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Endstation Agadez – Niger

Erstellt von Redaktion am Dienstag 19. Dezember 2017

Wie Niger die Fluchtrouten dichtmacht

File:Niger Army 322nd Parachute Regiment.jpg

Von Christian Jakob

Schlepper Hussein Chani ist arbeitslos. Niger hat die Reisestrecken durch die Sahara geschlossen. Jetzt ist die Fahrt nach Europa noch gefährlicher.

AGADEZ taz | Issak Abdou läuft über seinen Kasernenhof wie ein Gebrauchtwagenhändler beim Schlussverkauf. In langen Reihen stehen die weißen Toyotas auf dem Armeestützpunkt von Agadez am Südrand der Sahara. Die Hände auf dem Rücken schreitet Abdou hindurch, sein Adjudant dicht hinter ihm, die Kalaschnikow im Arm. „Der da: 7 Millionen Francs“, sagt Abdou und nickt in Richtung eines Pick-ups. „Der da: 10 Millionen.“

15.000 Euro sind das umgerechnet, doch zu verkaufen ist der Wagen nicht. Abdous Kasernenhof ist eine Asservatenkammer. Noch vor Kurzem war jedes dieser Autos unterwegs zwischen Agadez in Niger und Libyen. Nigerianer, Senegalesen, Kameruner oder Gambier auf der Ladefläche, 1.500 Kilometer, drei Tage Fahrt, wenn alles glatt lief. Jetzt verschwinden die auf den Fahrzeugen verbliebenen Besitztümer der einstigen Passagiere unter dem Wüstenstaub wie Relikte einer vergangenen Zivilisation: alte Schuhe, leere Tablettenpackungen, Wasserkanister mit Bärchenbildern für die Kinder. Und ein Koran. Ein Koran? Abdou klopft ihn ab und nimmt ihn an sich. Das Wort Gottes darf nicht im Schmutz liegen.

Nebel und Sand verschmelzen zu staubgrauem Dunst, für Saharaverhältnisse ist es kühl an diesem Vormittag. An der Seite steht ein Soldat im Unterhemd, er wäscht ein Panzerfahrzeug mit einem Wasserschlauch wie ein Tierpfleger einen schmutzigen Elefanten. Ein paar Soldaten bestücken ihren Spähwagen mit Munitionsketten, bevor sie zur Patrouillenfahrt durch die Wüste aufbrechen.

Pick-Ups als Zeugnisse der verbotenen Reise

Vor drei Jahren wurde Abdou Kommandant. Bald darauf beschloss das Parlament von Niger ein Gesetz mit der Nummer 2015-36 gegen Menschenschmuggel. Seitdem muss Issak Abdou die Fahrer, die Menschen durch die Wüste bringen, verhaften lassen. Ihre Autos werden beschlagnahmt, 107 sind es mittlerweile. Fast genauso viele Fahrer sitzen in den Gefängnissen der Wüstenstädte Agadez und Bilma. Die meisten warten auf ihren Prozess. Bis zu 30 Jahre Gefängnis drohen ihnen. „Früher war legal, was sie getan haben“, sagt Abdou. „Jetzt gilt es als Menschenhandel. Ist schlimmer als mit Drogen oder Waffen zu dealen.“

Die beschlagnahmten Pick-ups sind Zeugnisse der Strapazen, die die Menschen auf sich genommen haben, um näher an Europa heranzukommen. Die Ladefläche des Toyota Hillux Single Cab, Baureihe 7 – das Modell, das fast alle Schlepper hier benutzten – ist 231 Zentimeter lang und 152 Zentimeter breit, etwas größer als ein Bett. Je 25 Menschen sind darin durch die Wüste gefahren. Abdou hebt einen Knüppel auf, der im Sand liegt. Er steckt ihn zwischen seine Beine, geht etwas in die Knie und umklammert das Holz mit beiden Händen. „So haben die sich festgehalten. Sonst hält das kein Mensch aus“, sagt er.

File:Niger highway overloaded camion 2007.jpg

Je näher die Migranten auf dem Weg nach Europa ihrem Ziel kommen, desto mafiöser, teurer und gefährlicher ist die Reise. Zu Beginn können sie für wenig Geld Busse besteigen, am Ende zahlen sie ein Vermögen für eine lebensgefährliche Bootsfahrt. Agadez ist eine Zäsur in diesem Kontinuum. Bis zu diesem Ort ist das Recht auf ihrer Seite. Jenseits davon gibt es nichts mehr, auf das sie sich verlassen könnten.

Ein schlaffes Seil über der Straße

Tourayet ist ein 100-Seelen-Dorf, einige Fahrstunden östlich von Agadez. Auf dem Weg wechseln sich Geröll, Sand und Buschland ab. Am einzigen Brunnen tränkt eine Gruppe Touareg ihre Kamele. Hin und wieder schälen sich die Konturen von Lkws aus dem staubigen Horizont. Sie schwanken im Schritttempo über die Piste, aberwitzig hoch beladen mit Hunderten Bündeln, billig erworbener Importfracht aus Libyen.

Am Ortseingang von Tourayet hängt ein Seil schlaff über der Straße, in ein paar Hütten bieten Händler Brennholz und gegrillte Ziege an. Tourayet ist einer der vielen Kontrollposten auf der Route durch die Sahara. Auf dieser gibt es hin und wieder Brunnen, kleine Siedlungen und etwas Verkehr. Unfälle bleiben so nicht unbemerkt.

Der Nationalgardist Hamdou steht neben seinem Jeep, kaut auf einem Stück Miswakholz herum und schaut zu, wie ein roter Lastwagen anrollt. Gut 30 Männer sitzen auf der Ladefläche. Sie tragen weite Gewänder, ihre Köpfe verschwinden in Turbans, die Gesichter sind nicht zu erkennen. Der Fahrer steigt aus, in der Hand eine blaue Mappe. Die Gendarmen blättern sie langsam durch, dann nehmen sie das Seil zur Seite und der Wagen fährt weiter.

„Das sind Nigrer. Die wollen zu einer Mine hier in der Nähe, Gold suchen“, sagt Hamdou. „Nigrer und Libyer. Sonst kommt hier keiner mehr durch.“

Denn das Seil, das die Gendarmen bewachen, ist heute die Barriere, die den halbwegs sicheren Weg durch die Wüste für viele verschließt. „Jeden Montag, wenn in Agadez die Konvois losfuhren, kamen hier 200 Autos durch“, sagt Hamdou. Nach Zählung der Internationalen Organisation für Migration (IOM) haben 2016 im Schnitt 6.300 Menschen pro Woche Agadez Richtung Libyen und Algerien verlassen. Jetzt trippelt nur ein einsamer Esel über das Geröll. Seine Beine sind zusammengebunden, sodass er nur kleine Schritte machen kann. „Heute kommt keiner mehr“, sagt Hamdou. „Die Fahrer kommen in den Knast.“

Auf Straßen in der Wüste lauert der Tod

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