DEMOKRATISCH – LINKS

                      KRITISCHE INTERNET-ZEITUNG

RENTENANGST

FDP-Idee zu Abschiebungen

Erstellt von DL-Redaktion am Montag 6. Februar 2023

Fünf Fehler in zwei zynischen Sätzen

Die FDP liegt in Umfragen knapp über fünf Prozent. Die Verzweiflung bringt bizarre Blüten hervor: Fraktionschef Dürr will abgelehnte Asylsuchende gegen Klimaschutz eintauschen – das ist gleich mehrfach widersinnig.

Christian Dürr ist der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion und hat diese Woche der größten deutschen Boulevardzeitung ein Interview gegeben. In diesem Interview formulierte er einen »Vorschlag«, der so abseitig und zynisch ist, dass einem der Atem stockt. Dass der Fraktionschef einen solchen Versuchsballon startet, ohne das mit der übrigen Parteispitze abgesprochen zu haben, erscheint unwahrscheinlich. Was die Frage aufwirft: Was genau hat die FDP-Spitze eigentlich vor?

Aber zunächst einmal zu dem, was Dürr da vorschlug: einen Tausch, Menschen gegen Klimaschutz. Ja, wirklich.

Konkret sagte Dürr: »Um Druck auf die Herkunftsländer auszuüben, könnten wir Rücknahmen zum Beispiel an Geld für den Klimaschutz koppeln. Wer seine Landsleute zurücknimmt, erhält im Gegenzug Unterstützung etwa bei der Produktion von klimaneutralen Kraftstoffen für Autos in Deutschland

Diese zwei Sätze haben es in sich, und zwar gleich in vielfacher Hinsicht.

Was Dürr wirklich meint
Dürr möchte »Druck auf die Herkunftsländer ausüben«, und das an »Geld für den Klimaschutz koppeln«. An was für Länder er dabei denkt, sieht man an dem Verweis auf die »klimaneutralen Kraftstoffe«.

Viele der Länder, die in dem Ruf stehen, abgelehnte Asylbewerberinnen und -bewerber nicht oder nur widerwillig zurückzunehmen, liegen auf dem afrikanischen Kontinent , und genau die meint Dürr natürlich. In ehrliches Deutsch übersetzt lautet Dürrs Vorschlag: Ihr habt ja Sonne da unten, wenn ihr eure Leute zurücknehmt, geben wir euch Geld, damit ihr daraus Sprit für unsere Autos machen könnt.

Das ist gleich in fünffacher Hinsicht absurd und abseitig. Das ist für zwei Sätze schon eine Leistung.

Das Recht in Freiheit zu leben gilt nur für Politiker der FDP

  • Erstens ist die Vorstellung, Menschen als Faustpfand für finanzielle Hilfen in einem völlig anderen Kontext einzusetzen, erkennbar – und offenkundig absichtlich – zynisch, um es höflich zu formulieren.
  • Zweitens ist es nicht primär im Interesse afrikanischer Staaten, dass dort Klimaschutz betrieben wird, sondern in unserem eigenen. Im Moment ist Afrikavor allem Subsahara-Afrika, zum Glück eine Region mit sehr niedrigem Pro-Kopf-Ausstoß von CO₂. Das muss unbedingt so bleiben, wenn wir die Klimakrise nicht noch weiter anheizen wollen. Wir müssen möglichst viel dafür tun, und zwar ohne Erpressungsversuche – weil es uns zuallererst selbst nutzen wird.
  • Drittens leiden viele Herkunftsländer von Asylsuchenden schon jetzt unter massiven Folgen der Erderhitzung – und daran ist Deutschland maßgeblich mitschuldig. Zur Erinnerung: Wir liegen, was die historisch kumulierten CO₂-Emissionen angeht, global auf Platz vier . Dürrs »Vorschlag« klingt für afrikanische Staaten also so: Wir sind zwar maßgeblich mitverantwortlich dafür, dass eure Länder langsam unbewohnbar werden. Aber wenn ihr Unterstützung dabei wollt, unsere Fehler zu vermeiden, spurt ihr gefälligst.
  • Viertens wäre es das Gegenteil von »Klimaschutz«, afrikanische Länder als Erstes zur Produktion von »CO₂-neutralen Kraftstoffen« aufzufordern. Auf dem afrikanischen Kontinent gibt es derzeit, von Südafrika abgesehen, so gut wie keine Kohlekraftwerke . Das muss unbedingt so bleiben. Gleichzeitig haben der Internationalen Energieagentur zufolge  weiterhin 600 Millionen Menschen auf dem Kontinent keinen Zugang zu Elektrizität. Wenn dort also erneuerbare Energien ausgebaut werden, was wirklich bitter nötig ist, dann werden sie zuallererst dafür gebraucht, die eigene Bevölkerung mit Energie zu versorgen. Nicht dafür, die Sportwagen und SUV von FDP-Wählern mit »CO₂-neutralen Kraftstoffen« zu betanken.
  • Fünftens: »CO₂-neutrale Kraftstoffe« für Pkw sind eine Luftnummer, nicht nur, weil es nirgendwo nennenswerte Kapazitäten zu ihrer Herstellung gibt. Nicht einmal der Porsche- und VW-Chef Oliver Blume  glaubt an Christian Lindners Träume von einer Zukunft mit lauter CO₂-neutralen Verbrennern. Porsche ist an einem E-Fuel-Projekt in Chile beteiligt – damit alte 911er auch in 20 Jahren noch gefahren werden können. Ein Markt für »CO₂-neutrale Kraftstoffe« für neue Pkw hingegen ist eine fixe Idee der FDP, von der sich der Markt längst verabschiedet hat. Wenn es diese Kraftstoffe eines Tages in halbwegs ausreichender Menge und zu wettbewerbsfähigen Kosten gibt, werden sie dringend anderswo gebraucht: im Schiffs- und Flugverkehr, eventuell für Schwerlaster.

Dürrs »Vorschlag« ist also nicht nur von abgrundtiefem Zynismus geprägt, er ist auch politisch in jeder Hinsicht unsinnig. Und er steht im klaren Widerspruch zu den Interessen Deutschlands.

Interessanterweise fand Dürr einen anderen Vorschlag nicht gut, nämlich den, Abschiebungen daran zu koppeln, dass die entsprechenden Länder dann Visa für andere, begehrte Zuwanderer bekommen könnten. »Davon halte ich nichts«, sagte Dürr, »wir brauchen Zuwanderung.« Da hat er recht, die brauchen wir dringend – aber mindestens ebenso dringend brauchen wir einen rasanten Ausbau erneuerbarer Energien auf dem afrikanischen Kontinent, er ist in unserem ureigenen, existenziellen Interesse, nicht »nice to have«.

So nimmt man der AfD keine Stimmen ab, das steht fest.

Quelle       :       Spiegel-online         >>>>>        weiterlesen

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben     —     Demonstration für ein Bleiberecht aller Ausländer

Unten      —         Christian Dürr FDP 2016

Kommentar schreiben

XHTML: Sie können diese Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>