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Eine Welt in Unordnung

Erstellt von DL-Redaktion am Mittwoch 16. August 2017

Der Rückzug der USA und die globale Multikrise

File:Tank in the DPRK Victory Day Parade.jpg

von Wolfgang Zellner

Wenn die Bundeskanzlerin dieser Tage darauf drängt, dass „wir Europäer […] unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen“ müssen,  bringt sie damit vor allem eine fundamentale Veränderung der globalen Lage auf den Punkt: Wir erleben derzeit den spektakulären Rückzug der USA aus multilateralen Regimen. Dieser Rückzug war zwar schon seit Längerem angelegt, er hat sich aber seit dem Machtantritt von Donald Trump massiv beschleunigt.

Den bisherigen Höhepunkt dieser Entwicklung markierte das G 7-Treffen im sizilianischen Taormina, wo es aufgrund der Position des neuen US-Präsidenten das Pariser Klimaabkommen nicht einmal mehr in das Abschlusskommuniqué schaffte – und der Kampf gegen den Protektionismus nur noch gerade so. Der anschließende tatsächliche Ausstieg von Donald Trump aus dem Klimaabkommen war denn auch nur folgerichtig. „Da waren es nur noch sechs“, lautete denn auch treffenderweise eine Überschrift in der FAZ.  Von einem Eintreten der US-amerikanischen Führung für eine wie auch immer geartete Weltordnung ist heute nichts mehr zu spüren, stattdessen regiert engste Interessenpolitik. Dies aber droht den ohnehin herrschenden Trend hin zu einer fortschreitenden Renationalisierung und Bilateralisierung der internationalen Politik weiter zu verstärken.

Der Rückzug der USA aus den internationalen Institutionen und Vereinbarungen wird bisher nur teilweise durch Staaten wie China und Indien kompensiert.  Zusammengenommen führt dies zu erheblichen globalen Governance-Defiziten, die für die derzeitigen Turbulenzen mitverantwortlich sind.

Die Europäische Union bleibt in vielen Bereichen globalen Regierens unverzichtbar, sie ist aber bis heute aufgrund ihrer eigenen Struktur- und Konstruktionsprobleme (fehlende Leitungsebene und akute Legitimationskrise) ein unsicherer Kandidat. Umso bedeutender werden daher halbinformelle Formate wie die G 7, G 8 oder G 20. Speziell angesichts des Debakels von Taormina kommt dem Hamburger G 20-Gipfel vom 7. bis 8. Juli besondere Bedeutung zu.

Wichtig bleibt festzuhalten, dass angesichts des Rückzugs der USA eine Beteiligung der BRIC-Staaten und dabei insbesondere Chinas am globalen Regieren unabdingbar ist. Damit kann aber – und das ist die harte realpolitische Konsequenz – die Existenz einer demokratischen Regierungsform nicht länger Voraussetzung und Kriterium für die Beteiligung an globalen Regierungsstrukturen sein. Ausschlaggebend sind vielmehr ausreichende und nachhaltige Beiträge für eine globale Governance. Wie auch immer diese definiert sein mögen, Rechtsstaatlichkeit sollte dazugehören.

Die substanzielle Schwächung des Multilateralismus durch den Rückzug, wenn nicht gar Ausfall der USA ist jedoch nur eines von zahlreichen großen Krisenphänomenen in der internationalen Politik. Das Spezifikum der neuen Lage: Die heutigen Krisen treten kaum noch als Einzelkrise auf (exemplarisch dafür etwa „die“ Kubakrise), sondern als „Multi-Krise“ von vielfach auf komplexe Weise miteinander verbundenen Konflikten. Viele Einzelkrisen „bilden demnach ineinander übergehende Teilstücke einer großen Krisenlandschaft“ und sind kaum noch im klassischen Sinne zu „lösen“, sondern allenfalls einzudämmen und zu kanalisieren. Dafür bedarf es eines vertieften Verständnisses übergeordneter Zusammenhänge zwischen teilweise geographisch und sachlich weit auseinanderliegenden Einzelphänomenen, wofür die meisten politischen und wissenschaftlichen Akteure aufgrund ihres hohen Spezialisierungsgrades und der damit einhergehenden Vernachlässigung darüber hinausgehender Entwicklungen schlecht gerüstet sind.

Im Folgenden sollen, nach der Krise des Multilateralismus, fünf weitere zentrale außen- und sicherheitspolitische Brennpunkte bzw. Krisenkonstellationen kurz angerissen werden. Sie sind, um die internationale Krisenlandschaft auszuleuchten, eher illustrativ gewählt, also ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit (auch kann in diesem Rahmen nicht auf ihre Entstehungsbedingungen eingegangen werden).

Der größte Gefahrenherd: Asien – Nordkorea

Aktuell geht die wohl größte Gefahr vom Konflikt um Nordkorea aus. Dabei ist die Gefahr eines begrenzten Atomkriegs nicht mehr ganz von der Hand zu weisen. Nordkorea entwickelt immer kleinere Nuklearsprengköpfe sowie Raketen, die inzwischen auch das Territorium der USA erreichen können. Vor diesem Hintergrund äußerte US-Außenminister Tillerson während eines Besuchs in Südkorea im März 2017, ein Militärschlag gegen Nordkorea läge als eine „Option auf dem Tisch“. Umgekehrt drohte Nordkorea mit einem „gewaltigen Präventivschlag“, der das amerikanische Festland „zu Asche verwandeln“ werde. Doch so brandgefährlich dieser Konflikt ist – und der Tod des US-Studenten Otto Warmbier nach nordkoreanischer Haft hat ihn noch zusätzlich verschärft –, so eröffnet er auch neue Möglichkeiten, ja fast den Zwang zur Kooperation zwischen den USA und China.

Zudem gibt es zusätzlich jede Menge anderer Konflikte in Asien: Territorialkonflikte (Inseln im Südchinesischen Meer), Hegemonialkonflikte (zwischen China und Indien) und den Konflikt zwischen Indien und Pakistan. Dabei existieren in Asien nur vergleichsweise gering ausgeprägte multilaterale Strukturen, und diese sind im Bereich der Sicherheit besonders schwach. Sicherheitsfragen sind derzeit vielfach multilateral nicht thematisierbar. Von Europa aus gibt es nur marginale Einwirkungsmöglichkeiten auf diese Konflikte, daher ist es ratsam, sich dort herauszuhalten.

Naher und Mittlerer Osten: Ein neuer Dreißigjähriger Krieg?

Ein weiterer Brennpunkt sind die komplexen Transformations- und Anpassungskonflikte im Nahen und Mittleren Osten sowie in der Sahelzone. Manche bezeichnen sie bereits als neuen Dreißigjährigen Krieg, doch vielleicht werden sie sogar noch länger dauern. Der Krieg in Syrien ist trotz der Erfolge gegen den „Islamischen Staat“ beileibe nicht beendet. In Afghanistan herrscht schon über eine Generation Krieg und echte Lösungen sind bis heute nicht in Sicht. Und infolge der „Katar-Krise“, der massiven Blockade Katars durch Saudi-Arabien, Ägypten, die Arabischen Emirate und zahlreiche weitere Staaten, erscheint sogar ein die gesamte Region ergreifender Konflikt denkbar, in dessen Mittelpunkt die Auseinandersetzung zwischen Saudi-Arabien und Iran stünde, bei möglicher Einbeziehung der jeweiligen Alliierten, USA und Russland.

Faktisch wird in der gesamten Region immer nur an Partiallösungen oder punktuellen Abschwächungen gearbeitet, jedoch nicht an einer Lösung des Gesamtkonflikts. Das Gros der militärischen Interventionen von außen war, um es milde auszudrücken, kontraproduktiv und hat weitere Konflikte hervorgebracht, so etwa maßgeblich zur Entstehung des sogenannten Islamischen Staates beigetragen. Diplomatisches Einwirken mit dem Ziel einer Abschwächung oder Milderung des Konfliktes ist hingegen außerordentlich notwendig. Das gilt umso mehr, als für die EU ein negatives asymmetrisches Verhältnis besteht – zwischen ihren geringen Einwirkungsmöglichkeiten auf diese Konflikte und deren wachsenden Auswirkungen auf Europa. Das wiederum führt zu Dilemmata, wie sie bei dem Flüchtlingsabkommen mit der Türkei bestehen: Die EU ist gezwungen, mit Regimen zusammenzuarbeiten, mit denen man dies unter anderen Umständen gern vermeiden würde. Generell ist festzuhalten, dass immer mehr dieser Konflikte „malign“, also bösartig sind. Sie lassen sich nicht einfach einer Lösung zuführen, sondern sind als Dilemma-Konflikte zu beschreiben, für die es keine kurz- oder mittelfristigen Lösungen im Sinne einer friedlichen Konflikttransformation gibt. Konflikte dieser Art können nur äußerst langsam eingehegt werden, sind schnell wieder entzündbar und benötigen sehr viel Aufmerksamkeit und Geduld.

Rüstungskontrolle unter Druck

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Grafikquelle    :    Tank in the DPRK Victory Day Parade

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Author Uri Tours
Source https://www.flickr.com/photos/northkoreatravel/16555941655/

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