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Einheimische Migranten?

Erstellt von Redaktion am Mittwoch 5. August 2020

Aber: Schon die Frage ist verkehrt

Bundesarchiv Bild 183-1990-0509-421, Berlin, Rumänische Asylanten.jpg

Von Jens Schneider

Nach Ausschreitungen wie in Frankfurt oder Stuttgart wird die Frage nach der Herkunft der jungen Leute aufgeworfen. Aber: Schon die Frage ist verkehrt.

Waren die Attentäter von Halle und Hanau „schlecht integriert“? Oder die Kinderschänder von Lügde und Bergisch-Gladbach? Haben die Pegida-Mitläufer*innen „Integrationsprobleme“? Offenkundig haben diese Leute Defizite in Bezug auf Grundwerte dieser Gesellschaft, aber niemand spricht von „Integration“ – weil die Täter ja „Deutsche“ sind und sich daher die Frage der „Integration“ nicht stellt? Nun stellt man fest, dass bei den Ausschreitungen in Frankfurt am Main und in Stuttgart ein nicht geringer Teil der jungen Leute einen „Migrationshintergrund“ hat – und schon geht es reflexartig um „Integration“. Es bringt uns in der Erklärung der Vorgänge nicht weiter, offenbart aber, dass die gesellschaftliche Wahrnehmung von Polizei, Medien und Politik in der Integrationsdebatte der 1990er Jahre steckengeblieben ist.

Damals waren in der Tat noch die meisten jungen Erwachsenen „mit Migrationshintergrund“ selbst zugewandert und sie waren nur eine Minderheit unter den jungen Erwachsenen in ihrer Altersgruppe. Das ist heute völlig anders: Bei den unter 21-Jährigen in Frankfurt und Stuttgart (und vielen weiteren süddeutschen Städten) hat deutlich mehr als die Hälfte einen „Migrationshintergrund“, es wäre also allein schon demografisch seltsam, wenn sie bei den Feiern nicht oder kaum dabei gewesen wären. Ebenso reflexartig meint man „gewaltbereite Geflüchtete“ zu erkennen, dabei ist der weit überwiegende Teil dieser jungen Leute – achtzig bis neunzig Prozent! – in Deutschland geboren, sie haben möglicherweise nur ein Großelternteil, das aus dem Ausland nach Deutschland gekommen ist – was übrigens auch aus der Schweiz sein kann.

Die Zuschreibung „Migrationshintergrund“ erklärt sehr wenig, sie überbetont aber das „Andere“ und „Fremde“ in Bezug auf junge Menschen, die so einheimisch sind, dass man ihnen nicht erklären muss, wie das so läuft in Deutschland und in Hessen oder dem Schwabenlande. Und spricht die Tatsache, dass auch für diese Jugendlichen der Alkohol zum Ausgehen und Feiern dazugehört, nicht gerade für „gelungene Integration“ (zumindest in den Teil der „Leitkultur“, der eine gute Party vor allem an der Menge des konsumierten Alkohols misst)?

DBP 1994 1725 Miteinander Leben.jpg

Sie verstellt aber auch den Blick auf möglicherweise tatsächlich relevante Erklärungen für die Ereignisse von Stuttgart und Frankfurt: Für Menschen mit einem nichtdeutsch klingenden Namen und/oder „nichtweißen“ Aussehen sind „Othering“-Erlebnisse, in denen sie also als „anders“ und „fremd“ gekennzeichnet werden, zu jeder Zeit und überall möglich. Sie beginnen in der Schule und reichen von der Wohnungssuche über das Ausgehen (wie viele Diskotheken in Frankfurt und Stuttgart lassen prinzipiell keine „arabischen“ und „afrikanischen“ Gäste rein?) bis zur Bedrohung von Gesundheit und Leben – Hanau ist potenziell überall. Anders als früher erleben aber heute auch die nicht als „migrantisch“ etikettierten Jugendlichen diesen Rassismus mit: Es sind ihre Freunde, die in die Disko nicht eingelassen werden oder der Polizei ihre Papiere zeigen müssen, während sie danebenstehen und dies nicht erleiden müssen – einfach nur, weil sie anders aussehen. Es mag sein, dass Corona die Frustration noch erhöht hat – sicher ist, dass es viel Wut gibt und die Polizei kein gutes Standing hat unter jungen Menschen in größeren Städten.

Quelle       :           TAZ       >>>>>           weiterlesen

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Grafikquelle       :

Oben          —        For documentary purposes the German Federal Archive often retained the original image captions, which may be erroneous, biased, obsolete or politically extremeBerlin, Rumänische Asylanten Berlin: Rumänische Arbeiter Spärlich ist die Behausung – aber es ist eine erste Unterkunft für 600 Rumänische Bürger, die in der DDR Asyl suchen. Seit Monaten campierten sie auf dem Lichtenberger Bahnhof unter unmenschlichen Bedingungen und zum Leidwesen de Fahrgäste. Nun ist ein Teil der Frauen, Männer und Kinder in der ehemaligen NVA-Kaserne in Berlin Kaulsdorf untergekommen. Hier erhalten sie wenigstens eine Bleibe für die Nacht und drei kostenlose Mahlzeiten täglich. Sie kamen als Touristen, deren Ziel der Westen war, um sich dort eine Existenz fern von Hunger und Nöten aufzubauen. Dort schob man sie aber als unerwünscht ab. Nun sind sie wieder in Ostberlin – auf der Suche nach Arbeit und einem menschenwürdigerem Leben.

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