Freundlichkeit + Bürgernähe
Erstellt von Redaktion am Samstag 31. August 2019
Wir brauchen keine Werbung – unser Produkt spricht für sich
Wir präsentieren – für Zuschauer ist Platz auf dem Heuboden !
Haben wir die VersagerInnen falsch verstanden ? Wer ist das Volk ?
Eine Betrachtung von Stefan Weinert
Über die Bürgerfreundlichkeit und Bürgernähe
Die Begriffe „Bürgerfreundlichkeit“ und „Bürgernähe“ werden oft synonym gebraucht, sind aber nicht dasselbe und auch nicht das gleiche, korrelieren aber entweder positiv oder negativ miteinander und mit der Realität (der wirklichen Welt) oft gegeneinander. Was beide allerdings gemeinsam haben, ist ihre horrende Entwertung und ihr damit inflationärer Gebrauch bis hin zum (in Bezug auf die Realität) Korrelationsfaktor von „minus 1,0“ (-1,0). Man sieht das allein schon daran, dass die briefliche Grußformel „Mit freundlichenGrüßen“ selbst dem ärgsten Feind gegenüber unter ein Schreiben und/oder E-Mail gesetzt wird, weil dies die westlichen gesellschaftlichen Konventionen so fordern und man sich auch nicht angreifbar machen will. Immer die Contenance bewahren, heißt die Devise.
Grammatikalisch gesehen ergibt die Zusammenführung eines Substantivs mit dem Suffix „lich“ ein Adjektiv. Es besagt damit die vom Substantiv übernommene Eigenschaft eines Gegenstandes, eines Tieres, einer Pflanze und eines Menschen. „Freundlich“ verheißt nichts anderes als die Tatsache, dass ein mit diesem Adjektiv behafteter Mensch, den Mitmenschen gleich wie einen Freund behandelt. Es meint nicht, dass der besagte Mitmensch (Nachbar, Arbeitskollege, Untergebener, Eltern, Kinder, Bittsteller, Bürger …) ein Freund ist, also zum Freundeskreis gehört, aber er/sie/es (dito) werden gleich so behandelt. Jedenfalls in der Welt der Linguistik, Semantik und der Lexikologie. Aber wie gesagt: dieses Lexem ist zur hohlen, wenn nicht sogar zur sarkastisch, zynischen oder ironischen Phrase geworden – je nach dem.
Ähnlich verhält es sich mit dem Wort „Bürgernähe“, das nüchtern und sachlich betrachtet gleich zwei Deutungen zulässt. Zum einen lä sst jemand (hier der Behördenmitarbeiter/in und oder Behördenchef) den Bürger nahe (dicht, räumlich und zeitlich wenig entfernt) an sich heran (Kommstruktur), so dass man/frau ihnen bei der Arbeit quasi „über die Schulter“ schauen kann – er/sie also nichts zu verbergen hat – oder er/sie machen sich selbst auf den Weg (tatsächlich, im Internet und im übertragenen Sinn), um dem Bürger/in entsprechend auf seinem/ihrem eigenen Terrain mit deren Heimrecht zu begegnen (Gehstruktur, Gast sein). Aufgrund aber der auch hier nicht zu verdrängenden und zu verleugnenden Wirklichkeit – vor allem in den Kommunen; bei weitem nicht allen, aber doch bei genug von ihnen – mit den Milchglasscheiben, der Fehlenden Transparenz, der Ignoranz, dem Hoheitsdenken und der anorganischen Erweiterung des Podex (feste Verwachsenheit mit dem Amtssessel), ist der Begriff „Bürgernähe“ in seiner Realitätskorrelation einzustufen wie die „Bürgerfreundlichkeit“.
Psychologisch gesehen besteht eine gegensätzliche Korrelation zwischen den öffentlichen Äußerungen von Behörden, sie seien“bürgerfreundlich“ und auch „bürgernah“ auf der einen Seite, und der Realität auf der anderen Seite. Je mehr nämlich diese beiden Begriffe von Behörden- und Amtsleitern, von ihren Pressesprechern oder Mitarbeitern nach außen hin auch über dauernde Zeitungsberichte zu diesem Thema bemüht werden, desto weniger sind sie in der Realität wiederzufinden. Nach dem Motto „Wir brauchen keine Werbung – unser Produkt spricht für sich“, und die damit einhergehende Fokussierung auf die eigenen Ressourcen, auf die eigene interne Entwicklung (Mitarbeiterfreundlichkeit, Mitarbeiternähe) und Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger [anstatt der genannten Slogans und dem ganze Drumherum, auf die man verzichtet], ist dies wohl die beste Marketingstrategie, die eine Kommune oder Behörde haben könnte.Je mehr diese es aber nötig haben, stereotyp auf ihre „Bürgernähe und Bürgerfreundlichkeit“ hinzuweisen, desto mehr muss dem Außenstehenden klar sein, dass es sich hier lediglich um eine Wunschidee und nicht um ein Faktum handelt, von dem der Bürger profitieren könnte (Soll-Modell).
Die Frage muss doch immer sein, ob der Mitarbeiter, Leiter etc. einer Behörde den Bürger behandelt, wie er auch einen Freund oder gleichberechtigten Verhandlungspartner auf Augenhöhe behandeln würde, oder aber, ob er mit ihm eher wie mit einem Kunden im Geschäft, oder einem Bittsteller vor dem Thron, oder einem lästigen Querulanten in der Wohlfühlzone umgeht? Entscheidend dafür ist das jeweilige „Leitbild“ bzw. die „Behördenphilosophie“ – und zwar nicht die, die nach außen hin offiziell ausgegeben, sondern die, die tatsächlich, faktisch, für jeden spürbar intern und extern an Seele und Leib erfahren wird. Wenn eine bürgerliche Kommune, oder eine Behörde sich „Bürgerfreundlichkeit“ und/oder „Bürgernähe“ auf die Fahne schreibt [62 % der Kommunen in Baden-Württemberg und 52 % in Nordrhein-Westfalen, wiki], dann müssen ihre Bürgermeister, Amtsleiter und Behördenleiter glaubwürdig sein, Führungsqualitäten besitzen, Partei unabhängig handeln und entscheiden, konfliktbereit und konfliktfähig sein, sich für Minderheiten stark machen und einsetzen, eine eigene politische Konzeption entwickelt und Verwaltungserfahrung haben und last but not least, neben einem durchschnittlichen IQ auch über ein gutes Maß von emotionaler und sozialer Intelligenz und Kompetenz verfügen.
Für Politik wurden noch nie Köpfe benötigt.
Dazu ist es erforderlich, dass die im Absatz zuvor genannten Personen fähig sind, zu reflektieren – jedoch nicht isolierend abstrakt, logisch und nur auf sich bezogen, sondern stets verknüpft mit einem Mitgefühl, dass man gleichermaßen für sich und den anderen imstande ist zu haben. Dazu muss die Einheit von „Reflexion und Mitgefühl“ zunächst einmal in sich selbst kommunizieren, ehe neue Lösungen angesichts ausgefahrener Verhaltensmuster denkmöglich werden Es mag sich pathetisch anhören, aber diese Reflexion muss Gefühle so in Bewegung bringen, wie der Schmerz die erlösende Träne auslöst. Das verändert die Haltung, verändert die Lage und schafft Vertrauen. Unter dieser Prämisse erscheint die Problematik des „Rechtgebens“und „Rechthabens“ in einem anderen Licht und wird Toleranz möglich, wo sie vorher nicht vorhanden war.
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Grafikquellen :
Oben — Bild aufgenommen während des Wikipedia-Bundestagsprojektes 2014. Kabinett Merkel III.
Urheber | Tobias Koch |
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Unten — Unterzeichnung des Koalitionsvertrages der 18. Wahlperiode des Bundestages.
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Attribution: Martin Rulsch, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0 |