Eine Partei auf Sinnsuche
Erstellt von Redaktion am Donnerstag 23. Juni 2022
Die Mixtur aus Unbeweglichkeit und Beliebigkeit ist einmalig in der deutschen Parteiengeschichte
Von Stefan Reinecke
Die Linkspartei verliert Wahlen – und macht unverdrossen weiter wie immer. Wenn sie nicht entscheidet, was sie sein will, wird sie politisch bedeutungslos.
Der Soziologe Robert Michels schrieb vor mehr als hundert Jahren: „Die Organisation ist die Mutter der Herrschaft der Gewählten über die Wähler.“ Adressiert war seine Analyse an die Sozialdemokratie vor 1914. Der revolutionäre Schwung der SPD sei, so der linkssozialistische Soziologe, in der Organisation verloren gegangen. Jede Partei habe die Tendenz, eine verselbstständigte Parteibürokratie auszubilden, die letztlich nur das eigene Überleben im Sinn hat. Dieses „eherne Gesetz der Oligarchie“ legt sich wie Mehltau über die Parteien. Bei bürgerlichen Parteien, die als Machtmaschinen Interessen bündeln, fällt das weniger auf als bei linken, die Idealen wie Fortschritt und Befreiung verpflichtet sind.
Die Linkspartei wirkt derzeit in manchem wie eine Illustration dieser Analyse. Der Sinn der Partei erodiert, doch der Apparat von Fraktion und Partei genügt unbeeindruckt sich selbst. Eine 39-köpfige Parlamentsfraktion, in der sechs frühere Partei- oder Fraktionsvorsitzende sind, wirkt wie ein Ausrufezeichen der These, dass Parteieliten dazu neigen, Strukturen zu nutzen, in denen Geld fließt. Nachdem die Linkspartei bei der Bundestagswahl ein deprimierendes Ergebnis erzielte, passierte – nichts. Niemand übernahm Verantwortung, niemand trat zurück. Die Beharrungskräfte des Apparates erstickten die naheliegende Idee, dass man schleunigst etwas verändern muss, wenn es nicht weiter abwärts gehen soll.
Für Michels war die bürokratische Erstarrung der Sozialdemokratie ein unvermeidlicher Kollateralschaden ihres Aufstiegs. Sie wuchs – und wurde ängstlicher. Bei der Linkspartei ist die innere Verholzung ein Effekt ihrer Schrumpfung. Sie wirkt von Niederlage zu Niederlage verstockter und unbeweglicher. Anders als in der autoritär-sozialdemokratischen Top-down-Partei, die Michels beschrieb, bildet der Apparat hier auch nicht das Machtzentrum, das die Organisation lenkt. In der Linkspartei 2022 ist der Apparat nur ein Puzzleteil unter vielen, die Partei ein loser Verbund von Strömungen, Fraktionen und miteinander oft in inniger Abneigung verkeilter Gruppen und Grüppchen. Was AntikapitalistInnen und TechnokratInnen, Regierungsfans und -gegnerInnen, Bewegungslinke und gewerkschaftlich Orientierte, junge woke AktivistInnen und Traditionslinke zusammenhält, ist fraglich. Diese Fliehkräfte werden seit fast zehn Jahren durch machttaktische Bündnisse eingehegt – um den Preis, als Partei kaum noch erkennbar zu sein. Steht die Linkspartei in der Russlandfrage für die kalte Appeasementpolitik von Sevim Dağdelen oder für Bodo Ramelow, der Waffenlieferungen an die Ukraine befürwortet? In der Klimapolitik für radikale Maßnahmen oder angezogene Handbremse? Diese Liste lässt sich sehr lange fortsetzen. Die Partei stürzt sich mit Lust in identitätspolitisch aufgeladene Fehden. Ihr fehlt die Fähigkeit, Positionen kommunikativ zu verbinden – vor allem aber der Mut, Grenzen zu ziehen. Dağdelen zieht auch nach Putins Überfall auf Kiew gegen die „Aufrüstung des Westens“ zu Felde und unterstellt der Ampel, „per Wochenbefehl den ‚Sieg‘ gegen Russland“ zu fordern. Dağdelen und andere haben sich in ein antiimperialistisches, gegen die Realität sorgsam abgeschottetes Paralleluniversum verabschiedet, in dem, egal was passiert, immer Nato, USA, Regierung Schuld sind. Sie ist immer noch Obfrau der Fraktion im Auswärtigen Ausschuss.
Zwei Sektenführerinnen aus der Linken?
Ein steuerndes Zentrum, das Strategien entwirft und imstande ist, sie durchzusetzen, ist nicht in Sicht. Das wird wohl so bleiben, egal ob die GenossInnen in Erfurt Martin Schirdewan oder Sören Pellmann, Janine Wissler oder Heidi Reichinnek wählen. Die Lage wirkt paradox. Die Partei verliert an Kraft, an WählerInnen und Mitgliedern. Und sie wird gleichzeitig immer manövrierunfähiger. Diese Mixtur aus Unbeweglichkeit und Beliebigkeit ist recht einmalig in der deutschen Parteiengeschichte.
Ist die Fesselung in dieser selbst konstruierten Falle ausweglos – oder gibt es noch Spielräume? Gregor Gysi hat kürzlich skizziert, dass die Partei in erster Linie für „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ da sein soll, erst in zweiter Linie für Studierende, Arbeitslose oder Geflüchtete. Das war eine Parteinahme in dem mit viel Affektaufwand betriebenen innerparteilichen Kampf zwischen TraditionalistInnen und Linksliberalen. Das Interessante liegt jenseits der innerparteiliche Markierungen, für die Echoräume in der Wirklichkeit fehlen. In den Gewerkschaften spielt die Partei, anders als vor zehn Jahren, nur eine randständige Rolle. Zur klimaneutralen Transformation der Industrie, dem größten Umbau der Arbeitsgesellschaft seit Jahrzehnten, hat sie weder theoretisch noch praktisch viel beizutragen. 12 Euro Mindestlohn, auf den sie das Copyright hatte, setzt die Ampel um. Die Linkspartei ist 2022 kaum mehr in der Lage, die Interessen von ArbeiternehmerInnen zu vertreten.
Quelle : TAZ-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Parteitag der Linkspartei in Bonn. 2. Tagung des 6. Parteitages der Partei DIE LINKE, 22. und 23. Februar 2019, Bonn.…
Freitag 24. Juni 2022 um 9:40
Egal wer in Erfurt gewählt wird: immer wieder werden Diplom Politolog*en versuchen uns „Normalmenschen“ die Welt zu erklären. Im 19. Jahrhundert gab es dafür Theologen …
Freitag 24. Juni 2022 um 13:54
Im Moment feuert die Wißler („Wissler“) den Parteitag an. Drückt auf die Tränendrüse der Partei-Funktionär Innen wegen der überall zu findenden Armut.
Die PDL sei die einzige „linke“ Opposition zur Ampel.
Vor nicht einmal n e u n Monaten wollte diesselbe Wißler mit Bartsch, Hennig-Wellsow und Mohamend Ali sich mit den Sozial-Abbau-Parteien SPD und GRÜNE in der Bundesregierung wieder finden. Gegen das Erfurter Programm von 2011 und gegen das vom damaligen Parteitag beschlossene Wahlprogramm!!!!
Jetzt werden alle auswendig gelernten Reden in den Parteitag „geschmissen“. Klatsch, Klatsch, Klatschen.
Sie redet von Armut, sie selber schwelgt mit ihrer Funktionärs-Schicht im Wohlstand ohne Ende, ohne jemals die Wirklichkeit eines Arbeitslebens erlebt zu haben.
Sie wollte nie Verantwortung für die Wahl-Niederlage übernehmen, sie wollte nie eine Wahlanalyse über die Gründe der Wahl-Niederlage erstellen (lassen).
Da ist es doch einfacher, neun Monate vergehen zu lassen, und für ein „weiter so“ zu werben.
Opportnusistische Reden auf Ihren Machterhalt ausgerichtet sind ihre Spezialität. Hören wir weiter zu.
Samstag 25. Juni 2022 um 14:46
neue Parteivorstand von 44 auf 26 verkleinert.
Sonntag 26. Juni 2022 um 9:56
#3 Was soll das bedeuten? Weniger „Heiße Luft von PolitologInnen“?
Sonntag 26. Juni 2022 um 22:34
Die Parteitags-Regie hat eine durch und durch stabilisierte Rechte in der LINKEN hervorgebracht. Diese Rechte firmiert unter dem „neuen“ Label „BewegungsLinke“. Inhaltlich so etwa: „Wir sind für und gegen alles“.
Die rechte „Linksblinkerin“, Frau Wißler, die ja mit dem rechten Herrn Bartsch als Spitzen-Kandidaten DIE LINKE zur BTW 2021 de facto an
„die politische Betonwand“ gefahren hat, wurde mit 58% wieder gewählt.
Nie hat Frau Wißler und ihr Partei-Vorstand eine von verschiedenen Bundesarbeitsgemeinschaften geforderte Wahlanalyse zur BTW erstellt.
Nie hat sie sich für ihr Partei und Wahlprogramm widriges „Sofort-Programm“ vom 07.09.2021 gerechtfertigt. Dieser „Anschleim-Versuch an SPD und GRÜNE war ja schließlich ein Hauptgrund für die Flucht der ehemaligen PDL-Wähler Innen in das Nicht-Wähler-Lager oder eben gleich zu den Originalen SPD-GRÜNE zu wechseln.
Eine feurige Rede, mit allen denkbaren Facetten von „ich wünsch mir was“ und schon war das politische Kunstprodukt aus Hessen wieder zur Vorsitzenden gewählt. „Normalerweise“ müssen Wahlverlierer sofort ihre bisherige Position sofort räumen. Nicht so in der komischen sogenannten „LINKS-PARTEI“. Aber, was ist in dieser Partei schon „normal“?
Alle Änderungsanträge wurden von der Vorstands-Mehrheit abgelehnt. Hauptwortführer war der Rechte in der LINKEN, Wulf Gallert. Der Partei-Vorstand hatte immer die Mehrheit der „BewegungsLinken“ – Delegierten auf seiner Seite.
Ein „Haupt-Problem“ sind mMn die vielen „Unwissenden“ Neu-Mitglieder die naturgemäß i.d.R. ohne jegliche Partei-Erfahrung sind.
Bis diese ihre Erfahrungen konkret gemacht haben, sind wieder einige Jahre „ins Land“ gegangen.
Und so geht es – das ist leider die Realität – immer weiter.
Also „weiter so“ mit Wißler und dem Hennig-Wellsow Ersatz Schirdewan.
Anmerkung zu erfolglosen Partei-Vorsitzenden-Kandidatur von Herr Pellmann: Ohne dessen Direkt-Mandat Wißler, Bartsch und Co. jetzt in Frankfurt am Main und Stralsund privatisieren könnten. Er wurde mit 32% abgekanzelt. Auch dieses Ergebnis zeigt an, die Rechten in der Linken haben alles gut vorbereitet.
Gesamteindruck von diesem Parteitag:
Das war es wohl gewesen, mit einer LINKEN Partei in der BRDeutschland.
Montag 27. Juni 2022 um 8:18
Wulf Gallert wurde mMn vom Versager auf dem ehem. Bundesgeschäftsführerposten übertroffen!
Montag 27. Juni 2022 um 11:42
Schindler ist ein Mann, dem ich als Bundesgeschäftsführer noch als Anwalt Vertrauen entgegen bringen könnte. Ganz ehrlich: Das hat absolut nichts mit den wunderschönen Ohrringen zu tun. Mit seiner Wahl am 9. Juni 2018 hat er die Partei an den Abgrund geführt.
Dienstag 28. Juni 2022 um 15:44
Sabine Zimmermann will mit Wagenknecht was NEUES auf die Beine stellen.