Europa und die USA
Erstellt von Redaktion am Donnerstag 14. April 2022
Die Rückkehr des Westens
Von Ernst Hillebrand
Seit dem Ukraine-Krieg ist der Westen als politisches Projekt wieder en vogue. Vergessen, aber nicht überwunden sind die inneren Widersprüche.
Frei nach Wilhelm Busch könnte man sagen: Drei Jahre war der Westen so krank – jetzt raucht er wieder, Gott sei Dank! Die Schwächegefühle, die die westliche Welt die letzten Jahre beschlichen, sind dank des ukrainischen Widerstandswillens wie weggeblasen.
Überwunden der Kabul-Schock, als die afghanische Armee nicht im Traum daran dachte, für „westliche Werte“ zu sterben. Verdrängt der Corona-Schock, als Sterberaten und Wirtschaftsrückgang in den westlichen Industrieländern (und nicht zuletzt in ihrer Führungsmacht USA) weit über den Werten Ostasiens, vor allem des „Systemrivalen“ China lagen.
Und vergessen der Trump-Schock, als nicht nur die transatlantische Verteidigungsgemeinschaft, sondern auch die vermeintliche gemeinsame Wertewelt des Westens einem populistischen Stresstest unterzogen wurde.
Die Soldaten und Freiwilligen in der Ukraine zeigen, dass das westliche Modell immer noch so attraktiv ist, dass Menschen dafür zu sterben bereit sind. Und der Westen wiederum kann zeigen, dass er zum entschlossenen und gemeinsamen Handeln fähig ist – schlicht, dass es ihn tatsächlich noch gibt.
Moralische Überlegenheit war angekratzt
Garniert wird die Rückkehr des Westens mit dem angenehmen Gefühl der moralischen Überlegenheit – ein Gefühl, das postkoloniale Identitätsdebatten, die Ahnung, dass der Irak- und der Libyenkrieg vielleicht doch nicht ganz den Idealen des Völkerrechts entsprochen hatten, sowie die mit dem Klimawandel verbundenen Selbstvorwürfe in letzter Zeit doch ein bisschen angekratzt hatten.
Ein Paradox dieser Revitalisierung des Westens besteht darin, dass sie in mancherlei Hinsicht aus Faktoren erwächst, die mit dem Zeitgeist des postmodernen Westens wenig zu tun haben. Aus dessen Perspektive ist der Kampfeswille der Ukrainer ein Atavismus; er basiert auf Vorstellungen, die in der postheroischen und postnationalistischen Welt des Kosmopolitismus eigentlich keinen Platz mehr haben.
Es ist faszinierend zu sehen, wie Medien, für die das Adjektiv „nationalistisch“ normalerweise einen Maximalvorwurf darstellt, sich für die Geburt eines (historisch ja auch nicht ganz unproblematischen) ukrainischen Nationalgefühls begeistern.
Die Zeit zitiert einen polnischen, PiS-nahen Intellektuellen, der spottet: „Ich würde mal sagen, das mit „metrosexuell“ hat sich vorerst erledigt, wenn Männer an die Front ziehen und die Frauen bei den Kindern bleiben, oder?“
Zudem wird völlig übersehen, dass der Konflikt nicht nur eine Systemdimension hat – westlich-liberale Staats- und Demokratievorstellungen vs. oligarchischen Autoritarismus à la Putin –, sondern auch eine kulturelle. Samuel Huntington wies immer wieder darauf hin, dass die „Bruchlinie“ zwischen der westeuropäischen Kultur- und Zivilisationssphäre und der der Orthodoxie mitten durch die Ukraine geht.
Und dennoch bleibt zunächst natürlich der Fakt, dass die Ereignisse in der Ukraine den „Westen“ sowohl als ideologisches Konstrukt wie als handelnde Gemeinschaft schlagartig wiederbelebt haben.
Wie lange wird und kann das tragen? Hier ist Skepsis angesagt. Heinrich August Winkler definiert den Westen als „normatives Projekt“, das aufklärerische Grundwerte in Institutionen und Normen gegossen hat: Menschenrechte, säkularisierte Hoheitsgewalt, repräsentative Demokratie, Gewaltenteilung, bürgerliche Freiheiten und Rechtsstaatlichkeit.
Den Menschen in der Ukraine dankbar sein
Das Problem dieses Projekts bestand in den letzten Jahren weniger in den externen Herausforderungen durch autoritäre Systemalternativen oder dem Auftauchen neuer, nicht westlicher Akteure auf der Weltbühne. Auch die Formulierung illiberaler Konzepte von Demokratie durch marginale konservative Akteure wie Orbán oder Kaczyński war nicht wirklich wichtig.
Das Problem des „Westens“ waren (und sind) seine inneren Widersprüche und seine wachsenden Probleme, die Errungenschaften einer säkular-demokratischen Gesellschaft gegen innere Erosionsprozesse zu verteidigen.
Quelle : TAZ-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — In my visit with President Zelenskyy today, I reaffirmed the United States‘ support for Ukraine’s sovereignty and territorial integrity in the face of Russian aggression, our close cooperation on energy security, and our shared democratic values.