir geschlossen als Partei agieren. Das werden wir jetzt in die Regierung tragen. Und allein schon angesichts der Pandemie ist wichtig, dass diese jetzt sehr zügig gebildet wird und ihre Arbeit aufnimmt.

Gibt es schon eine Idee, welchen Posten Anton Hofreiter übernehmen kann?

Er wird im Bundestag eine starke Rolle spielen.

Am 6. Dezember endet die Urabstimmung über den Koalitionsvertrag. Wie zuversichtlich sind Sie?

Voll und ganz. In zentralen Bereichen wie Klimaschutz, Familien- und Gesellschaftspolitik, europäische Außenpolitik oder Digitalisierung steckt ein wirklicher Paradigmenwechsel. Auf den 177 Seiten gibt es auch viele Punkte, die auf den ersten Blick klein erscheinen, die für manche aber das Leben verändern.

Zum Beispiel wenn ein Kind in eine Familie mit zwei Müttern hineingeboren wird: Zukünftig werden beide Mütter endlich auch automatisch als Mütter anerkannt. Familien, die hier seit Jahren leben, bislang aber nur geduldet sind, bekommen endlich die Sicherheit, dass ihre Kinder, die hier geboren sind und zur Schule gehen, auch in Zukunft bleiben können. Oder die Abschaffung des Paragrafen 219 a – wie viele Jahre haben wir Frauen dafür gekämpft. Damit kommt das Land auf die Höhe der gesellschaftlichen Wirklichkeit.

Es bleiben dennoch strittige Punkte. Hartz IV heißt bald Bürgergeld – aber zur Höhe der Regelsätze steht nichts im Koalitionsvertrag.

Stimmt, aber auch bei der sozialen Grundsicherung ändert sich einiges. Wir stellen die Würde der Menschen in den Mittelpunkt und stärken die individuelle Unterstützung. Statt vor allem zu sanktionieren, wird aktiviert. Menschen, die eine Weiterbildung machen oder an anderen Fördermaßnahmen teilnehmen, bekommen zusätzlich einen Bonus in Höhe von bis zu 150 Euro im Monat.

Auswärtiges Amt Berlin 2007 043.jpg

An Sanktionen hält die Ampel trotzdem fest. Gab es da große Auseinandersetzungen in den Koalitionsverhandlungen?

Bei der Frage, wie wir das Hartz-IV-System weiterentwickeln, gab es natürlich unterschiedliche Auffassungen. Das hat man ja bereits in den Wahlprogrammen gesehen. Und bei drei Parteien am Tisch konnte sich niemand bei allem zu hundert Prozent durchsetzen. Wir wollten trotzdem nicht nur kleinste gemeinsame Kompromisse machen, sondern einen neuen Weg wagen.

Das tun wir jetzt mit dem Bürgergeld und den Weiterbildungsmöglichkeiten. Und zugleich gibt es ein Sanktionsmoratorium: Bis zu ihrer gesetzlichen Neuregelung setzen wir die Sanktionen unter das Existenzminimum aus. Das heißt, wir werden Sanktionen einschränken und so den Kulturwandel in den Jobcentern verstärken. Man hat ja schon in der Coronapandemie gesehen, dass es sinnvoll ist, Sanktionen zurückzunehmen. Wichtig ist mir auch, dass in Zukunft die Kosten der Unterkunft von Sanktionen ausgenommen werden und wir die verschärften Sanktionen für junge Menschen unter 25 Jahre abschaffen.

Mit der Kindergrundsicherung sollen bisherige Leistungen gebündelt werden. Wie hoch wird sie ausfallen und bis wann kommt sie?

Die Kindergrundsicherung ist für mich eines der zentralen Projekte der nächsten Regierung. Kinder werden nicht mehr wie kleine Erwachsene behandelt und Familien und Kinder nicht mehr wie Bittsteller an den Staat. Stattdessen hat der Staat nun die Verantwortung, alles dafür zu tun, die Jüngsten aus der Armut herauszuholen. Zugleich unterstützen wir durch die Bündelung und automatische Auszahlung bisheriger Familienleistungen.

Gerade Alleinerziehende, die arbeiten und trotzdem mit ihren Kindern in Armut leben, auch weil sie oft gar keine Zeit und Kraft haben, ständig zig Anträge auszufüllen. Die automatische Auszahlung ist eine kleine Kulturrevolution, die wir da im Sozialversicherungssystem angehen. Sie wird daher sicher ein bisschen brauchen. Für den Übergang werden wir einen Sofortzuschlag für Kinder in Armut auszahlen.

Und die Höhe der Kindergrundsicherung?

Es wird für jedes Kind einen Garantiebetrag geben, der über dem derzeitigen Kindergeld liegen wird. Für die, die mehr Unterstützung brauchen, weil das Einkommen der Eltern nicht reicht, werden wir das Existenzminimum neu berechnen, damit Kinder und Jugendliche entsprechend ihrem Alter am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Auf der Grundlage dieser Neuberechnung wird dann auch die Höhe der Kindergrundsicherung stehen. Außerdem können Jugendliche, deren Eltern im Harz-IV-Bezug sind, künftig endlich ihr im Ferienjob verdientes Geld komplett behalten.

Kommen wir zur Außenpolitik. Im Koalitionsvertrag kündigen Sie eine „Klima-Außenpolitik“ an. Was genau verstehen Sie darunter?

Ich verstehe Außenpolitik als Weltinnenpolitik: Krisen wirken über Grenzen hinweg. Sie können nur global und kooperativ bewältigt werden. Und die größte globale Krise ist die Klimakrise. Um als Weltgemeinschaft überhaupt noch auf den 1,5-Grad-Pfad kommen zu können, brauchen wir nicht nur massive Technologiesprünge, sondern auch einen Technologietransfer.

Es reicht also nicht mehr, darauf zu schauen, dass jedes Land seine eigenen Klimaziele angeht, sondern wir müssen endlich unsere Kräfte bündeln. Ja, wir brauchen die großen Klimakonferenzen als Rahmen, aber genauso brauchen wir mehr Länder, die zeigen, dass eine klimaneutrale Wirtschaft Wohlstand sichert und die anderen Ländern die Hand reichen. Dafür sehe ich die Industriestaaten in der Pflicht. Schließlich haben wir in den letzten 100 Jahren der Welt diese Klimakrise eingebrockt.

Was konkret wird Ihre Rolle als Außenministerin dabei sein?

Im nächsten Jahr übernimmt Deutschland die G7-Präsidentschaft. Ich möchte, dass sie zur Startrampe für Klimapartnerschaften und einen für alle Staaten offenen Klimaclub wird. So wie wir vor 20 Jahren mit dem EEG die Energiewende in die Welt exportiert haben, können wir jetzt wieder voranschreiten und zum Vorreiter und vor allem Partner für klimaneutrales Wirtschaften werden.

Bei den Klimapartnerschaften dürfte es auch um die Finanzierung gehen. Das Entwicklungs- und das Finanzministerium haben die Grünen aber nicht bekommen. Haben Sie denn FDP und SPD bei diesem Vorhaben mit an Bord?

Ja. Die Pariser Klimaziele sind die Grundlage unseres gemeinsamen Koalitionsvertrages und damit auch für alle Ressorts. Um sie zu erreichen, brauchen wir massive Investitionen in Klimainfrastruktur. National wie international. Klimainvestitionen sind zugleich die Chance zur Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit.

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Hinter Gitter und Tore – da werkeln Sie, als Thore.

Wie werden Sie denn als Außenministerin mit Ländern umgehen, die bei den Klimaverhandlungen eher blockieren?

Die Idee des Klimaclubs und auch der Klimapartnerschaften ist ja gerade, sich weniger mit den Blockierern zu beschäftigen, sondern sich stattdessen mit den Vorreitern zusammenzutun. Ein globaler CO2-Preis zum Beispiel ist eine schöne Idee, aber eben auch eine gute Ausrede. Denn bis alle 190 Staaten dazu bereit sind, ist es wohl zu spät. Statt abzuwarten, möchte ich daher dafür werben, dass sich die Länder zusammentun, die ihre Industrie klimaneutral umbauen. Gemeinsame Standards und Leitplanken verhindern zugleich mögliche Wettbewerbsnachteile für Industriestandorte.

Unsere über 220 deutschen Auslandsvertretungen können dafür wichtige Klimabotschaften sein und auch zur Intensivierung des Technologietransfers beitragen. Klimapolitik ist dabei nicht nur moderne Wirtschafts-, sondern auch Sicherheitspolitik. In den vergangenen Jahren haben wir erlebt, wie die Folgen des Klimawandels Konflikte um Ressourcen wie Land oder Wasser verschärft haben. Wir erleben auch, dass fossile Energieabhängigkeit und Energieimporte als außenpolitisches Druckmittel und damit auch zur Destabilisierung eingesetzt werden können. Das dürfen wir nicht vergessen. Nicht ohne Grund gibt es diesen massiven Streit um die Gaspipeline Nord Stream 2.

Nord Stream 2 taucht im Koalitionsvertrag gar nicht auf.

Quelle       :           TAZ-online           >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —     Protest von FridaysForFuture und Anderen, sowie Ankunft der Verhandlungsteilnehmenden an der Messe Berlin zum letzten Tag der Sondierungsgespräche für eine Ampelkoalition.

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