Europa erreichen-oder tot
Erstellt von DL-Redaktion am Samstag 8. Juli 2017
Die Zahl der Todesopfer steigt immer weiter, Rettungsschiffe der EU sind kaum zu sehen. Unser Autor hat freiwillige Helfer auf der Sea-Watch im Mittelmeer begleitet
Ja, jetzt zeigt Merkel wohl ihr wahres Gesicht und wirft die Maske auf die Seite. Wie schon beim Energiewechsel welcher dem Steuerzahler mehrere Milliarden Euro kosten wird, ist sie der Flüchtlinge endgültig überdrüssig geworden und favorisiert nun Panda Bären aus China. Die Menschen lässt die Europäische „Werte“ Gemeinschaft skrupellos im Mittelmeer absaufen. Ja, Menschen kosten Arbeit und Geld, während die Bären große Gegengeschäfte mit Waffen und Flugzeuge verheißen. Machtgier kennt keinen Charakter. – DL / IE
Target! Vier Meilen voraus. Halb Instinkt, halb Erfahrung sagen Reinier Boere an diesem Morgen, dass er richtig liegt. Der schwarze Balken, den man durch das Fernglas am Horizont erkennt. Die Punkte, die bald zu Köpfen werden. Nach wenigen Minuten die Gewissheit: Das sind keine libyschen Fischer, das ist ein heillos überfülltes Holzboot, vollgepackt mit Menschen. Flüchtlinge aus Libyen.
Noch ist es kühl auf dem Mittelmeer. In der Search-and-Rescue-Zone, 18 Meilen vor der libyschen Küste, auf dem Ausguck der Sea-Watch 2. Gerade erst hat das Meer die Sonne ausgespuckt, Boere hat die schwarze Trainingsjacke bis zum Kinn zugezogen, die weinrote Baseball-Kappe sitzt tief im Gesicht, aus seinen Kopfhörern wummert Techno-Musik. Ein obligatorischer Blick auf die Uhr. 6 Uhr 15 Minuten. Ernstes Nicken. „Um Mitternacht wurden die Menschen von den Schleppern losgeschickt.“
Was Reinier Boere an diesem Morgen trotz zweijähriger Erfahrung als Seenotretter noch nicht wissen kann: An diesem Tag werden noch vier weitere Boote folgen, eines aus Holz, drei aus Gummi. Dass bei Sonnenuntergang 274 Menschen an Deck des zivilen Seenotrettungsschiffs sein werden und 121 auf hüpfburgähnlichen Rettungsinseln im Wasser daneben.
Boere ist 39 Jahre alt, Niederländer, in seinem „normalen Leben“, so nennt er das, betreibt er einen kleinen Schlüsseldienst in Amsterdam. „Da helfe ich Leuten in Not, dass sie in ihre Wohnung reinkommen“, sagt er. „Hier draußen helfe ich ihnen, dass sie raus kommen.“ Raus aus dem Meer. Boere ist Einsatzleiter und Koordinator der 16-köpfigen Crew der Sea-Watch, einer Berliner NGO, die es sich seit 2015 zur Aufgabe gemacht hat, Flüchtlinge aus Seenot zu retten und die Praktiken der EU-Politik an der Außengrenze Mittelmeer zu dokumentieren.
Allein 2016 sind 181.000 Menschen über die Fluchtroute Nordafrika-Italien nach Europa gekommen, 90 Prozent davon über Libyen. 5.000 Menschen sind im selben Zeitraum ertrunken. Allein in den ersten Monaten 2017 geht das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) von 1.364 Toten aus (Stand 06/2017). Alles deutet darauf hin, dass 2017 an der EU-Außengrenze das tödlichste Jahr der Geschichte werden wird.
Ohne Rom geht nichts
Nachdem er das Flüchtlingsboot gesichtet hat, setzt Boere als Erstes einen Notruf ab an das MRCC in Rom, die zentrale Koordinierungsstelle für Rettungen auf dem Mittelmeer. „Keine Rettung ohne den Auftrag aus Rom. Ohne die Zustimmung der offiziellen Behörde dürfen wir nicht eingreifen“, sagt Boere. Denn was viele nicht wissen: Im Seerecht ist eine „Pflicht zur Rettung“ festgeschrieben. Das MRCC allein aber bestimmt, welche Schiffe in eine Rettung involviert werden, welche Häfen die Schiffe anfahren dürfen, wo die Flüchtlinge an Land gehen. Bevor 2015 zivile Seenotrettungsorganisationen wie Sea-Watch aktiv wurden, waren es vor allem Militärschiffe und private Boote, Fischer und Handelsschiffe, die vom MRCC zu Hilfe gerufen wurden.
„Ich glaube, das ist das Verrückteste, was ich je gemacht habe“, sagt Stefanie Pender, als sie an diesem Morgen auf das schwarz-orangene RIB, ein kleines Gummi-Schnellboot, springt. Sie trägt einen weißen Schutzhelm und ein dunkelblaues Sea-Watch-Shirt mit weißem Fernglas und Rettungsring darauf. Die 28-jährige Australierin, die in Berlin lebt, ist Ärztin an Bord der Sea-Watch. Es ist ihre erste Mission. Mit 30 Knoten hält das Schiff auf das Holzboot am Horizont zu, hinterlässt eine Furche aus sprudelndem weißem Schaum in der ruhigen See. „Es ist so surreal, es sind die Bilder, die man sonst nur aus dem Fernsehen kennt“, ruft Pender gegen den Fahrtwind. Menschen in Todesangst, die Gesichter eingefroren, die Blicke tot. Menschen, die für den Versuch, nach Europa zu kommen, bereit sind zu sterben, weil sie nichts zu verlieren haben.
Übersetzerin Sandra Hammamy steht an der Spitze des Speedbootes, sie lehrt sonst normalerweise Politikwissenschaft an der Uni Gießen. Jetzt ruft sie den Menschen auf dem Holzboot zu: „Habt keine Angst! Ihr seid jetzt in Sicherheit! Willkommen in Europa!“ Freudenschreie sind die Antwort. Die beiden Frauen teilen Rettungswesten aus und shutteln die Menschen von dem Holzboot mit dem RIB zum Mutterschiff.
„Wären wir heute nicht hier draußen gewesen, dann wären 400 Leute im Mittelmeer ertrunken“, sagt Reinier Boere später an diesem Abend, als er durch die Fensterwand der Schiffsbrücke nach draußen blickt. Vor den Fenstern liegen dicht an dicht Menschen. Die Körper reiben sich aneinander, kaum ein halber Quadratmeter für jeden von ihnen. Es ist still. Nur das Knistern der gold-silbernen Wärmedecken, in die sich die Menschen gewickelt haben. Und die leise Stimme einer nigerianischen Mutter, die ihren fünf Monate alten Sohn auf dem Arm wiegt und ihm zur Melodie von Bruder Jakob ein Gute-Nacht-Lied singt: „I love Jesus, I love Jesus. He’s my friend. He’s my friend …“
16 Stunden sind vergangen, seit die ersten Menschen an Bord der Sea-Watch gegangen sind. Seit Stunden versuchen Einsatzleiter Boere und Kapitän Ruben Lampart Unterstützung anzufordern. Das Boot mit der maximalen Personenkapazität von 150 Menschen ist mit 274 total überladen, kaum mehr manövrierfähig. „Ich kann nicht länger für die Sicherheit von Gästen und Crew an Deck garantieren“, brüllt der Kapitän in das Funkgerät. Die Antwort aus Rom kommt prompt und knapp: „Negativ.“ Keine Hilfe. Nicht jetzt. „Die Kriegsschiffe der EU-Staaten und die Frontex-Schiffe haben sich seit Anfang des Jahres weitgehend aus dem Suchgebiet zurückgezogen. Sie lassen uns allein hier draußen“, sagt Boere. „Man könnte meinen, sie wollen die Flüchtlinge bewusst sterben lassen.“
Denn nicht alle in Europa sind von der Arbeit der freiwilligen Helfer auf dem Mittelmeer begeistert. Seit Anfang des Jahres sind die Ehrenamtlichen – rund ein Dutzend NGO-Boote operieren derzeit in der Search-and-Rescue-Zone vor Libyen – immer wieder zur Zielscheibe verbaler Angriffe durch europäische Politiker und Offizielle geworden. Der italienische Anwalt Carmelo Zuccaro beschuldigte die NGOs, explizit auch Sea-Watch, mit den Schleppern in Libyen zusammenzuarbeiten. Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz warnte nach einem Besuch der europäischen Grenzschutzagentur Frontex im März auf Malta, der „NGO-Wahnsinn“ müsse gestoppt werden. Durch das Engagement der Freiwilligen würden mehr Menschen sterben anstatt weniger. Die Schlepper würden noch mehr überfüllte Flüchtlingsboote von Libyen aus losschicken, wenn sie wüssten, dass diese schon wenige Meilen vor der libyschen Küste aufgegriffen würden. Die Freiwilligen als Pull-Faktor, so argumentierte Kurz.
Inzwischen geht für die geretteten Flüchtlinge zum zweiten Mal die Sonne hinter dem Bug der Sea-Watch unter. 36 Stunden sitzen sie bereits auf dem Schiff fest. Es gibt niemanden, der ihnen mit Sicherheit sagen kann, wann und wie es für sie weitergeht. Das Trinkwasser wird knapp, die Essensvorräte auch, die Stimmung ist angespannt, die Menschen nervös. Gerade musste Einsatzleiter Boere einen Streit zwischen einer Gruppe Araber und einer Gruppe Westafrikaner schlichten, die sich um die letzten verbliebenen Wärmedecken geprügelt haben.
Narben auf dem Rücken
Quelle : Der Freitag >>>>> weiterlesen
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Grafikquelle : Während der von Frontex geführten Operation Triton im südlichen Mittelmeer rettet das irische Flaggschiff LÉ Eithne Menschen von einem überfüllten Boot, 15. Juni 2015