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Europa auf die Couch

Erstellt von Redaktion am Mittwoch 19. August 2015

Eine politische Familientherapie zur Lösung der Griechenlandkrise

Die Europa auf der Tribüne eines Fußballstadion

von Stephan Schulmeister

Der Leidensweg einer Familie von erster Entfremdung über einen Scheidungskrieg bis zur Trennung ist lang und hinterlässt keine Sieger. Vorwürfe tun weh und provozieren Gegenvorwürfe, man braucht Gründe für die eigene Enttäuschung und Wut, also sucht man im anderen das Schlechte. Was einem einmal gefallen hat, gilt nicht mehr. Im Kampf um die Kinder kommt man um Lügen und Intrigen nicht herum. Dann werden die Verwandten reingezogen, zum Schluss bekriegt man/frau sich um Finanzen und Besitz. Sind beide aneinander gekettet, weil eine(r) gesundheitlich oder finanziell zu schwach ist, steckt man/frau in einem zermürbenden Stellungskrieg fest.

Da kann nur eine Familientherapie helfen, also eine systemische Analyse der verbalen, intellektuellen und emotionellen Kommunikation – genau das Gegenteil der Suche nach dem/der Schuldigen. Hilfreich ist es, zurückzukehren zu den guten Zeiten und dann gemeinsam den Weg in Unglück und Verbitterung nachzugehen: Man/frau schaut sich die wichtigsten Ereignisse im Entfremdungsprozess an, auch – und gerade – mit den Augen des Partners (so gut es eben geht). Die Kinder helfen dabei, sie mögen ja Mama und Papa. Die Verwandten stören hingegen, sie nehmen fast immer Partei für den Partner aus ihrer Familie. Und es braucht Nachsicht, der erste Schritt dazu ist für den Stärkeren leichter als für den Schwächeren.

Es geht mir um Griechenland und die Szenen seiner Ehe mit den 18 Europartnern. Für mich ist dieser Konflikt eingebettet in eine Systemkrise Europas, ausgetragen wird er aber wie ein Ehekrieg mit wechselseitigen Herabwürdigungen, Beleidigungen, Lügen und Intrigen. Alle werden in den Krieg hineingezogen, nicht nur in Griechenland – in jedem EU-Land vertieft sich die Kluft. Dabei vermischen sich ökonomische, kulturelle und politische Konflikte. Für die einen geht’s um den Euro, für die anderen (klammheimlich) um die „faulen Griechen“ (aber listig wie Odysseus), für andere um ein neoliberales oder soziales Europa, wieder andere sehen einen Konflikt zwischen dem „ordentlichen“ Norden und den „schlampigen“ Süden. Die Medien kämpfen überwiegend auf der Seite ihres Landes. In den sozialen Netzwerken wird Krieg geführt wie nie zuvor in Europa, und zwar in jedem Land.

Was für ein Irrsinn! Die Beteiligten wissen ja: Eine Scheidung schadet allen, aber wenn der andere nicht nachgibt, dann geht es eben nicht anders. In diesem Stil wurde seit dem Wahlsieg von Syriza auf allen Ebenen gekämpft, in der Eurogruppe der Finanzminister und im Rat der Regierungschefs, in den Medien, an den Stammtischen und in den sozialen Netzen. Vorwürfe, Unterstellungen und Beleidigungen verstärkten sich wechselseitig. Ende Juni scheiterten die Verhandlungen, die griechische Regierung setzte ein Referendum an, die EZB fror den Geldzufluss ein, die Banken in Griechenland mussten schließen, dennoch stärkte die Bevölkerung im Referendum der Regierung den Rücken, aber umso mehr verhärtete sich die Position der 18 Partner unter deutscher Führung.

Seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte der Eskalationsprozess mit der Übereinkunft in den Morgenstunden des 13. Juli: Griechenland erhält ein drittes Hilfspaket, aber gegen entmündigende Auflagen, härter als jene, die es zwei Wochen vorher abgelehnt hatte. Das ist keine Aussöhnung, auch kein Waffenstillstand, sondern eine Kapitulation. Sogleich werden Verschwörungen kolportiert: Deutschland und seine Satelliten wollten die griechische Regierung stürzen, jedenfalls aber demütigen. Denn die Sparauflagen würden die Depression in Griechenland weiter vertiefen (was leider stimmt).

Politisch vertiefen sich die Risse zwischen Deutschland und Frankreich sowie zwischen dem Norden und dem Süden Europas (nach der Wahl in Spanien wohl noch mehr). Die Härte der Politik Deutschlands werde das Land – samt einigen Satelliten – isolieren in Europa. Auch im vierten Versuch werde es als „Möchtegern-Hegemon“ scheitern und dabei wieder großes Leid schaffen. Höhnisch hatte man den Ausgang des Referendums einen Pyrrhussieg Griechenlands genannt, die „Revanche“ Deutschlands könnte sich auch als ein solcher entpuppen.

So kann es nicht weiter gehen

Quelle: Blätter >>>>> weiterlesen

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Fotoquelle: Wikipedia – Urheber Wolfgang Hauser

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