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RENTENANGST

Eine Krise der Opposition ?

Erstellt von Redaktion am Donnerstag 17. Dezember 2020

Das linke Unbehagen in der Krise

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Andreas Wulf

Corona Staat und Pharmakonzerne werden in der Pandemie mächtiger, „Querdenker“ protestieren. Doch wie sieht eine linke Antwort auf all das aus?

In der Corona-Krise wird der Staat mächtiger denn je. Mit Verblüffung stellten wir Linken fest, dass auf einmal die scheinbar ehernen neoliberalen Grundfesten nicht nur ins Wanken gerieten, sondern geradezu über Bord geworfen werden. Die Schuldenbremse ist ad ultimo ausgesetzt, milliardenschwere Stützungsprogramme aufgestellt für die schwächelnden Wirtschaftssektoren. Sogar zum strategischen Einkauf in „systemrelevante“ Unternehmen – bei der Lufthansa und beim Pharmaunternehmen Curevac – ist der Staat bereit. Die globalisierten Produktions- und Lieferketten werden durch die Pandemie in ihrer Dysfunktionalität enttarnt.

Als wäre es ein Lehrstück von Carl Schmitt: Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet. Es regiert das Corona-Kabinett und die Runde der Kanzlerin mit den Ministerpräsident*innen. Der Gesundheitsminister steigt zum Vizekanzler auf. Das Infektionsschutzgesetz, vorher kaum bekannt und höchstens angewendet in kleinem Maßstab zur Eindämmung lokaler Infektionsausbrüche, wird zum Instrument des Lockdowns öffentlicher Einrichtungen und privater Unternehmen. Es steht zudem für einen tiefen Eingriff in zentrale Freiheitsrechte der bürgerlichen Demokratie: Flächendeckende Einschränkungen der öffentlichen Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit, strafbewehrte Regeln, wer sich mit wem auch im privaten Raum noch treffen darf, temporäre Ausgangssperren. Die Parlamente sind auf eine Rumpfgröße reduziert und vom Tempo der Entwicklung vollständig überfordert, Verordnungen der Exekutive ersetzen die etablierten Gesetzgebungsverfahren.

Es macht sich Unbehagen breit. Dass dieses sich vor allem in Querdenker-Demos mit ihren unerwartet erfolgreichen „Querfront Mobilisierungen“ äußert, ist ein echtes Dilemma für eine emanzipatorische Linke, für die die Kritik staatlichen Überwachungs- und Kontrollhandelns konstitutiv war und ist.

Wie lässt sich also die Kritik an überbordender Kontrolle in Pandemiezeiten führen, ohne im Gefolge des Obskurantismus der Hobby-Virolog*innen, der Gates-Verschwörungen und Impfgegner*innen zu landen?

Die AIDS-Rebellen

Ein Blick zurück hilft manchmal mehr als eine detaillierte Gegenwartsanalyse mit Interessenskonflikten bei der Weltgesundheitsorganisation, dem Streit der Virologen um das richtige Maß des Lockdowns und die Eitelkeiten der Ministerpräsident*innen, mit möglichst radikalen (oder großzügigen) Lösungen als bester Landesvater oder Landesmutter dazustehen.

Überraschende Ähnlichkeiten zu den heutigen Debatten lassen sich bei der neu auftauchenden AIDS-Epidemie der 80er Jahre finden. Auch hier wurde besonders in den Anfangsjahren die Frage um das HI-Virus und seine Folgen nicht weniger heftig ausgetragen als heute die Coronavirus-Debatten.

Die Fragen nach dem Ursprung des Virus, nach seiner Übertragbarkeit und auch nach seiner tatsächlichen Gefährlichkeit waren längst nicht unumstritten, sondern führten ganz genau wie bei Covid19 zu heftigen Kontroversen. Neben dem schließlich geklärten Ursprung des Virus im tropischen Afrika (eine klassische „Zoonose“ mit Ursprung in Menschenaffen, die sich über die zunehmende globale Mobilität der Menschen ab Ende der 70er Jahre verbreitete) waren lange auch Vermutungen im Umlauf, HIV sei in einem geheimen Forschungslabor der US-Armee entstanden und von dort wissentlich oder versehentlich in Umlauf gekommen. Eine klassische Verschwörungsthese, die, wie man heute weiß, auch vom russischen Geheimdienst mit in Umlauf gebracht wurde. Und die jetzt für das SARS-CO19 Virus eine chinesische Parallele in Wuhan bekommen hat.

Auch die ursächliche Wirkung des Virus bei der Immunschwäche der AIDS-Kranken wurde noch viele Jahre nach den ersten registrierten Fällen in den USA in Frage gestellt. Wahlweise waren es die vielen Drogen, der viele Sex, die anfänglichen, unzureichenden Therapieversuche mit antiviralen Medikamenten, die Unterernährung der Armen in Afrika oder die Furcht vor der Infektion, die das Immunsystem zusammenbrechen ließen. Auch damals gab es „mundtot gemachte Wissenschaftler“, die die Forschungsergebnisse der Mainstream Wissenschaft anzweifelten. AIDS-Rebellen folgten unbeirrt dem Verdacht, dass in erster Linie (Pharma-) Profitinteressen hinter den Tests und den Medikamenten stünden, obwohl gleichzeitig die moralische Verurteilung von Homosexualität und Drogengebrauch gerade die Forschung an Therapien und Impfungen gegen HIV behinderte. Der Zugang zu den Behandlungen musste gegen den Widerstand vor allem der US-Regierung von AIDS-Aktivist*innen durchgesetzt werden.

Das extremste Beispiel der fatalen Wirkungen solcher obskuren, und selbst von Interessen geleiteten „Aids-Mythen“ spielte sich dann Anfang der 2000er Jahre in Südafrika ab: Der deutsche Arzt und Vitaminverkäufer Dr. Rath wurde zum faktischen Chefberater des Präsidenten Thabo Mbeki und seiner Gesundheitsministerin Manto Tshabalala-Msimang. Die Skepsis gegenüber der Wirksamkeit der Medikamente verhindterte für mehrere Jahre der Start eines wirksamen Behandlungsprogramms – was nach Schätzungen der lokalen Aids-Aktivist*innen der Treatment Action Campaign mehreren 10.000 Südafrikaner*innen das Leben kostete.

Mit den Menschen, nicht gegen sie

Auch zur „Masken-Debatte“ und dem Einsatz der Polizei gegen illegale „Corona Parties“ gibt es eine erstaunlich Parallele in den schwulen Debatten um die Kondomisierung des Sexes. Erfolgreich setzten sich die AIDS-Aktivist*innen auch gegen die Schließung von Orten schwuler Promiskuität wie Saunen, Darkrooms und Sexparties zur Wehr, die von ihnen als Versuch des medizinisch-gesellschaftlichen Establishments zur Wieder-Einhegung der gerade erst gewonnenen sexuellen und moralischen Freiheit verstanden wurde.

DIE LINKE Bundesparteitag 10-11 Mai 2014 -116.jpg

Eine wichtige Erkenntnis aus diesen Aspekten der AIDS-Pandemie war aus emanzipatorischer Perspektive, den subjektiven Blick nicht aufzugeben. Eine Haltung einzunehmen, die die Menschen nicht als Objekt einer (sei es autoritär-strafenden oder verantwortlich-fürsorglichen) top-down Belehrung und Kontrolle sieht, sondern sie in ihren oft auch widersprüchlichen Bedürfnissen und Haltungen ernst nimmt und sie partizipativ einbezieht in die Bewältigung der Krise.

Dies gilt heute etwa in der Frage, wie sich Schulen, Kitas, Altersheime, Arbeitsstätten organisieren und wie sie darin unterstützt werden können, dabei den bestmöglichen Infektionsschutz zu realisieren. Einheitliche Regeln aus dem Kultusministerium oder der Ministerpräsidentenrunde scheinen dabei weniger hilfreich als eine lokale Verankerung der Entscheidungen – und gegebenenfalls auch deren Durchsetzung durch behördlichen Überprüfungen, wie bei den Ausbrüchen in Altersheimen, Schlachthöfen und bei Erntehelfern zu sehen ist.

Koalition der Schmuddelkinder

Quelle.        Der Freitag-online        >>>>>        weiterlesen


Grafikquellen        :

Oben      —   Bundesparteitag DIE LINKE Mai 2014 in Berlin, Velodrom

Author  :       Blömke/Kosinsky/Tschöpe

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Autor    : Blömke/Kosinsky/Tschöpe

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