Folgen von Corona
Erstellt von Redaktion am Sonntag 21. Juni 2020
Wenn Superwoman die Kraft ausgeht
Von Britta Baas
In Zeiten des Lockdowns halten vor allem Frauen die Gesellschaft am Laufen und stemmen dabei oft eine Doppelbelastung aus Erwerbs- und Sorgearbeit. Das aber darf nicht zum Dauerzustand werden, mahnt die Journalistin Britta Baas. Nötig sei ein neues Konzept von Care-Arbeit.
In der Coronakrise offenbart sich eines besonders eindrücklich: Unsere Gesellschaft funktioniert nur deshalb so reibungslos, weil ein Teil der notwendigen Arbeit still und leise sowie meist un-, auf jeden Fall aber unterbezahlt geleistet wird, und das vor allem von Frauen: als Kassiererinnen, Krankenpflegerinnen oder Erzieherinnen in Kitas und Schulen. Auch zu Hause sind es meist sie, die den alltäglichen Familienwahnsinn koordinieren und alles Relevante im Blick behalten.[1]
Mehr als zuvor sind derzeit insbesondere Frauen – denen seit jeher gesellschaftlich nahegelegt wird, sich für andere zu engagieren und sich selbst zurückzunehmen – zuständig für Homeschooling, Putzen, Kochen, die Betreuung der Kleinsten und das Pflegen älterer Menschen. Denn ein Großteil der Hilfe, die ihnen der Staat normalerweise bietet oder die sich Frauen selbst organisieren, sind in Zeiten der Pandemie nicht mehr zu bekommen: Die Schulen werden nach Wochen der Schließung gerade erst schrittweise geöffnet; die Kitas werden frühestens im Herbst wieder alle Kinder aufnehmen können; die rumänische Pflegerin des Schwiegervaters ist in ihr Herkunftsland zurückgekehrt; und die Haushaltshilfe bleibt wegen Ansteckungsgefahr fern.
Leisten all diese Arbeiten nun nicht auch Männer? Seit Wochen kann man staunen über Reportagen, in denen sie über ihre Doppelbelastung sprechen. In denen berufliche Videokonferenzen nacherzählt werden, in die Kinder mit ihren Fragen hineinplatzen, die die Papas unbedingt und umgehend beantworten müssen. Es ist von alleinerziehenden Vätern die Rede, die nun neben ihrem anstrengenden Job Mathehausaufgaben zu betreuen und Deutschaufsätze zu korrigieren haben.
Diesen Fokus auf Väter kritisiert die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken als „scheinheilig“.[2] Selbstverständlich gebe es auch unter ihnen sorgestarke Persönlichkeiten, Männer, die sich nun ein Bein ausrissen für Haushalt und Nachwuchs. „De facto geht es aber zu achtzig Prozent um Mütter.“ Man solle sich daher hüten, „die Verschleierung der Tatsachen unter dem Cover der Gleichberechtigung“ mitzumachen.
Die vielen Frauen, die neben ihrer eigentlichen Erwerbsarbeit auch Care-Arbeit leisten, müssen spätestens jetzt zur Kenntnis nehmen, dass sie dafür nicht bezahlt werden – und auch keinerlei Ausgleich in Form von Freizeit erhalten. Wo sie können, reduzieren sie stattdessen ihre bezahlten Arbeitsstunden. Nur so lässt sich den neu hinzugekommenen Aufgaben „zu Hause“ gerecht werden. Erwerbsarbeit wird unter diesen Umständen zum Hochleistungssport. Kein Sprint, sondern ein Ausdauerlauf mit unbekannter Zielmarke: Noch weiß niemand, wann die Pandemie enden wird. Ein Leben mit Einschränkungen und Mehrbelastungen ist noch lange nötig.
»Das Virus bedroht Jahrzehnte gleichstellungspolitischen Fortschritts«
Daher gilt es, politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Weichen neu zu stellen. Was sich aktuell zeigt, darf sich nach dem Ende der Coronakrise nicht verstetigen. „Das Virus bedroht Jahrzehnte gleichstellungspolitischen Fortschritts“, schreibt Julia Schaaf in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“: Es habe sich gezeigt, dass in den „systemrelevanten Berufen zum großen Teil unterbezahlte Frauen arbeiten“, zudem sei „das Verschwinden der Frauen aus dem öffentlichen Corona-Diskurs“ zu bemerken und schließlich habe Julia Jäkel, Chefin des Verlags Gruner + Jahr, entsetzt festgestellt: „Wir Frauen sind so viel weniger wert, als wir dachten.“[3] Die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern verfestigen sich in derzeit zulasten der Frauen, stellen auch Bettina Kohlrausch und Aline Zucco in einer aktuellen Studie der Hans-Böckler-Stiftung fest.[4]
Wer also verhindern will, dass für die „Superwomen“ – die jetzt alles und jedes managen, dafür aber weder pekuniär noch politisch und gesellschaftlich gewürdigt werden – in Zukunft alles beim Alten bleibt, muss Konzepte für das Danach entwickeln. In diesem Danach wird Care-Arbeit eine entscheidende Rolle spielen – wie schon vor der Coronakrise. Die Krise birgt die Chance, dass Sorgearbeit endlich in den Fokus rückt. „Doch wir müssen aufpassen, dass nicht Leute wie Friedrich Merz nach Corona die Oberhand gewinnen“, sagt Uta Meier-Gräwe, emeritierte Professorin für Wirtschaftslehre des Privathaushalts in Gießen. „Leute, die jetzt mitklatschen für die Kümmerer, aber gleichzeitig sagen, dass das produzierende Gewerbe mit absoluter Priorität angeschoben werden müsste.“ Meier-Gräwe sieht diese Priorität einem „industriegesellschaftlichen Strukturkonservativismus“ geschuldet. Ungeachtet der Coronakrise gilt Sorgearbeit vielen noch immer als ärgerlicher Kostenfaktor. Schließlich schafft sie keine Produktionszuwächse und ist auch nicht darauf angelegt, „in immer kürzerer Zeit immer mehr Menschen zu umsorgen“. Deshalb bringen Politiker wie Merz für diese Art von Arbeit kein Verständnis auf. Doch das, sagt Meier-Gräwe, sollten wir nicht mehr hinnehmen: „Sorgearbeit ist nämlich kein Privatproblem, das vor allem Frauen im Stillen zu lösen haben. Sorgearbeit ist ein Wirtschaftsfaktor. Mit ihr wird auf menschliche Bedürfnisse geantwortet. Care-Arbeit gehört deshalb ins Zentrum einer zukunftsfähigen Ökonomie.“[5]
Die Familienforscherin ist Mitautorin des „Equal Care Manifestes“, das entsprechende Forderungen stellt.[6] Die Bundesregierung, heißt es dort, müsse dringend die Weichen stellen für „ideelle und finanzielle Anerkennung sowie faire Verteilung von Care-Arbeit zwischen den Geschlechtern“, und auch die Betriebe müssten „das heutige Wirtschaftsmodell gründlich revidieren“. Gesellschaftlich aber brauchen wir nicht weniger als eine nachholende Geschlechterrevolution, eine umfassende mentale Veränderung. Das Manifest erinnert daran, „dass in der Rush-Hour des Lebens, in der wichtige Entscheidungen wie Partnerschaft, Beruf und Familiengründung anfallen, Frauen mehr als das Doppelte an gesellschaftlich notwendiger, unbezahlter Care-Arbeit im Vergleich zu Männern“ übernehmen. Der sogenannte Gender-Care-Gap sei im Alter von 34 Jahren mit mehr als 110 Prozent besonders hoch.
»Diese Gesellschaft ist dazu ausgelegt, Frauen abhängig zu halten«
Quelle : Blätter >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — A cosplay of Power Girl [left] and Supergirl [right]
Author | William Tung from USA — Source : WonderCon 2015 – Power Girl and Supergirl |
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