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Erkaufte Empathie

Erstellt von Redaktion am Dienstag 12. Juni 2018

Der Vergleich von Ossis und Migranten ist im Kommen.

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Von Anetta Kahane

Doch er beruht auf einem groben Denkfehler. Eine Replik auf Naika Foroutan.

In einem Interview mit der taz hat Naika Foroutan eine Studie angekündigt, in der die Lage der Ostdeutschen und der Migranten verglichen wird. Mit der Fragestellung, ob nicht beide Gruppen genauso diskriminiert werden und damit Erlebniswelten teilen, die geprägt sind von Demütigung, Abwertung und Benachteiligung. Täter in beiden Fällen: der Westen.

Nun, vergleichen kann man alles. In den ersten Jahren nach der Einheit, als im Osten ganze Landstriche von Rechtsextremen beherrscht und sichtbare Minderheiten aller Art gehetzt und getötet wurden, gab es kaum Ost und West vergleichende Forschung zu Rassismus oder Antisemitismus. Das war eine vertane Chance. Das zentrale deutsche Thema, der Umgang mit Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus, war bis auf wenige Ausnahmen ausgeblendet.

Gegenwärtig erlebt der Osten eine Renaissance. Er passt in das Heimat- und Identitätsgeschwurbel der letzten Jahre. Er passt, weil im Osten ein riesiges Forschungsfeld für das Unverstellte, das Authentische bereitsteht, „unverschmutzt“ durch Einwanderung und andere ambivalente, ungleichmachende Westprodukte. Ostdeutschland, ein natürlicher Quell von Gefühlen gegen Kapitalismus, gegen Amerika und Israel, gegen den kalten, urbanen, abstrakten Universalismus, dem man längst nicht so viel abgewinnen konnte wie Russland mit seiner großen Seele. Wie man jene Atmosphäre, die nach kleinlicher Provinz und angehaltenem Atem roch, bis heute als Sehnsuchtsort beschreiben kann, ist mir schleierhaft.

Vielleicht lässt sich das mit dem ostdeutschen Gemeinschaftsgefühl erklären. Alles, was mit Identität zu tun hat, ist wieder stark im Kommen. Volkssolidarität und Völkerfreundschaft, freilich exklusiv für weiße Mehrheitsossis, sind bis heute das Ideal der Kleinbürgermilieus. Solidarität des Volkes gegen „die da oben“ und Völkerfreundschaft nach dem Modell des Ethnopluralismus: Völker grüßen einander, begegnen sich manchmal, um dann wieder schnell zurück ins Eigene zu huschen. Ohne Vermischung, versteht sich. Auch das passt in die Zeit der Identitätspolitik.

File:Karikatur Merkel Politikerdiäten.jpg

Seitdem Pegida, AfD und Neurechte direkt und indirekt Ton und Inhalt der Debatten bestimmen, werden auch Stimmen lauter, die über Diskriminierung von Ossis klagen. Immer wieder melden sich in letzter Zeit Prominente zu Wort, die sich mehr Ostdeutsche in Politik, Medien und Wirtschaft wünschen. Einer der großen Fehler der Nachwendezeit zeigt hier seine Wirkung. Statt, wie nach dem Krieg in der Bundesrepublik, das Aufbauprogramm inklusive der NS-belasteten Menschen voranzutreiben, wurde das Aufbauprogramm Ost ohne die DDR-Sozialisierten vorgenommen. Der gesamte Mittelbau der DDR erlebte Warteschleifen, Abwicklung, ABM-Maßnahmen. Diese Generation ist, bedingt durch Wendeschock und DDR-Erziehung, bis in die Knochen passiv-aggressiv. Bei ihren Kindern löste ihr dumpfes Leiden vor allem Wut aus. Diese Wut war symbiotisch mit den Eltern, kein Aufbegehren gegen sie, nur gegen das System. Diese Wut war einer der Auslöser für die rechtsextreme Dominanz unter Jugendlichen in Ostdeutschland.

Quelle   :       TAZ          >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen     :

Oben    —      Birlikte – Podiumsdiskussion mit Heiko Maas (Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz), Stefan Aust (Journalist), Mehmet Daimagüler (Rechtsanwalt im NSU-Prozess), Anetta Kahane (Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung), Abdulla Özkan (Augenzeuge). Moderation Hans-Ulrich Jörges, Mitglied der stern-Chefredaktion. Ort: Depot des Schauspiel Köln Foto: Anetta Kahane.

 

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