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Erstaunliche Ost – Allianzen

Erstellt von Redaktion am Samstag 5. Oktober 2019

Das Ende der erstaunlichen Allianzen im Osten

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von Christophe Jaffrelot

Im geopolitisch wichtigen Großraum zwischen Arabischer Halbinsel und indischem Subkontinent sind die traditionellen Loyalitäten brüchig geworden.

Als sich Pakistan 2015 weigerte, Truppen nach Jemen zu entsenden, um die Intervention Saudi-Arabiens zu unterstützen, war die Überraschung groß. Um Iran nicht zu verärgern, nahm Islamabad damals eine Eintrübung der Beziehungen zu Riad in Kauf. Doch seitdem haben sich die bilateralen Beziehungen wieder verbessert. Im Ernstfall ist die pakistanische Armee – eine der schlagkräftigsten in der muslimischen Welt – für die saudische Königsfamilie noch immer der verlässlichste Partner.

Nach der Absage 2015 hat die pakistanische Regierung schon wieder mehrfach versöhnliche Signale ausgesandt. Zum Beispiel stimmte sie im April 2017 der Berufung des früheren Chefs der pakistanischen Armee, General ­Raheel Sharif, an die Spitze der Islamischen Militärkoalition IMCTC zu. Die Operationszentrale der Islamic Military Coun­ter Terrorism Coalition – auch „Islamische Nato“ genannt1 – befindet sich in Riad. Das militärische Bündnis wurde von den Saudis 2015 ins Leben gerufen, um den Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) zu koordinieren, aber eben auch die Intervention im Jemen, aus der sich Pakistan unbedingt heraushalten will.

Ein zweites Beispiel: Im März 2018 hat Pakistan sein in Saudi-Arabien stationiertes 670-Mann-Kontingent um weitere 1000 Soldaten aufgestockt – offiziell zu Ausbildungs- und Beratungszwecken.2

Ein entscheidender Faktor ist für Pakistan die finanzielle Abhängigkeit von den Saudis. Und zwar nicht nur wegen des Geldes, das die 3 Millionen in Saudi-Arabien beschäftigten Gastarbeiter in die Heimat überweisen3 , sondern mehr noch wegen der Finanzspritzen und Investitionen, mit denen Riad dem chronisch klammen „Land der Reinen“ (was der Name Pakistan auf Urdu bedeutet) unter die Arme greift.

Das Land ist derart klamm, dass Premierminister Imran Khan einen Monat nach seiner Vereidigung am 18. August 2018 seine erste offizielle Auslandsreise nach Saudi-Arabien und in die Vereinigten Arabischen Emirate unternahm. Wenig später kündigte der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman (gern als MBS abgekürzt) Finanzhilfen von 3 Milliarden Dollar an, weitere 3 Milliarden Dollar unbezahlter Ölrechnungen wurden den Pakistanern gestundet. Auch die Emirate legten weitere 3 Milliarden Dollar drauf.

Im Oktober 2018 reiste Imran Khan erneut nach Riad. Mitte Februar 2019 folgte der Gegenbesuch von MBS in Pakistan. Es war die erste Auslandsreise von Salman in Richtung Osten – nur vier Monate nach der Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul, die wahrscheinlich von MBS angeordnet war.

In Islamabad sagte der saudische Kronprinz Investitionen in Höhe von 20 Milliarden Dollar zu, davon 8 Milliarden für den Bau einer gigantischen Raffinerie in Gwadar. In dieser Stadt im äußersten Südwesten Pakistans betreiben die Chinesen im Rahmen ihrer Neuen-Seidenstraße-Initiative das Projekt eines Tiefwasserhafens mit angeschlossener Sonderwirtschaftszone.

Bei seiner Visite in Pakistan behielt MBS die diplomatische Dimension fest im Blick. Er kündigte die Freilassung von 2100 der insgesamt 3000 inhaftierten pakistanischen Gastarbeiter an (in Saudi-Arabien sind mehr als 1 Million Menschen aus Pakistan vor allem als Bauarbeiter und Hausangestellte beschäftigt). Außerdem sprach er sich zur Freude Islamabads gegen Versuche aus, die UN-Liste terroristischer Organisationen politisch zu „instrumentalisieren“. Das richtete sich gegen die Bemühungen Indiens, den Anführer der von Pakistan aus operierenden Terrorgruppe Jaish-e Mohammed, Masud Azhar, auf diese Liste zu setzen. Die Organisation hatte sich zu dem Anschlag von Pulwama bekannt, bei dem im Februar dieses Jahres 41 indische Soldaten im Bundesstaat Jammu und Kaschmir ums Leben kamen. Am 1. Mai 2019 wurde Azhar allerdings doch auf die UN-Terrorliste gesetzt.

Für die Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Pakistan gibt es zwei weitere Gründe. Zum einen streben beide Länder in Afghanistan eine Verhandlungslösung an. Sie wollen mit vereinten Kräften verhindern, dass Indien und Iran den Rückzug der angekündigten US-Streitkräfte nutzen, um engere Beziehungen mit Kabul zu entwickeln. Dabei zählt MBS offenbar auf Imran Khan und mehr noch auf den neuen Generalstabschef Qamar Javed Bajwa, mit dem er bei seinem Besuch ebenfalls konferierte. Zum anderen möchte Islamabad den saudischen Draht ins Weiße Haus nutzen, um das strapazierte Verhältnis zu Washington zu verbessern.

Das ist inzwischen gelungen. Jedenfalls war das Treffen zwischen Imram Khan und Donald Trump vom 22. Juli ein Erfolg. Der US-Präsident setzt darauf, dass der pakistanische Regierungschef die Taliban drängt, mit der Regierung in Kabul zu verhandeln und damit einen Abzug der US-Truppen aus Afghanistan zu erleichtern. Als Gegenleistung bot Trump zwei Konzessionen an. Erstens will er den Vermittler zwischen Indien und Pakistan spielen, insbesondere in der Kaschmir-Frage. Zweitens stellt er technische Hilfe in Aussicht, um die F-16-Kampfflugzeuge der pakistanischen Luftwaffe zu modernisieren.

Während die Abhängigkeit Pakistans von Saudi-Arabien ständig größer wurde, vollzog sich eine ähnliche Annäherung zwischen Indien und Iran, die sich in jüngster Zeit noch beschleunigt hat. Im Dezember 2018 unterzeichneten beide Länder ein bilaterales Abkommen über den iranischen Hafen Tschahbahar, der nur 70 Kilometer westlich des von den Chinesen finanzierten Hafens Gwadar in Pakistan entfernt ist. Tschahbahar ist für die Inder das Tor nach Afghanistan und ganz Zentralasien, über das sie – unter Umgehung von Pakistan – ihre Handelsbeziehungen mit Kabul intensivieren können.

Kaum war das Abkommen unterzeichnet, vergab die iranische Regierung die Lizenz zum Betrieb des Hafens an ein indisches Joint Venture, das vom privaten Jawaharlal Nehru Port Trust und dem öffentlich-rechtlichen Deendayal Port Trust gebildet wurde. Die Trump-Administration verzichtete bei diesem Projekt auf ein Embargo mit der Begründung, es komme der Entwicklung Afghanistans zugute.

Seit Teheran sich Neu-Delhi annähert und sogar präferenzielle Handelsbeziehungen mit Indien anstrebt, werden die iranischen Beziehungen zu Islamabad immer schlechter. Ein Streitpunkt ist der grenzüberschreitende Terrorismus, den die iranischen Behörden für einen Anschlag im iranischen Teil der Region Belutschistan verantwortlich machen. In dieser Provinz Sistan-Belutschistan kamen im Februar 2019 insgesamt 27 Angehörige der iranischen Revolutionsgarden ums Leben. In der mehrheitlich sunnitischen Grenzregion sind Dschihadistengruppen aktiv, die immer wieder Anschläge verüben. Durch die an Afghanistan und Pakistan grenzende Provinz verläuft zudem auch eine Drogenschmuggler­route.

Nach dem Anschlag prangerte Aja­tollah Ali Chamenei die Rolle der „Spio­nage­dienste bestimmter Länder in der Region“ an – ein kaum verhüllter Hinweis auf den pakistanischen Geheimdienst ISI (Inter-Services Intelligence).5 Noch weiter ging der Kommandeur der Revolutionsgarden, Generalmajor Mohammad Ali Dschafari: „Die pakistanische Regierung gewährt diesen revolutionsfeindlichen Kräften, die den Islam bedrohen, Unterschlupf … Die Sicherheitsorgane halten ihre schützende Hand über sie.“ Falls die pakistanische Regierung die Terroristen nicht bestrafe, drohte er mit „Vergeltungsmaßnahmen gegen diese revolutionsfeindlichen Kräfte“.6 Zudem stellte Teheran erstmals fest, dass drei der sechs Terroristen Pakistaner seien.7 Davor hatte man stets Iraner für die Anschläge verantwortlich gemacht.

File:2007 08 21 China Pakistan Karakoram Highway Khunjerab Pass IMG 7322.jpg

Die Herausbildung der Achsen Pakistan–Saudi-Arabien und Indien–Iran schließt andere Beziehungen keineswegs aus. Für die Saudis ist Pakistan mitnichten der einzige Verbündete in Südasien, sie intensivieren seit einiger Zeit auch in ihr Verhältnis zu Indien, dem Erzfeind Pakistans. Es begann 2016 mit einem Besuch des indischen Premierministers Narendra Modi in Riad. 2018 folgte eine zweite Visite. Im Februar 2019 flog Mohammed bin Salman direkt nach seinem Besuch in Islamabad für zwei Tage nach Neu-Delhi. Dort bekräftigte er seinen Wunsch, bei der Terrorismusbekämpfung zu kooperieren, und kündigte einen Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen an.

Schon jetzt gehört Saudi-Arabien neben den Vereinigten Arabischen Emiraten und dem Irak zu den drei wichtigsten Erdöllieferanten Indiens; dagegen sind die Importe aus Iran wegen der US-Sanktionen um 40 Prozent zurückgegangen. Seither hat sich das Handelsvolumen zwischen Indien und Saudi-Arabien von 14 auf 28 Milliarden Dollar verdoppelt. In Delhi stellte MBS Investitionen von 100 Milliarden Dollar in Aussicht; der Staatskonzern Saudi Aramco steigt mit 15 Milliarden beim indischen Mischkonzern Reliance ­Industries ein, wofür er 20 Prozent der Raffinerie- und Petrochemiesparte über­nimmt.

Quelle     :     Le Monde diplomatique          >>>>>            weiterlesen

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Oben         —          Verkehrsschild in der Wüste Oman

Author Franzfoto

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Unten        —           Karakoram Highway over Khunjerab Pass between China and Pakistan is the highest elevation International Border Crossing in the World.

Author Anthonymaw
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