Erpressung vor EU-Beitritt
Erstellt von DL-Redaktion am Donnerstag 20. Januar 2022
Das Aufnahmeverfahren für EU-Mitgliedsanwärter verlangt Einstimmigkeit
Von Jana Lapper
Für Nord Mazedonien bedeutet dieser Mechanismus riesige Hindernisse. Nord Mazedonien ist wiederholt dem politischen Willen eines einzelnen EU-Staates ausgeliefert.
Ausgerechnet an einem kleinen und vielen in Westeuropa weitgehend unbekanntem Land zeigt sich, was in der Europäischen Union ganz grundsätzlich schiefläuft. Nord Mazedonien mit seinen rund 1,8 Millionen Einwohner:innen, eingekeilt zwischen Albanien, Kosovo, Griechenland und Bulgarien, möchte Teil der EU werden. Die ersten Schritte in diese Richtung hatte das Land schon 2004 getan – nach Slowenien und noch vor Kroatien. Beide Länder sind längst Mitglieder der EU, während Nord Mazedonien von einer Hürde zur nächsten stolpert. Die jüngste: das Veto Bulgariens, das nun seit 2020 den Start der Beitrittsgespräche blockiert.
In dieser Causa haben sich der erst seit Montag amtierende Ministerpräsident Dimitar Kovačevski, und sein bulgarischer Kollege, Kirill Petkow, am Dienstag in Skopje zu Gesprächen getroffen. Petkow ist selbst erst seit wenigen Wochen im Amt und hatte angekündigt, die Beziehungen zu Nordmazedonien neu aufzurollen. Zur Enttäuschung Skopjes beharrt aber auch er auf vielen der bisherigen Forderungen Bulgariens. Demnach soll Nordmazedonien unter anderem einräumen, dass seine Sprache und Kultur bulgarische Wurzeln haben und der bulgarischen Minderheit im Land einen offiziellen Status verleihen – zwei Themen, die jedoch nichts mit EU-Gesetzen zu tun haben. Ansonsten würde es bei dem Veto bleiben. Für viele in Nordmazedonien gleicht das einer Verneinung der eigenen „Identität“ und ist daher ein rotes Tuch.
Mit solchen Erpressungen kennt sich Nordmazedonien bereits bestens aus. Griechenland hatte über Jahre dem Land den ersehnten EU-Beitritt aufgrund eines Namensstreits versperrt. Kovačevskis Vorgänger, Zoran Zaev, der sich ganz dem angestrebten Beitritt verschrieben hatte, ging sogar so weit, 2018 den Namen „Mazedonien“ zu ändern, um das Nachbarland mit der gleichnamigen Provinz zufriedenzustellen. Der Schritt war umstritten, doch die Hoffnung auf Europa wog schwerer.
Dann aber stoppte Frankreich den Prozess – auch für Albanien, das nur im Zweierpack mit Nordmazedonien seinen Weg in die Union finden sollte. Emmanuel Macrons Plädoyer lautete: Die EU muss den gesamten Prozess reformieren, erst dann könne es Richtung Osten weitergehen. Im März 2020 sollte es dann endlich losgehen für die beiden Balkanländer – als sich überraschend Bulgarien mit einem polternden „Ne!“ zu Wort meldete.
Seitdem ist Nordmazedonien wiederholt dem politischen Willen eines einzelnen EU-Staates ausgeliefert. Dabei sollte die Erweiterung der Union eigentlich neutral ablaufen. Dass aber alle 27 Mitgliedstaaten den Schritten der Beitrittsprozesse zustimmen müssen, birgt die Gefahr, dass sie diese Macht politisch für sich nutzen – wie es in diesem Fall Bulgarien tut. Denn die Blockade gegen Nordmazedonien sollte dem damaligen bulgarischen Ministerpräsidenten Bojko Borissow vor allem innenpolitisch nutzen. Mit dem Schritt wollte er seinem nationalistischen Koalitionspartner schmeicheln.
Die politische Komponente der Beitrittsverhandlungen wird deutlich, wenn man sich die Liste der Länder anschaut, die sich bereits mitten im Prozedere befinden: Die Türkei, Serbien und Montenegro sind allesamt Staaten mit massiven Defiziten in den Bereichen Menschenrechte, Pressefreiheit und Korruption. Nordmazedonien und Albanien hingegen haben viele Reformen unternommen, um der EU näher zu kommen, von der Umbenennung des eigenen Landes bis zu juristischen Reformen. Natürlich bleibt auch hier viel zu tun. Der Vergleich mit Serbien, Montenegro und der Türkei lässt trotzdem Zweifel an der Gerechtigkeit des Prozesses aufkommen.
Nicht zuletzt schaffen die recht vagen Forderungen Bulgariens einen gefährlichen Präzedenzfall überall dort, wo Geschichtsschreibung und Identität zur Disposition stehen. Das ist insbesondere auf dem Balkan der Fall, wo Streit über gemeinsame Geschichte und Sprache an allen Ecken gärt. Dass etwa Serbien jemals einem EU-Beitritt Kosovos oder Bosnien und Herzegowinas zustimmen würde – beides potenzielle Kandidaten –, scheint vor diesem Hintergrund unmöglich. Hier muss sich die EU dringend etwas einfallen lassen, um solchen Mechanismen vorzugreifen.
Quelle : TAZ-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Carte du conflit de 2001 en Macédoine