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Erstellt von Redaktion am Sonntag 28. April 2019

Sterben wollen ist kein Geschäft

Euthanasiedenkmal des Künstlers Uwe Kunze aus Niedervellmar (Hessen)

Von Waltraud Schwab

Das Sterben kaufen? Ohne Killer? Seit 2015 ist das möglich. Da wurde ein Gesetz verabschiedet, der Paragraf 217, der diesen Zusammenhang nahelegt, denn er verbietet „geschäftsmäßige“ Sterbehilfe. Und er zeigt, dass das wirtschaftliche Denken als Non plus ultra mittlerweile aller Welterkenntnis zugrunde liegt, selbst da, wo nur ethische Themen berührt sind.

Ist man dafür? Ist man dagegen? Manchmal ist eine klare Positionierung bei einem ethischen Problem nicht die Frage. Und schon gar nicht die Antwort. Zumal, wenn es ums Sterben geht, um diese Riesenkränkung, mit der alle Menschen leben müssen. Das Bundesverfassungsgericht muss nun aber eine Haltung dazu entwickeln, denn es soll entscheiden, ob der im Jahr 2015 verabschiedete Paragraf 217, der „geschäftsmäßige“ Sterbehilfe verbietet, so bestehen bleiben soll. Ärzte, Sterbehilfevereine und schwer kranke Patienten hatten gegen den Paragrafen 217 Verfassungsbeschwerde eingelegt. Weil Sterben wollen kein Geschäft ist.

Will jemand sein Leben beenden und tut das dann auch, wer will sich anmaßen, dies zu verurteilen? Selbst Leute, die sich zu Tode saufen, werden nicht daran gehindert, weil der freie Wille gilt. Und wer kann sicher sagen, dass er die Leber­zirrhose eines Alkoholkranken nicht förderte, wenn er ihm Schnaps oder Bier spendierte? Es nicht zu tun brächte auch nichts.

Schwieriger wird es, wenn ein Mensch darum bittet, bei seinem Todeswunsch unterstützt zu werden. Etwa weil er unheilbar krank ist. Die Gewissensentscheidung, die damit verbunden ist, bewusst treffen zu müssen, ist eine riesige Herausforderung. Und dennoch, die Wahrscheinlichkeit, doch in der einen oder anderen Weise – sei es aktiv, sei es passiv – von der Entscheidung herausgefordert zu werden, ist gar nicht so gering, je älter man wird.

Soll man etwa die Ärzte bitten, der Mutter, die nach einem Herzinfarkt im Koma liegt, außer Schmerzmitteln, Flüssigkeit und Sauerstoff nichts mehr zu geben? Oder gar auch die Flüssigkeitszufuhr einzustellen, damit das Nierenversagen schneller eintritt? Soll man den krebskranken, alleinstehenden Onkel wirklich daran hindern, kein Essen mehr zu sich zu nehmen? Und ist es nicht verbrieftes Wissen der Urgroßeltern gewesen, dass es in aussichtslosen Situationen den Tod mitunter beschleunigt, wenn das Fenster aufgemacht wird? Eine Lungenentzündung als Erlösung.

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Weil Tod und Sterben aus dem Leben verbannt sind, werden in modernen Gesellschaften solche Grenzentscheidungen oft aufs Pflegepersonal abgeschoben. Vor allem Ärzte sind dieser Gewissensentscheidung ausgesetzt. Was tun sie, wenn Krebskranke trotz der Schmerzmittel immer noch Schmerzen haben? Dosieren sie höher, so hoch, dass das Ende schneller eintritt? Was tun sie, wenn jemand aufhört zu essen und zu trinken, weil das Leben nicht mehr gelebt werden kann? Wird ihnen unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen, wenn sie keine Maßnahmen ergreifen? Liegt eine Patientenverfügung vor, hilft das denen, die entscheiden müssen, aber noch immer haben viele eben keine.

Vor allem Ärzte haben durch den Paragrafen 217, der seit dem Jahr 2015 „geschäftsmäßige“ Sterbehilfe verbietet, Probleme. Ärzte handeln im Rahmen ihres Berufs, und die Verbindung, dass sie damit „geschäftsmäßig“ unterwegs sind, lässt sich konstruieren, weil „geschäftsmäßig“ auch wiederholte Handlungen umfasst.

Quelle         :           TAZ         >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben        —        Illustration (vielleicht von George Cruikshank)

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Unten      —       Euthanasiedenkmal des Künstlers Uwe Kunze aus Niedervellmar (Hessen) für die während der NS-Zeit in der Landesheilanstalt Eichberg bei Eltville ermordeten Menschen. 1993. Die Inschrift lautet: »In Erinnerung an die vielen Menschen, die auf dem Eichberg Opfer der NS-Zwangssterilisation und ›Euthanasie‹-Verbrechen wurden, gedenken wir – der 301 Frauen und Männer, die von 1935 bis 1939 unter Zwang sterilisiert worden sind, – der 2019 Patientinnen und Patienten, die 1940/41 über die ›Sammelanstalt‹ Eichberg in die Tötungsanstalt Hadamar verlegt wurden, darunter 660 Menschen vom Eichberg, – der 476 behinderten Kinder, die von 1941 bis 1945 in einer sogenannten Kinderfachabteilung zu »wissenschaftlichen Zwecken« beobachtet und dann ermordet wurden, – der vielen Patientinnen und Patienten, die von 1942 bis 1945 durch Unterernährung und überdosierte Medikamente gewaltsam zu Tode kamen. Ihr Leben und Tod sind uns Mahnung und Auftrag für Gegenwart und Zukunft«.

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