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Erstellt von Redaktion am Dienstag 6. März 2018

Überforderte Flüchtlingshelfer

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Aus Leros Maren Häußermann und Daniela Prugger

Alex und Mary-Jane haben einen stressigen Job und kriegen doch keinen Cent. Sie helfen Flüchtlingen auf der Insel Leros. Sie sind Menschen, die selbst dem Alltag entflohen sind.

LEROS taz | Sie hat den besten Job der Welt, das steht für Alexandra fest. Zwar wird man als freiwillige Helferin nicht bezahlt, aber man kann etwas bewirken, sagt die 23-Jährige. Mit einer Packung blauer Müllsäcke in der Hand und einem Lächeln auf den Lippen stapft die US-Amerikanerin über den schlammig-sandigen Boden. Der Regen prasselt auf ihre blassen Wangen und die runde Brille. Sie tippt einem jungen Mann aus Syrien auf die Schulter: „Es regnet, aber das wird lustig.“

Sie meint die Strandreinigung und fuchtelt mit einer Plastiktüte vor seinem Gesicht. Widerwillig greift er danach. Dann sprintet sie zum VW-Bus, dreht die Musik lauter und beobachtet sechzehn Flüchtlinge, wie sie sich am Strand nach Glasflaschen und Plastikbechern bücken. „Dreh lauter, Alex!“, ruft der Syrer. Alexandra läuft zur Gruppe zurück, ihre blonden Haare triefen. Mit den Geflüchteten und anderen freiwilligen Helfern tanzt sie im Regen. „Immer noch besser, als im Camp rumzusitzen“, sagt sie.

Alexandra Shaeffer wird hier bloß Alex genannt und von manchen als Idealistin bezeichnet. Oder als Gutmensch. Oder als Weltverbesserin. „Lass die reden“, sagt sie. Seit Jahresanfang ist sie Koordinatorin von Echo100Plus auf der griechischen Insel Leros. Die Hilfsorganisation bietet Freizeitaktivitäten und Sprachkurse für volljährige Flüchtlinge an.

Alex lässt den Motor aufheulen, dann setzt sich der VW-Bus ruckelnd in Bewegung. Hinter ihr liegt das Erstaufnahmezentrum für Flüchtlinge, zu dem außer Polizei und Militär niemand Zutritt hat, auch keine privaten Hilfsorganisationen oder Journalisten. Ein drei Meter hoher Stacheldrahtzaun, Überwachungskameras und Sicherheitspersonal sorgen dafür. An die prüfenden Blicke der Beamten hat sich Alex gewöhnt. Freundlich winkt sie zum Abschied. So wie sie es immer tut, wenn sie die Flüchtlinge mit dem Auto abholt oder absetzt, wie heute nach der Strandputzaktion. Leros ist eine 8.000-Einwohner-Insel und nach einiger Zeit, sagt Alex, kennt hier jeder jeden.

Alex fährt vorbei an Olivenbäumen und unfertigen Ferienhäusern. Sie kennt die kurvige Küstenstraße in- und auswendig. Nach zehn Minuten erreicht sie den Hafenort Lakki, nimmt im Kreisverkehr die zweite Ausfahrt und fährt einige hundert Meter am Ufer entlang. Nach ihrer Lieblingstaverne biegt sie rechts ab und hält abrupt vor einem dreistöckigen Haus mit nackter Fassade. Alex hat das Freizeitzentrum der Hilfsorganisation erreicht. 30 bis 40 Flüchtlinge kommen jeden Tag vorbei, nehmen an Deutsch- und Englischkursen, Kunst- und Sportunterricht teil. Über 200 freiwillige Helfer aus Europa, Nordamerika und Asien haben hier bereits gearbeitet. Manche bleiben einige Wochen, andere, wie Alex, monatelang.

Gleichgesinnte unter sich

„Ich liebe diesen Job, weil man dabei so viele Gleichgesinnte trifft, die unendlich engagiert sind“, sagt Alex. Gleichgesinnte, die etwas bewirken wollen. Gleichgesinnte, die zwischen Uni und Beruf stehen. Gleichgesinnte, die rauswollen, aus dem Alltag, dem sozialen Umfeld, ihrem Leben. Alex studierte Internationale Beziehungen, lebte eine Zeit lang in Berlin und dann in Zürich. Als ihr eine Freundin aus den Staaten von Echo100Plus erzählte, hat sie gerade ihr Bachelorstudium abgeschlossen. Der perfekte Zeitpunkt, um nach Griechenland zu gehen. Im Sommer 2017 arbeitete sie in einem Flüchtlingscamp bei Athen, seit Oktober ist sie auf Leros.

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Das ist eine Art unbezahltes Praktikum hier, sagt Alex. Hier sammelt sie erste Management-Erfahrungen. Zu ihren Aufgaben gehören: Treffen koordinieren, Aufgaben verteilen, Zeitpläne festlegen. Zusätzlich unterrichtet sie Deutsch. Nebenbei denkt sie auch an die Außenwahrnehmung der Organisation. Die Strandputzaktion soll vor allem bei den Einheimischen gut ankommen. Dass die Flüchtlinge den Sinn dahinter verstanden haben, bezweifelt sie. „Wir sollten uns was zum Thema Umweltverschmutzung und Klimaerwärmung überlegen.“ Ein Workshop, sagt Alex, „Irgend so was.“

Sie wirft einen Blick in die Runde, zwölf motivierte Helfer aus den USA, China, Frankreich, Holland, Trinidad und Großbritannien scharren sich um sie. Alle nicken zustimmend, dann geht die Arbeit weiter im Freizeitzentrum. Bastelmaterialien werden sortiert, E-Mails beantwortet, auch Fotos auf Facebook gepostet – ein Gruppen-Selfie von der Strandputzaktion.

Kaffeetrinken ist nicht immer nur einfach Kaffeetrinken

Jeder gibt 180 Prozent, sagt Alex, die weder Feiertage noch Wochenenden kennt. Den Neuen rät sie: „Eure Gesundheit geht vor. Macht Pausen.“ Doch auch sie wollen niemanden hängenlassen, immer helfen. Feste Arbeitszeiten gibt es nicht, um die Mahlzeiten kümmert sich jeder selbst. Was Alex den Neuen noch rät: „Schließt keine Freundschaft mit den Flüchtlingen. Gebt keine Telefonnummern raus.“ Die Organisation hat einen Verhaltenskodex zusammengestellt, der besagt: Die Beziehung zwischen Freiwilligen und Flüchtlingen gleicht der zwischen Lehrern und Schülern. Jedes Wort und jede Bewegung, die darüber hinausgeht, hat Folgen. Alex hat schon einige interkulturelle Missverständnisse miterlebt. „Was in unserer Kultur ein freundschaftliches Kaffeetrinken ist, ist in anderen Kulturen erst nach der Verlobung erlaubt“, warnt sie.

Quelle    :     TAZ        >>>>>     weiterlesen

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