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Es reicht! Ein KEA erklärt sich

Erstellt von Redaktion am Dienstag 16. Oktober 2012

KEA – Kölner Erwerbslose in Aktion 

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Autor: Hansi Hirsch

Die soziale Lage in der Bundesrepublik Deutschland, in ganz Europa und der restlichen Welt ist nicht mehr hinzunehmen. Ein zügelloser Kapitalismus uferte (erneut) endgültig aus und als Betroffener und Verlierer dieses menschenverachtenden Systems bleiben einem nur die Akzeptanz der Opferrolle oder aber die Flucht nach vorn.

Ein Leben mit dem Amt

Seit Beendigung meiner Schulzeit bestand mein Lebenslauf einzig daraus, mich von Ämtern verwalten zu lassen oder dem gescheiterten Versuch der Verfolgungsbetreuung zu entgehen. Berufsvorbereitungsjahr, geförderte Ausbildung, jobben als Aufstocker, Leistungsbezug, Maßnahmen. Wohin man auch geht, der Staat sitzt einem gängelnd im Nacken. Wer nicht das Glück hat, einen angemessen bezahlten und sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz zu bekommen, wird zum Halmapüppchen degradiert, das man nahezu beliebig von einer Fit-für-den-nicht-vorhandenen-Job-Maßnahme zur nächsten schicken, zurück auf Start setzen kann oder schlimmstenfalls außerhalb des Spielfelds zu parken. Bis auf Weiteres oder halt bis zum Tod.

Aufgewachsen im Osten und mitten in der „Generation Krise“

Mit Beginn der gesellschaftlich hochgejubelten Wiedervereinigung war die permanente Perspektivlosigkeit ein ständiger Begleiter. Schon sehr früh bot die kapitalistische, auf Konkurrenzprinzip gebaute Ellenbogengesellschaft keinerlei Anreiz, „erfolgreich“ sein zu wollen. Der wohlhabende, ausgrenzende Täterstaat Deutschland erzeugte nichts als Ekel und Abscheu. Ein ständiger Kampf entgegen jeder freien Selbstbestimmung oder gar Zuversicht. Der Bogen schon zu lange überspannt. Der permanent staatliche Druck, nun die Motivation, entschiedenen Widerstand zu leisten. Schluss mit Fordern (oder besser gesagt: blankem Zwang) statt Fördern. Die Grenze der Kooperation mit dem Jobcenter ist erreicht. Ziviler Ungehorsam die gewählte Waffe und der Ausdruck meiner Wut, meiner Fassungslosigkeit, auch meiner Verzweiflung.

Am 25.07.2012 teilte ich meinem Jobcenter in einem 16-seitigen Schreiben mit, dass ich mich dem Zwang, welcher meines Erachtens nach dem Grundgesetz in entscheidenden Punkten widerspricht, ja das SGB II sich in einigen Punkten sogar über das Grundgesetz stellt, nicht länger beugen werde. Für eine vorgelegte Eingliederungsvereinbarung verweigerte ich die Unterschrift, einem drohenden Verwaltungsakt widersprach ich, bevor er überhaupt veranlasst wurde. Auf die ausführliche Stellungnahme erfolgte ein lapidarer Verwaltungsakt, auf dem ebenfalls ein schriftlicher Widerspruch erfolgte. Das Amt interessiert sich nicht für meine persönlichen Lebensvorstellungen und ignoriert meine Teilnahme und alsbald auch meine Teilhabe an Gesellschaft.

Parallel dazu zerrte mich das Jobcenter Köln-Kalk vor das Amtsgericht, da ich es wagte, andere Betroffene dieses menschenverachtenden Systems über ihre Rechte aufzuklären, indem ich das Überlebenshandbuch der KEAs in der Wartezone verteilte. Das Verfahren wurde letztendlich eingestellt (nachzulesen hier).

Drohende Sanktion

Da jener Ver(ge)waltigungsakt keine aufschiebende Wirkung besitzt, werde ich nun akut mit einer ersten Sanktion mittels Absenkung der Leistungen in Höhe von 30% bedroht. Da ich mich auch weiterhin den Forderungen – solange diese meinen persönlichen Vorstellungen widersprechen – widersetzen werde, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis weitere Sanktionen drohen.

Wenn ich sanktioniert werde, werden Sozialgerichte oder im Idealfall das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe darüber entscheiden müssen, ob ein Mensch unter Androhung seiner existenziellen Vernichtung dazu gezwungen werden darf, sich den marktradikalen Gesetzen des Kapitalismus zu beugen.

Durch meine nachweisbaren ehrenamtlichen Tätigkeiten sehe ich die vermeintlichen Anforderungen der Gesellschaft, etwas für die staatlichen Almosen zurückzugeben, als völlig ausreichend erfüllt. Angesichts der Höhe des Regelsatzes, wobei die Lebenshaltungskosten immer etwas schneller steigen, als eine gönnerhafte und zynische Scheinangleichung des Regelsatzes, ist ein solches „Geschäft“ grundsätzlich fragwürdig. Die nackte Existenz und das (Über)Leben sollte ein weltweit unantastbares Menschenrecht sein. Genug für alle wäre vorhanden!

Nehmen sie dir die Existenzgrundlage, dann greif ihre an

Der Grundgedanke ist simpel, die Durchführung ein Kampf. Insbesondere die Sanktionsparagrafen 31, 31a und 31b SGB II verstoßen mitunter gleich gegen mehrere Artikel des Grundgesetzes. Angefangen beim wohl bekanntesten und viel zitierten Artikel 1 (Menschenwürde), aber auch gegen weitere Artikel, wie Artikel 2 (freie Entfaltung der Persönlichkeit), Artikel 6 (Schutz der Familie), Artikel 11 (Freizügigkeit), Artikel 12 (freie Berufswahl) und Artikel 13 (Unverletzlichkeit der Wohnung).

Als ich meinem Sachbearbeiter dies erst schriftlich, danach mündlich bei einem Termin begreiflich machen wollte, wiegelte er all meine Argumente mit den Worten ab, dass dies ja „alles total realitätsfremd“ sei. Damit steht für mich fest, das Jobcenter selbst gibt zu, sich für das höchste in Deutschland geltende Gesetz nicht zu interessieren und es als Utopie und Spinnerei zu verunglimpfen. Realitätsnah ist einzig und allein eine neue „soziale“ Marktwirtschaft, die unumwunden dafür eintritt, dass es völlig rechtens sei, Menschen am langen Arm verhungern zu lassen. Die sogenannte Sozialgesetzgebung führt sich schon begrifflich selbst ad absurdum.

Gedeihen oder sterben

Während der Mensch, ungefragt und zufällig, in Deutschland quasi in eine Eingliederungsvereinbarung hineingeboren wird, genießen wildlebende Tiere die Freizügigkeit innerhalb von Natur, sich an den Früchten selbst innerhalb staatlicher und privater Besitztümer zu ernähren. Viele von ihnen – je nach Veranlagung – sogar mit Jagdrecht. Ich bin landlos! Ich bin angewiesen auf Geld, auf den Verkauf meiner Arbeitskraft und letztlich auf die Existenz eines passenden Arbeitsplatzes. Ist dies – und Gründe hierfür können vielfältig sein – nicht gegeben, bin ich diesem Staat auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Dieser Staat drückt sich vor der Aufgabe, für das Wohl der in ihm lebenden Menschen verbindlich Verantwortung zu übernehmen und verbindet meine Einbürgerung per Geburt mit einem Vertrag, ohne sich mit mir vertragen zu haben.

Von den ersten Instanzen, den Sozialgerichten, wird man sich in dieser Frage sicherlich nicht viel Hilfe versprechen dürfen. Die Zeit ist reif, den Klageweg nach Karlsruhe freizuboxen, um zu klären, ob das Sozialgesetzbuch I bis XII tatsächlich geeignet ist, meine Menschenwürde und ein entsprechendes (Über)Leben i.S. des Grundgesetzes zu gewährleisten und zu schützen, sofern es diesen Anspruch möglicherweise gar nicht erhebt / erheben kann;
ob es vielleicht eines anderen Instruments bedarf, das diese Grundrechte jenseits des SGB zu gewähren hat; ob es moralisch und faktisch zulässig sein darf, jemanden finanziell auf 0 zu sanktionieren und somit sein Tod durch Verhungern billigend in Kauf genommen wird bis hin zu Fragen der Zwangsentmündigung von Menschen, Zwangsernährung oder das „sozialverträgliche Ableben“. Jeder Betroffene des SGB II, von Eingliederungsvereinbarungen und Verwaltungsakten, ist dazu eingeladen, sich diesem Kampf anzuschließen. Je mehr Menschen wieder ihre elementarsten Grundrechte einfordern, um so größer die Chance, dass es einer schafft. Kippt §31 SGB II in Karlsruhe, kippt auch das gesamte auf Zwang und Repression gebaute System Hartz IV, oder aber das Verfassungsgericht erkennt an, dass es neben Hartz IV eine andere Form sozialer Sicherheiten bzw. ein bedingungsloses Grundeinkommen geben muss.

Lasst uns Domino Day spielen!

Ein großer Dank an dieser Stelle nach Berlin an Ralph Boes, der die Strategie für diesen Kampf hauptsächlich entwickelte und Mut machte, es selber zu probieren.Nachfolgend eine Auflistung der Schreiben, die ich meinem Jobcenter geschickt habe. Die Liste wird zukünftig vervollständigt und aktualisiert:

Erstveröffentlichung Originalartikel auf die-keas.org

Bereits Ralph Boes hat deutlich auf die Menschenunwürdigkeit des Verhaltens seiner Arge hingewiesen – verfolgbar auf den gelisteten Links.
Wie Ralph wünschen wir auch Hansi Durchhaltevermögen und Standhaftigkeit in dem Bemühen, der systematischen Versklavung von Hilfeempfängern entgegenzutreten.
Wir verweisen in diesem Zusammenhang auch auf den vorigen Artikel auf DL, in dem eine ARGE-Mitarbeiterin berichtet.

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Grafikquelle  :

Source Own work
Author Huluvu42424
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