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Flucht nach Deutschland

Erstellt von Redaktion am Dienstag 24. April 2018

Der syrische Kommunist

Kundgebung „Syrer gegen Sexismus“, Köln, Januar 2016-6367.jpg

Von Kater Demos

Ein Porträt von Yannick von Eisenhart Rothe

Rote Haare, weißer Bart, helle Haut: Anmar ist Syrer. Seine Flucht nach Deutschland war daher nicht einfacher.

Anmar ist aus Syrien nach Deutschland geflohen. Er erzählt seine Geschichte, die Geschichte der Herkunft seiner Familie, seines Lebens in der Minderheit, seiner Flucht und seines neuen Lebens in Deutschland. Und wie diese Geschichte geprägt ist von seinem Aussehen und seinen politischen und religiösen Überzeugungen.

Das erste Mal traf ich Anmar auf der Veranda eines alten Gutshofs im brandenburgischen Nirgendwo. Die Kater-Redaktion hatte sich dorthin zurückgezogen, um ein Wochenende lang über die Zukunft des Magazins zu sinnieren. Es war spätabends, Anmar saß auf besagter Veranda, rauchte selbstgedrehte Zigaretten ohne Filter und trank Bier. Wir kamen ins Gespräch – auf Englisch – und ich fragte beiläufig, woher er denn komme. „From Syria. I’m a refugee.“ Ich versuchte, mir meine Überraschung nicht anmerken zu lassen, aber Anmar ist sich der Reaktion auf diese Aussage bewusst, zu oft musste er sich schon erklären. Denn mit seinen langen, dunkelroten Haaren, seinem weißen Bart und seiner hellen Haut sieht Anmar nicht so aus, wie sich die Welt einen Syrer vorstellt.

Eigentlich nervt es Anmar, darüber zu sprechen, warum er so aussieht. „Ich musste es so oft erklären. ‚Woher kommst du? ‘ – ‚Syrien’ – ‚Oh, wirklich? ‘ Alle warten auf eine Erklärung.“ Wirklich übel nimmt er die Reaktion aber niemandem. „Wenn jemand, der aussieht wie ich, mir erzählen würde, dass er aus dem Sudan kommt, würde ich auch nachfragen: Wie kommt das?“ Trotzdem erzählt er seine Geschichte ein weiteres Mal.

Einige Monate später, an einem dunklen Sonntagnachmittag, treffen wir uns zum Interview in einem Café in Neukölln, wo Anmar heute lebt. Draußen fällt der erste Schnee. Es ist ein linkes Café, auf der eingerollten Markise steht „No Borders, No Nations“. Anmar geht gerne hierhin. Er erzählt ausführlich und mit ruhiger Stimme. Sein Englisch ist fließend, zwischendrin baut er schon einige deutsche Wörter ein: „Gips“, „Asylbewerberheim“, „Deutschkurs“.

Anmar ist 37 Jahre alt und stammt aus Deir Ful, einem kleinen Dorf etwa 40 Autominuten nordöstlich von Homs. Das Dorf wird hauptsächlich von Tscherkessen bewohnt, einer Volksgruppe, die sich aus verschiedenen Stämmen kaukasischer Abstammung zusammensetzt. Diese Volksgruppe ist seit dem späten 19. Jahrhundert in Syrien angesiedelt. Im bis 1864 andauernden Kaukasischen Krieg hatten sich die muslimischen Tscherkessen vergeblich gegen die Expansion des Russischen Kaiserreichs in den Nordkaukasus gewehrt und wurden daraufhin ins Osmanische Reich deportiert. So kamen damals auch Anmars Vorfahren ins heutige Syrien und erbauten Deir Ful auf dem ihnen zugewiesenen Gebiet. „Als sie ankamen, zogen sie ihre Schuhe aus, weil sie das Land für heilig hielten. Da kamen schließlich die Propheten her! Sie haben aber schnell gemerkt, dass es dort doch nicht so heilig zuging,“ erzählt er und lacht.

Vor dem Krieg lebte das Dorf in eingeschworener Gemeinschaft. Man blieb unter sich. „Wenn du eine kleine Minderheit bist, versuchst du, diese zu beschützen. Es war unüblich, Fremde zu heiraten.“ Auch die vergleichsweise liberale Auslegung des Islam trug zur Geschlossenheit der tscherkessischen Gemeinschaften bei. Anmar erzählt, dass er beispielsweise mit seiner Cousine allein durchs Dorf laufen konnte. In konservativeren Gemeinden können unverheiratete Männer und Frauen nicht alleine sein, „das ist haram.“ Deshalb sei die Abgrenzung auch ein Stück Freiheit gewesen. „Viele waren überzeugt, dass wir diese Freiheit verlieren, wenn wir uns öffnen und außerhalb der Gemeinschaft heiraten.“

File:VOA Arrott - A View of Syria, Under Government Crackdown 08.jpg

Anmar erfuhr außerhalb seiner tscherkessischen Gemeinschaft Diskriminierung. „Unser Lebensstil wurde oft nicht akzeptiert. Du wirst als Fremder angesehen. Auch dadurch hat sich die Gemeinschaft mehr und mehr geschlossen.“ Deshalb seien auch die meisten seiner Freunde in Syrien Tscherkessen gewesen. Er fühlte sich in Syrien aber nicht nur fremd, weil er aussieht, wie er aussieht; denn er bezeichnet sich als Kommunist und glaubt nicht an Gott. „Du kannst nicht einfach öffentlich sagen, dass du nicht an Gott glaubst. Menschen werden versuchen, dir weh zu tun. Als Ungläubiger bist du nichts wert in ihren Augen.“ Auch mit politischen Aussagen musste er sehr vorsichtig sein. „In so einem Land kannst du deine Ideen und Vorstellungen nicht einfach diskutieren. Du kannst nichts kritisieren, musst immer aufpassen, was du sagst. Eine falsche Aussage kann dich ins Gefängnis bringen.“ Besonders vorsichtig müsse man sein, wenn andere die Regierung kritisieren und einen nach seiner Meinung fragen – sie könnten für die Regierung arbeiten. „Sie nehmen dich heimlich auf und plötzlich fragt der Geheimdienst nach dir und verhört dich.“ Der Cousin von Anmars Mutter saß zehn Jahre im Gefängnis, weil er Kommunist war und etwas gegen das Regime unternehmen wollte.

Es ist zwar nicht grundsätzlich verboten, Kommunist zu sein, es gibt sogar eine kommunistische Partei in Syrien. Die ist aber in Anmars Augen nur ein korrupter Haufen, der vom Regime kontrolliert wird. Generell seien die Parteien vor dem Krieg dazu da gewesen, eine gewisse Freiheit und Demokratie vorzugaukeln.

Auf die Frage, wie er seine kommunistischen Überzeugungen beschreiben würde, schränkt Anmar ein: „In Syrien wird das Wort oft auch einfach für Leute benutzt, die nicht an Gott glauben. Ich habe das lange gar nicht für mich definiert. Heute würde ich mich allgemein als links beschreiben, habe aber auch ein paar Probleme mit kommunistischen Ideen. Wenn Individualität nicht mehr gewünscht wird und nur eine Welt von menschlichen Kopien erzeugt werden soll, werden Außenstehende genau so wenig akzeptiert wie in Religionen.“

Anmars Leben in seiner Heimat war von Täuschungen und Versteckspiel geprägt. Er musste seine Überzeugungen verbergen und ständig aufpassen, was er sagt. Heute wundert er sich selbst darüber, wie wenig ihm das ausgemachte. „Ich war sogar ein wenig stolz darauf, mich anpassen zu können. Du brauchst diese Fähigkeit, um zu überleben, also war ich glücklich darüber.“ Erst als der Druck von außen abfiel, merkte er die Erleichterung. „Während der Revolution und später in Deutschland hat sich alles verändert, ich musste mich nicht mehr verstellen. Und ich habe mich plötzlich gefragt, wie ich das vorher ausgehalten habe.“

Quelle   :     Der Freitag            >>>>>          weiterlesen

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Grafikquelle    :

Oben    —           Kundgebung „Syrer gegen Sexismus“, Bahnhofvorplatz, Köln, Januar 2016 Foto: Der syrische Pianist Aeham Ahmad spielt auf der Kundgebung

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