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Erstellt von DL-Redaktion am Sonntag 5. Juni 2022

Wir waren vom Ukraine-Krieg  Außenpolitisch „völlig überrascht“

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Quelle:    Scharf  —  Links

Von Johannes Schillo

Als erstes stirbt im Krieg die Wahrheit, heißt es mit Blick auf die Medien. Und wenn man sich den Mainstream der veröffentlichten Meinung in Deutschland (http://www.scharf-links.de/48.0.html?&tx_ttnews[swords]=cechura&tx_ttnews[tt_news]=79977&tx_ttnews[backPid]=65&cHash=c1d3342c7d) ansieht, kann man das nur bestätigen. Der hiesige „Qualitätsjournalismus“ bekennt sich sogar explizit dazu – in programmatischen Erklärungen –, dass Objektivität nicht sein Ding ist, dass er vielmehr das Publikum als ein nationales Wir ansprechen und bei der Parteinahme für die ukrainische Seite samt deren NATO-Paten mitnehmen will (http://www.scharf-links.de/48.0.html?&tx_ttnews[swords]=Cechura&tx_ttnews[tt_news]=80052&tx_ttnews[backPid]=65&cHash=37e876ca18).

Natürlich hauen jetzt auch Sachbücher in diese Kerbe – vom persönlichen Erlebnisbericht aus der Kampfzone bis zum außenpolitischen Schnellschuss, so etwa Norbert Röttgens Manifest „Nie wieder hilflos!“. Der CDU-Politiker habe „schneller geschrieben, als die Russen geschossen haben“, heißt es (General-Anzeiger, 24.2.22). Aus dem Klappentext: „Wir hätten auf den Ukraine-Krieg vorbereitet sein müssen und waren doch völlig überrascht. Nie wieder dürfen wir uns so sehr in die Abhängigkeit eines autoritären Staates wie Russland begeben. Nie wieder dürfen wir so schwach wirken – und es auch sein.“

Aber wie sieht es bei Fachleuten aus, die sich aus politik- oder geschichtswissenschaftlicher Distanz schon seit längerem mit dem Verhältnis von Ost und West beschäftigen? Dazu hier, anhand zweier Neuerscheinungen, einige sachdienliche Hinweise.

Das Buch „Der Aufmarsch – Vorgeschichte zum Krieg“ des Journalisten Jörg Kronauer, der als Redakteur von german foreign policy (https://www.german-foreign-policy.com/) tätig ist, erschien im April 2022. Es wurde redaktionell vor Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine abgeschlossen. Der Verlag veröffentlichte es dennoch unverändert, ergänzt um eine kurze Einleitung mit einer Einordnung des Kriegs, der „nicht unangekündigt, doch für viele unerwartet“ kam. Das ist eine mutige verlegerische Entscheidung. Mittlerweile kennt ja jeder das Resultat der hier ausgebreiteten „Vorgeschichte“, und so muss sich der Text einer ganz neuen Prüfung stellen, nämlich im Blick darauf, inwiefern das Dargelegte die Triebkräfte herausarbeitet, die zum jetzt eingetretenen militärischen Ernstfall geführt haben.

Den Test besteht das Buch. Andere Publikationen, die Anfang 2022 erschienen sind und sich mit Russland oder dem Ost-West-Verhältnis befassen, haben damit schon eher Probleme. So z.B. Stefan Creuzbergers große Studie „Das deutsch-russische Jahrhundert,“ die zeitgleich mit Kriegsbeginn vorgelegt und redaktionell ebenfalls Ende 2021 abgeschlossen wurde. Sie geht zwar im Schlussteil auf die letzte Phase des west-östlichen Eskalationsprozesses bis zur Gipfel-Diplomatie im Sommer 2021 ein, als auf Druck der USA „die Länder des Westens im Rahmen von Europäischer Union und NATO mit einer Stimme gegenüber Russland aufzutreten“ [1] begannen. Aber der Autor, Hochschullehrer und ehemaliger Redakteur der Fachzeitschrift Osteuropa, setzt doch noch große Hoffnungen auf das binationale Verhältnis und auf eine eigenständige Rolle Deutschlands.

Realismus der Kriegsvorbereitung…

Demgegenüber ist Kronauer ein gnadenloser Realist. Er betont die führende Rolle der USA bei der Zuspitzung der weltpolitischen Konfliktlage. Die USA, die im Fall Ukraine schon öfter contra EU agierten, haben ja den deutschen Sonderweg einer strategischen Partnerschaft mit Russland – damit auch ähnlich gelagerte Konzepte aus Frankreich – 2021/22 endgültig liquidiert und damit der Ampel-Regierung einen Kurswechsel verordnet, den diese dann selbstbewusst als „Zeitenwende“ vollzog. Kronauer zeigt in den beiden Hauptkapiteln, wie die „einzig verbliebene Supermacht“ ihren Machtkampf mit Russland und China, also mit den beiden großen Rivalen der Pax Americana, langfristig ins Werk gesetzt hat. Dabei geht es um politische Aggression, um Wirtschaftskrieg, Propaganda und die militärischen Aktivitäten. Das Fazit „Auf dem Weg in den Weltkrieg?“ analysiert die Eskalationsdynamik, die in diesem Programm enthalten ist.

Kronauers Position ist eindeutig NATO-kritisch. Seine Analyse des westlichen Aufmarschs in Osteuropa und speziell in der Ukraine wird natürlich vom akademischen Betrieb weitgehend ignoriert, wie ja auch die Arbeit von german foreign policy im Mainstream-Journalismus als eine vernachlässigbare, „linkskritische“ (Die Welt) Randerscheinung gilt. Dabei wird ein entscheidender Gedanke der Analyse auch anderswo geteilt, etwa von Papst Franziskus, der davon sprach, dass das „Gebell“ der NATO vor der Haustür Putins diesen zu seiner Gewalttat provoziert habe. Und Kronauer bietet für seine Position – im Fall Russland bzw. Ukraine wie beim US-Containment gegenüber dem „systemischen Rivalen“ China – auch warnende westliche Stimmen von politischen und militärischen Experten auf, vom Politikwissenschaftler John Mearsheimer bis zum ehemaligen NATO-Oberbefehlshaber in Europa, Admiral James Stavridis, der 2021 die Polit-Fiction „2034“ veröffentlichte.

Der Roman, der einiges Aufsehen bei Fachleuten erregte – im Jahr 2034 soll ihm zufolge der Dritte Weltkrieg beginnen (http://www.scharf-links.de/48.0.html?&tx_ttnews[swords]=Schillo&tx_ttnews[tt_news]=78530&tx_ttnews[backPid]=65&cHash=b35cce3b29) –, habe „ein möglichst breites Publikum auf die Gefahr eines drohenden Krieges zwischen den USA und der Volksrepublik aufmerksam machen“ wollen. Kronauer bezieht sich mehrfach auf die militärische Expertise des NATO-Admirals und zitiert ihn auf den letzten Seiten seines Buchs nochmals ausführlich mit der Sorge, dass mittlerweile der Weg zum nuklearen Inferno beschritten werde. Stavridis‘ Buch sei eine „Warnung, den großen Krieg unbedingt zu verhindern“ [2].

Hier hat der Realist Kronauer allerdings Entscheidendes übersehen. Das Buch verherrlicht soldatisches Heldentum – gerade auch unter den Bedingungen eines Atomkriegs. Der US-Pilot, der mit seiner Atombombe im Kamikaze-Flug auf Schanghai und damit zig Millionen Menschen in den Tod stürzt, wird als Held gezeichnet. Seine Wahnsinnstat wird ausdrücklich von den Selbstmordattentaten islamistischer Fanatiker, die der Roman sonst geißelt, unterschieden. Seine Todesbereitschaft ist das pure nationale Hochgefühl. In seinem Griff nach dem roten Knopf materialisiert sich der Wille der amerikanischen Nation und kommt eine soldatische Haltung zu ihrer Vollendung: „He‘d always accepted that it was a dirty business… This didn‘t feel like a suicide. It felt necessary. Like an act of creative destruction.“ [3] Das passt auch zur US-Militärdoktrin, die ja den Ersteinsatz von Atomwaffen nicht ausschließt und die im modernen US-Unterhaltungsangebot richtiggehend als Nervenkitzel aufbereitet wird (https://krass-und-konkret.de/medien-kultur/weltkrieg-und-staatsterror-als-unterhaltungsangebot/).

Wie Stavridis zudem in Interviews anlässlich des Ukraine-Kriegs (Der Spiegel, Nr. 11/22) klargestellt hat, gilt seine warnende Stimme einem angeblich nachlassenden Aufrüstungswillen im Westen. Seine Position reiht sich ein in den Mainstream der heutigen Begutachtung der Friedensfrage: Nur noch Politik der Stärke zählt! „Unsere“ Gewalt ist legitim und über jede Kritik erhaben, darf sich daher kein Zögern und Zaudern erlauben, um die unfriedliche Gewalt der Gegner zu beseitigen. Stavridis strickt insofern an der Legende mit, der Westen habe seine Rüstungsanstrengungen sträflich vernachlässigt, man habe sich, wie es in der BRD heißt, militärisch blank gemacht. So wird auch bei Kronauer das, was sich als die beinharte Realität des imperialistischen Staatenverkehrs offenbart, wieder mit Idealen versehen, denen zufolge in der gegenwärtigen drohenden Weltkriegslage Kräfte der Entspannung, Deeskalation, Verständigung am Werk sind.

Wie sich die rücksichtslose Eskalationslogik am Fall Ukraine auf Initiative des Westens weltpolitisch aufgebaut und durchgesetzt hat – das macht Kronauers Buch aber an den letzten Etappen, vor allem ab dem Jahr 2021, überzeugend deutlich. Üblicher Weise wird das, wenn es nicht ganz ignoriert wird, gleich mit dem Vorwurf gekontert, die Gegengewalt der anderen, der russischen Seite sei hier in Rechnung zu stellen. Die Konzentration auf die US- und NATO-Linie ist jedoch kein Mangel des Buchs. Kronauer zeigt ja gerade, gegen welchen Widerstand und welche Macht, die in der Tat nicht ohne Gewaltmittel dasteht, mit welchen strategischen Konzepten aufmarschiert wird. Wer an den russischen Kalkulationen im imperialistischen Staatenverkehr interessiert ist, findet die Einzelheiten übrigens in einem ausführlichen Artikel des Gegenstandpunkts (https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/ukraine-russland-nato) mit dem Titel: „Russland ringt um seine Behauptung als strategische Macht – Amerika um deren Erledigung“.

… und Idealismus der Verständigung

Creuzbergers Blickwinkel ist dem Kronauers entgegengesetzt, für ihn trägt Putin eindeutig die Schuld an der Zuspitzung, die westliche Politik wird im Prinzip seit den Zeiten des Kalten Kriegs exkulpiert. Doch sein Buch setzt speziell die Hoffnung auf das deutsch-russische Sonderverhältnis, das eigentlich, seinem Potenzial nach – das sich erst wirklich in historischer Betrachtung zeige –, Entspannung und Kooperation ermöglichen müsste. In diesem Sinne ist ja auch der Titel vom „deutsch-russischen Jahrhundert“ zu verstehen. Darauf fokussiert die Studie. Es wird z.B. weder ein Zbigniew Brzezi?ski erwähnt – der bereits in den 1990er Jahren die Ukraine zum Angriffspunkt für „Amerikas Strategie der Vorherrschaft“ erklärte, die mit einem gezielten Vorstoß die Wiederauferstehung des russischen Imperiums verhindern müsste – noch eine Victoria Nuland („Fuck the EU“) oder andere amerikanische Initiativen, die darauf zielten, die Frontbildung gegenüber Russland zu verschärfen.

War damages in Mariupol, 12 March 2022 (02).jpg

Creuzberger argumentiert im Prinzip idealistisch – wie sich von heute aus leicht feststellen lässt –, mit den alten Idealen der „Friedensmacht“ Deutschland, die jetzt mit der von Kanzler Scholz angesagten Zeitenwende endgültig ad acta gelegt wurden. Der sachkundige Historiker votiert für eine Verstärkung der europäischen Eigeninitiative bei gleichzeitiger Berücksichtigung der US-Linie. Es dürfte durch solche Initiativen nämlich nicht der „Eindruck deutsch-französischer Besserwisserei“ entstehen; wenn das berücksichtigt sei, gebe es aber Spielraum für deutsche (und damit europäische) Eigenständigkeit: „Deutsche Russlandpolitik sollte einerseits bilateral im Hinblick auf direkte Gespräche zwischen Berlin und Moskau bleiben, andererseits aber eine koordinierende Rolle innerhalb des westlichen Bündnisses einnehmen, um eine einheitliche Linie gegenüber der russischen Staatsmacht zustande zu bringen und dem Kreml geschlossen entgegen treten zu können. Dies setzt voraus, eigene russlandpolitische Interessen und Ziele zu setzen.“ [4]

Tja, die eigenen deutschen Interessen! Creuzbergers Studie trägt das auch noch – heutzutage schon riskant – als „Beitrag zur Versachlichung“ vor, der gegen den landläufigen Vorwurf vom „Putinverstehen“ Stellung bezieht und stattdessen den Vorschlag macht, sich „auf die Frage des Verstehens einzulassen, ohne dies zwangsläufig mit Billigung gleichzusetzen“. Seit dem Putsch in der Ukraine 2014, der nachfolgenden Annexion der Krim durch Russland und dessen Unterstützung für den ostukrainischen Aufstand, den das Kiewer Regime acht Jahre lang rücksichtslos bekämpfte, war ja in der politischen wie fachlichen Debatte eine ungute Polarisierung aufgetreten. Dem Zustand, dass eine „überaus polarisierte Debatte“ eingerissen ist, will Creuzberger entgegen treten; dabei hält er es für ein besonderes Manko, dass „in dieser Kontroverse die maßgeblichen historischen Bezugspunkte abhandengekommen sind“ [5].

Für die Endphase des Ost-West-Gegensatzes führt er besonders Gorbatschows Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung an, also den Zeitraum, als der Westen noch Rücksicht auf „sowjetische Bedrohungsängste“ nahm. Doch auch hier bemüht sich der Autor, das Vorrücken der NATO, d.h. deren geopolitischen Revisionismus, der sich sukzessive das komplette strategische Vorfeld Sowjetrusslands anzueignen versuchte, in ein idealeres Licht zu rücken. Gegenüber den Klagen von Gorbatschow und anderen russischen Politikern, mit der NATO-Osterweiterung seien Wortbruch und Täuschung des Westens manifest geworden, stellt er fest, „dass es 1990 keine feste Zusage des Westens gab, die NATO nicht nach Osten auszuweiten“ [6]. Eine interessante Klarstellung! Es gab die Zusage, das kann auch Creuzberger nicht bestreiten. Sie war aber eher locker, sie wurde nicht auf Drängen der russischen Seite, die sich auf den guten Willen des Westens verließ, kodifiziert und vertraglich festgemacht. Genau das begründet ja den Täuschungsvorwurf, der in Russland von Gorbatschow bis zu Putin erhoben wurde.

In seinem dritten Kapitel „Abgrenzung und Verständigung“, das von den Rapallo-Verträgen der Weimarer Republik bis zur strategischen Partnerschaft reicht, wie sie etwa ein Kanzler Schröder ins Auge fasste, lotet Creuzberger speziell die Potenziale aus, mit denen Deutschland seine eigene „koordinierende Rolle“ unterlegen könnte. Man fühlt sich hier an die verlogene Phrase von Deutschland als „ehrlichem Makler“ erinnert, mit der von Bismarck bis zu Klaus Kinkel u.a. die deutsche Intervention ins weltpolitische Geschehen beschönigt wird. Aber Creuzbergers Skepsis gegenüber der Haltbarkeit einer solchen Verständigung wird im Ausblick des Buchs dann doch wieder deutlich. Insofern geht der Schlussteil konform mit der neueren Eskalation, die unter der Regie der USA stattgefunden hat. Wenn man so will, kann man das auch Realismus nennen.

Es passt nur nicht gut zum Grundanliegen des Buchs. Das tritt ja an mit einer Zurückweisung des Eindrucks, der sich angesichts der historischen Prozesse und der neueren globalen Lage aufdrängen könnte, dass nämlich das 20. „ein amerikanisch geprägtes Jahrhundert gewesen“ sei. Dass dagegen im Verhältnis der beiden „zeitweilig direkten Nachbarstaaten Deutschland und Russland“ die eigentliche politische „Wirkungskraft“ nisten soll, leuchtet nicht ein. Ob man nun den Kalten Krieg nimmt, der nur zeitweise durch „trilaterale“ Momente aufgelockert wurde [7], oder die jüngste Zuspitzung, als die Ukraine im Frühjahr 2021 gegen das deutsch-europäische Verhandlungswesen im Normandieformat auf US-Protektion zu setzen begann: Es zeigt sich deutlich die amerikanische Handschrift, wenn es um die politischen Weichenstellungen geht.

Unschlagbar: der realistische US-Sachverstand

Und das Ganze war auch in diesem Sinne von Anfang an zielstrebig angelegt, wie es Brzezi?skis Studie aus der Jelzin-Ära deutlich macht. Amerika müsse „als unbedingt erforderliche Linie seiner Strategie gegenüber Russland“ die Neuorientierung der osteuropäischen Staatenwelt nach Westen unterstützen, „um damit allen imperialen Bestrebungen den Boden zu entziehen“ – so weit sie von Russland ausgehen und die US-Suprematie auf dem Globus (wieder) in Frage stellen; „das sollte keineswegs von einem guten Verhältnis zu Russland abhängig gemacht werden“, ergänzte Brzezi?ski, um dann das Fazit der strategischen Zuspitzung zu ziehen: „Die Konsolidierung einer souveränen Ukraine, die sich inzwischen als mitteleuropäischer Staat versteht und sich an einer engeren Integration mit Mitteleuropa beteiligt, ist eine ganz wesentliche Komponente einer solchen Politik“. [8]

Wie heißt es bei Wikipedia: „Brzezi?ski wird zur realistischen Schule der Internationalen Politik gerechnet.“ In der Tat, das ist Realismus at its best. Schon vor einem Vierteljahrhundert wusste der Mann: „Am wichtigsten allerdings ist die Ukraine“, wenn es um die Neuorientierung der osteuropäischen Staaten hin zu EU und NATO geht. Und auch seine Vorhersagen waren ziemlich korrekt. Es brauche noch seine Zeit, aber der Westen könne – während er seine Sicherheits- und Wirtschaftskontakte mit Kiew ausbaue – „schon jetzt das Jahrzehnt zwischen 2005 und 2015 als Zeitrahmen für eine sukzessive Eingliederung ins Auge fassen.“ Sogar die nach dem prowestlichen Putsch zu erwartende Zuspitzung im Verhältnis zu Russland hatte Brzezi?ski im Blick: Die begonnene NATO-Osterweiterung müsse das russische Regime unter Jelzin schlucken, „im Gegensatz dazu wird es Russland unvergleichlich schwerer fallen, sich mit einem NATO-Beitritt der Ukraine abzufinden…“

Es ist eben der Realismus einer Wissenschaft, die sich ganz in den Dienst der nationalen Sache stellt. Ein Vorbild dürfte das auch für den hiesigen Betrieb sein, wo ja die Ansage von Scholz, Habeck, Baerbock u.a. gilt, dass Deutschland nicht länger einem Friedensidealismus huldigen kann, sondern sich den Realitäten zu stellen hat. Und Realität ist das, was die maßgeblichen Mächte als Herrschaftsanspruch und Problemdefinition in die Welt setzen.

P.S. Angesicht dieser seit einem Vierteljahrhundert von Experten bekannt gemachten Lage muss man sich schon sehr dumm stellen oder dumm sein wie CDU-Röttgen, um von den aktuellen Ereignissen „völlig überrascht“ zu werden. Wer mag, soll solchen außenpolitischen Kennern folgen, die jetzt schon auf die nächsten Kriegsschauplätze drängen: „Mit den Herausforderungen, die China auf allen Ebenen für uns darstellt, haben wir noch gar nicht begonnen, uns systematisch auseinanderzusetzen… Wir müssen Deutschland aus seiner Hilflosigkeit befreien. Es ist unsere verdammte Pflicht“. [9] Dieselben Leute werden aber sicher beim nächsten Krieg in Fernost wieder völlig überrascht sein, dass der westliche Aufmarsch als feindliches Ansinnen verstanden wird.

Nachweise

[1] Stefan Creuzberger, Das deutsch-russische Jahrhundert – Geschichte einer besonderen Beziehung. Hamburg (Rowohlt) 2022, S. 558.

[2] Jörg Kronauer, Der Aufmarsch – Vorgeschichte zum Krieg. Russland, China und der Westen. Köln (PapyRossa) 2022, S. 129, 192.

[3] James Stavridis/Elliot Ackerman, 2034 – A novel of the next world war. New York (Penguin) 2021, S. 278. Wohl nicht zufällig, dass mit der „kreativen Zerstörung“ auf eine traditionsreiche Idealisierung der marktwirtschaftlichen Unvernunft angespielt wird: „Nach der Auffassung (des Nationalökonomen) Schumpeter beinhaltet der Kapitalismus eine Unordnung, deren Ergebnis die kreative Zerstörung ist.“ (Wikipedia) So erhält der nukleare Holocaust noch einen finalen Sinn!

[4] Creuzberger, S. 558.

[5] Creuzberger, S. 17.

[6] Creuzberger, S. 208, 544f.

[7] Creuzberger, S. 18, 462.

[8] Zbigniew Brzezi?ski, Die einzige Weltmacht – Amerikas Strategie der Vorherrschaft (The Grand Chessboard – American Primary an Its Geostrategic Imperatives). Weinheim/Berlin (Beltz Quadriga) 1997, S. 289; die folgenden Zitate S. 177f.

[9] Norbert Röttgen, Nie wieder hilflos! Ein Manifest in Zeiten des Krieges. München (dtv) 2022, S. 137.

Zuerst bei Telepolis erschienen.

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