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Erstellt von Redaktion am Sonntag 10. März 2019

Geschlechtergerechte Sprache

von Luise F. Pusch

Auch der Genderstern macht die deutsche Sprache nicht geschlechtergerecht, meint die Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch. Wie ginge es besser?

Normalerweise interessieren sich die Medien für feministische Sprachkritik höchstens im Sommerloch. Aber seit gut einem Jahr ist das Thema ein Dauerbrenner.

Da war zuerst Marlies Krämers Klage vor dem Bundesgerichtshof gegen ihre Sparkasse, die sich weigerte, sie als „Kundin“ anzusprechen. Der BGH entschied, das sei so in Ordnung, denn das Maskulinum „Kunde“ schließe sie als Kundin ein, und deshalb hat Marlies Krämer jetzt beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Beschwerde eingereicht.

Als Nächstes kam im vergangenen Dezember die Entscheidung des Deutschen Bundestags, ein Jahr zuvor vom BVerfG gefordert, dass im Personenstandsregister eine dritte Geschlechtsoption – „divers“ – eingetragen werden könne.

Nur drei Geschlechter? Auf Facebook können wir derzeit aus einer Liste von 60 Geschlechtern auswählen, die mit Hilfe das Deutschen Lesben- und Schwulenverbands (DLSV) zusammengestellt wurden: Agender, androgyn, neutrois, genderfluid, bigender, polygender, pangender, genderqueer, nicht-binär, trans* et cetera.

Die Nachricht „plötzlich 60 Geschlechter“ schockierte die Deutschen, aber das recht willkürlich wirkende Facebook-Geschlechter-Sammelsurium ist noch ein wenig aufgebläht. In Wirklichkeit sind es keineswegs 60 Geschlechter, denn viele Bezeichnungen bedeuten mehr oder weniger dasselbe, etwa „Inter*Mensch, intergender, intergeschlechtlich, zweigeschlechtlich, Zwitter, Hermaphrodit“.Das alte „intersexuell“ fehlt hingegen.

Dazu sagte LSVD-Verbandssprecher Axel Hochrein, es gebe momentan noch keine allgemein verbindlichen Bezeichnungen. Die vielen Varianten für ein und dasselbe würden aufgeführt, „damit die Vielfalt im Selbstgefühl zum Ausdruck kommen kann“.

Erstaunlicher Eifer

Also erst mal Entwarnung: Alles ganz unverbindlich. Verbindlich ist derzeit nur der dritte Eintrag „divers“. Aber in den Amtsstuben hat die Divers-Entscheidung Ratlosigkeit bis Unruhe hervorgerufen. Eine Berliner Gleichstellungsbehörde bat den deutschen Rechtschreibrat um Auskunft, ob der Genderstern nun verbindlich sei, damit das dritte Geschlecht nicht diskriminiert würde.

Jüngste Aufregerin: Die Stadt Hannover mit ihrer amtlichen Empfehlung des Gendersterns. „Eine geschlechtsumfassende Ansprache ist nicht immer möglich. In diesen Fällen gilt es den Genderstern zu nutzen. Der Genderstern, dargestellt durch ein Sternchen* zwischen der maskulinen und femininen Endung, dient als sprachliches Darstellungsmittel aller sozialen Geschlechter und Geschlechtsidentitäten.“

Das Allerletzte: Der Aufruf „Schluss mit dem Gender-Unfug!“ des „Vereins Deutsche Sprache“.

© BlueMars | Wikimedia Commons | Public Domain

Es ist schon erstaunlich, mit welchem Eifer die alte Sprache nun nicht-binären Personen angepasst werden soll, während gleichzeitig die alten männersprachlichen Absurditäten weiterhin für Marlies Krämer und alle anderen Frauen, das heißt für die Mehrheit der Bevölkerung, gültig bleiben: Die Endung „innen“ ist auch beim Genderstern als nebensächliche Form angehängt, während das Maskulinum die Hauptform bleibt.

Diskriminierende Endung

Da wir alle unsere Muttersprache mehr oder weniger gut beherrschen, nehmen die meisten von uns auch an, dass wir von Sprache etwas verstehen. Das ist allerdings meist nicht der Fall. Menschen, die aufrecht stehen können, verstehen deshalb noch lange nichts von Statik und sollten, bevor sie ein Haus bauen, besser eine Statikerin zu Rate ziehen.

Als ich vor fast 40 Jahren daran ging, Vorschläge für eine gerechtere deutsche Grammatik zu machen, hatte ich mich 18 Jahre lang mit Sprachwissenschaft befasst und war promoviert und habilitiert in dem Fach. Zur Überraschung meiner Zunft (damals zu 90 Prozent männlich), die sich damit beschäftigt, Sprache zu beschreiben, versuchte ich, sie zu verbessern, was in der Linguistik verpönt war und ist.

Ich konnte zeigen, dass die deutsche Sprache gerechter sein würde, wenn wir die diskriminierende Endung -in abschaffen und zum Ausdruck von Geschlechtsneutralität das Neutrum aktivieren. Immerhin sind wir Deutschen – anders als die romanischen Sprachen – im glücklichen Besitz eines Genus Neutrum. Wir benutzen es allerdings fast nie, um Geschlechtsneutralität auszudrücken, außer wenn wir sagen „das Neugeborene“.

Von die, der oder das Neugeborene zu die, der oder das Vorgesetzte scheint es kein großer Schritt. Denkt die Linguist, die sich auf das Sprachsystem konzentriert. Aber sie muss auch die Gefühle der Sprachgemeinschaft berücksichtigen. Diese besitzt ein gewaltiges Beharrungsvermögen und möchte am liebsten, dass alles so bleibt, wie es ist. Außerdem findet sie, dass „das Vorgesetzte“ oder „das Apotheker“ respektlos klingt und an Tiere und Gegenstände denken lässt.

Kompromiss aushandeln

Und die Feministinnen, die ja die Sprachreform angestoßen haben, lehnen es kategorisch ab, die Endung -in abzuschaffen, jetzt, nachdem es endlich gelungen ist, Wörter wie Regisseurin, Managerin, Dekanin in der Männergesellschaft durchzusetzen. Frauen endlich sichtbar machen, ist die einhellige feministische Devise.

Quelle      :     TAZ      >>>>>      weiterlesen

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Grafikquellen           :

Oben       —         Aufkleber auf einem Hinweisschild

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2. ) von Oben    —         © BlueMars | Wikimedia Commons | Public Domain

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Unten    —       Women’s March on Washington, Februar 2017

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