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EU: Die Politik der Lager

Erstellt von Redaktion am Freitag 27. Juli 2018

Eine Politik der EU – Lager käme einer Beugung des Rechtsstaates gleich

File:Hungarian-Serbian border barrier 1.jpg

von Maximilian Pichl und Sonja Buckel

Eine „europäische Lösung“ in der Migrationspolitik wollte die durch den Unionsstreit innenpolitisch heftig unter Druck geratene Angela Merkel beim EU-Gipfel am 28. Juni erreichen. Doch obwohl sich die Bundeskanzlerin nach den Brüsseler Verhandlungen zufrieden zeigte, ist die Gipfelerklärung tatsächlich ein Zugeständnis an autoritär-nationalistische Politiker wie Sebastian Kurz, Matteo Salvini und Viktor Orbán.[1] Denn die Solidarität zwischen den EU-Mitgliedstaaten, von der in Art. 3 Abs. 3 des EU-Vertrages die Rede ist, spielte bei den Verhandlungen nur noch eine nebensächliche Rolle. Stattdessen wurde die Aufnahme und Umverteilung von Geflüchteten zu einer freiwilligen Angelegenheit erklärt. Mehr noch: Die Regierungschefs setzen ausschließlich auf Abschottung. So vage die Ergebnisse des EU-Gipfels – ebenso wie die Lösung des sogenannten Asylstreits zwischen CDU und CSU – auch sind, so formulieren sie doch ein gemeinsames Ziel: die Einrichtung von Lagern zur Internierung und Immobilisierung von Geflüchteten.

Auf diese Strategie setzen die EU-Staaten, weil sie die eigentlichen Ursachen sowohl für die Fluchtbewegungen nach Europa als auch für die Krise der EU nicht angehen wollen. Denn dazu müssten sie eine grundlegende politische Wende einleiten: Zentrale Fluchtursachen sind die ungleiche Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums zwischen globalem Norden und Süden, eine neokoloniale Ausbeutung der afrikanischen Staaten und die blutigen Kriege in der arabischen Welt. Gleichzeitig ist Europa durch die wettbewerbsstaatliche Integration der EU gespalten. Auch daraus resultiert die Uneinigkeit darüber, wer die Menschen aufnehmen soll, die vor den Folgen des Nord-Süd-Konfliktes fliehen. Im Ergebnis verfolgen die EU-Mitglieder eine klassische „Not in my Backyard“-Politik, bei der jeder Staat die Verantwortung von sich wegzuschieben versucht. Obendrein führt das Dublin-Regime zu einer überproportionalen Verantwortung der Staaten an den EU-Außengrenzen, die darauf mit verschiedenen Versuchen reagieren, die rechtlichen Vorgaben zu unterlaufen. So weigert sich der rechtsextreme italienische Innenminister Matteo Salvini derzeit, den Pflichten seines Landes aus den internationalen Seenotrettungsabkommen zu entsprechen.

Umgehung des Rechtsstaats

Diese Abschottungspläne kollidieren allerdings mit rechtsstaatlichen Grundsätzen, auf die sich die EU einst verständigt hatte: Sobald Geflüchtete das Territorium der EU betreten haben oder an den Außengrenzen von Hoheitsträgern der EU-Mitgliedstaaten aufgegriffen werden, gilt das europäische Asyl- und Migrationsrecht. Geflüchtete dürfen dann nicht pauschal zurückgewiesen und ihre Schutzgründe müssen in rechtsstaatlichen Verfahren geprüft werden. Lager sind jedoch Räume, in denen das europäische Recht oder Teile davon nicht mehr anwendbar sein sollen – sie sind Räume der Rechtlosigkeit.

Die jetzt anvisierten und zum Teil schon realisierten Lager lassen sich in vier Kategorien unterteilen: zum einen „kontrollierte Zentren“ an den EU-Außengrenzen, die den sogenannten Hot-Spots ähneln, die bereits 2015 in Griechenland und Italien eingerichtet wurden; zum anderen Transitlager an den EU-Binnengrenzen, die die CSU anstrebt; zudem außereuropäische Lager in Drittstaaten, die von der EU betrieben werden und beim EU-Gipfel als „regionale Ausschiffungsplattformen“ firmierten; und schließlich extraterritoriale Lager, die es in Drittstaaten wie in Libyen, Mauretanien oder der Ukraine bereits seit Langem gibt und das Ergebnis der europäischen Externalisierungsstrategie sind.

Hot-Spots als Freiluftgefängnisse

Die EU-Regierungen wissen, dass eine Auslagerung des Grenzschutzes an Drittstaaten nur überaus schwer zu erreichen sein wird. Deshalb findet sich im Abschlussdokument des EU-Gipfels – erstens – der Vorschlag, „kontrollierte Zentren“ auf europäischem Territorium aufzubauen. Dorthin sollen Geflüchtete gebracht werden, um ihre Verfahren zu überprüfen und sie aus diesen Zentren gegebenenfalls schnell abzuschieben.

Ähnliche Lager wurden bereits Ende 2015 als sogenannte Hot-Spots auf den griechischen Inseln eingerichtet. Über eines davon, das Camp Moria, schrieb die Journalistin Carolin Wiedemann jüngst: „In Moria auf Lesbos gibt es keine Engel. Moria ist der Ort, an dem die Europäische Union das opfert, wofür sie einst stehen wollte.“[2] In den Hot-Spots müsste eigentlich Europäisches Recht durchgesetzt werden. Da sich viele EU-Mitglieder aber weigern, Geflüchtete aus diesen Lagern aufzunehmen, und auch die Bundesregierung die versprochene Zusammenführung von Familienmitgliedern erheblich verzögert, sitzen die Menschen dort faktisch in einem Freiluftgefängnis fest.

Die Ergebnisse des EU-Gipfels werden diese Zustände zementieren. Denn eine Umverteilung von Geflüchteten aus den „kontrollierten Zentren“ soll nur noch freiwillig erfolgen. Das ist ein klares Zugeständnis an migrationspolitische Hardliner wie den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, der jede Form der Flüchtlingsaufnahme ablehnt. Die EU-Mitglieder zeigen sich also bedingt einig in der Abschottung nach außen. Zugleich schaffen sie es aber nicht, die Frage zu klären, wie das Europäische Asylrecht künftig aussehen soll. Davon zeugt auch, dass der EU-Gipfel die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) erneut verschoben hat.

Fiktion zur Nichteinreise

Der CSU-Bundesinnenminister Horst Seehofer wollte – zweitens – an der bayrisch-österreichischen Grenze sogenannte Transitzentren einrichten, aus denen Geflüchtete zurückgewiesen werden sollten. Die SPD verhinderte zwar geschlossene Haftzentren direkt an der Grenze, und die Geflüchteten sollen jetzt in grenznahe Einrichtungen der Bundespolizei oder in den Transitbereich des Münchner Flughafens verbracht werden. Aber die in Seehofers Vorschlag enthaltene „Fiktion zur Nichteinreise“ akzeptiert auch die SPD. Das heißt: Selbst wenn sich Asylsuchende faktisch auf deutschem Boden befinden, werden sie der rechtlichen Fiktion unterworfen, nicht nach Deutschland eingereist zu sein.[3] Damit wird das Flughafenverfahren, das es schon seit 1993 gibt, jetzt auch für Geflüchtete angewendet, die über europäische Binnengrenzen eingereist sind. Doch diese Fiktion ist schon im Flughafentransit hochproblematisch und beim Aufgriff von Personen innerhalb des Schengen-Raums wird sie es umso mehr. Denn in einem Europa der offenen Grenzen kann es das Rechtskonstrukt der „Nichteinreise“ über eine Binnengrenze nicht mehr geben, weil Kontrollen an diesen Grenzen nur noch in absoluten Ausnahmefällen nach Art. 23 ff. des Schengener Grenzkodexes möglich sind. Offensichtlich soll auf diese Weise also geltendes Recht ausgehebelt werden.

Auch wenn Seehofer die Transitzentren zunächst nicht in der gewünschten Form durchzusetzen vermochte, könnte diese „Fiktion zur Nichteinreise“ zur Blaupause werden, um Geflüchteten den Zugang zu normalen Asylverfahren zu verwehren. In der Praxis führt das Flughafenverfahren schon jetzt dazu, dass Geflüchtete oft nicht rechtzeitig mit Anwältinnen und Anwälten gegen negative Bescheide vorgehen können. Das Flughafenverfahren ist deshalb anfällig für fatale Fehlentscheidungen.[4]

Auslagerung nach Afrika

Quelle     :        Blätter         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquelle      :      Zaun an der serbisch-ungarischen Staatsgrenze.

Source http://www.delmagyar.hu/szeged_hirek/ketfajta_ideiglenes_hatarzar_epul_a_szerb_hataron/2438738/
Author Photo: Délmagyarország/Schmidt Andrea
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