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RENTENANGST

Ein verpflichtender Dienst?

Erstellt von Redaktion am Montag 20. August 2018

„Absurde Wochen mit viel Schlamm im Gesicht“

File:Bundeswehr Panzergrenadiere.jpg

Auch ich wurde in den 60-ziger Jahren gezwungen den berühmten „Schützen Arsch im letzten Glied“ zu mimen. Mir ist niemand bekannt geworden, auch von den Schreihälsen nicht, welche im Leben ihren Mann? (Frauen wurden noch nicht benötigt) um für den Feind aus den Osten als Kanonenfutter bereit zu stehen. DL Red. IE

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Prügeleien, Knochenarbeit, Langeweile, zum ersten Mal wirklich gebraucht werden: Was Mitarbeiter von ZEIT ONLINE erlebt haben, die Zivil- oder Wehrdienst geleistet haben.

Soll es in Deutschland ein verpflichtendes Dienstjahr für alle geben? Wer diese Idee diskutiert, sollte auch zurückblicken: Was haben die Männer und Frauen in der Bundeswehr, beim Zivildienst oder beim Freiwilligen Sozialen Jahr erlebt, als es die Wehrpflicht noch gab? Hat es sie zu anderen Menschen gemacht oder vor lauter Stumpfsinn bloß um den Verstand gebracht? Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von ZEIT ONLINE berichten.

„Die Freizeit schien endlos“

Marcus Gatzke, Zivildienst

Seit meinem Zivildienst weiß ich, wie man 20 Kilogramm Kartoffelsalat in einer waschzubergroßen Schüssel zubereitet, wie Frikadellen außen kross und innen zart werden und wie ein Frankfurter Kranz gebacken wird. Klaus, seinerzeit Küchenchef im Haus Hammerstein, hat mir Kochen beigebracht. Keine Haute Cuisine, sondern ordentliche Hausmannkost. Was in so einer Erholungs- und Fortbildungseinrichtung der Lebenshilfe eben auf den Tisch kommt. Klaus war beinhart als Chef. Es wackelten schon mal die Töpfe an der Wand, wenn er durch die Küche bellte, weil ihm irgendetwas nicht schnell genug ging. Dafür gab es im Anschluss Kuchen satt für die insgesamt fünf Zivis im Haus.

Dass ich nicht zur Bundeswehr gehen würde, wurde mir quasi in die Wiege gelegt. Mein Vater hat als Jugendlicher an der Ostfront gekämpft. Seine Kriegserlebnisse haben seine Kinder geprägt. Keiner seiner drei Söhne hat den Dienst an der Waffe angetreten, was Willi, als Erwachsener Sozialdemokrat durch und durch, immer auch ein wenig stolz gemacht hat.

Noch heute sorgt bei mir der Gedanke an die 15 Monate als Ersatzdienstleistender für ein breites inneres Grinsen. Ein silberner klappriger VW Polo, Baujahr 77, keine Miete und jeden Monat ungefähr 600 bis 700 Mark auf dem Konto. Was will man mit 19 mehr? Die Freizeit schien endlos, trotz der teilweise anstrengenden Schichten in der Küche. Nach getaner Arbeit ging es ein ums andere Mal mit ein paar Bier, anderen Zivis und einem Ruderboot raus auf die Wuppertalsperre, an der Haus Hammerstein liegt. Es war eine gute Zeit, um ein klein wenig erwachsener zu werden.

Verteidigung – Bundeswehr wirbt immer jüngere Rekruten Zehn Prozent eines Bundeswehrjahrgangs sind zum Zeitpunkt ihrer Rekrutierung minderjährig. Kritik daran äußert Tobias Pflüger, Vizevorsitzender der Linkspartei. © Foto: Axel Heimken/dpa

„Wie ich waren die meisten gegen ihren Willen hier“

Holger Wiebe, Wehrdienst

Zur Bundeswehr wollte ich eigentlich nie. Zivildienst leisten allerdings auch nicht unbedingt, Totalverweigerung oder Gebrechen vortäuschen kamen ebenfalls nicht infrage. Doch im Oktober kam der Einberufungsbefehl: Am 1. Januar 1995 sollte ich in der Uckermark-Kaserne in Prenzlau antreten und meinen zwölfmonatigen Wehrdienst verrichten. Sofort schrieb ich dem Kreiswehrersatzamt, dass ein Irrtum vorliegen müsse, ich wäre ja noch fast drei Jahre in meiner Lehre und könne logischerweise erst danach zum Bund. Stimmte so leider nicht, für eine Zurückstellung musste ein Drittel der Lehrzeit absolviert sein. Hieß also: Lehre abbrechen und nach Prenzlau zum ABC-Abwehrbataillon 805.

Meine Kumpels (in etwa gleichen Teilen untauglich, Zivis oder beim Bund) lachten schon: „Eingezogen im Januar, das sind die drei Ms: Metzger, Maurer, Mörder!“ Tatsächlich waren in meiner Kompanie fast ausschließlich Arbeitslose, gerade aus der Haft entlassene oder aus dem Job gezogene Männer, meist schon Mitte 20. Abitur hatten drei, genauso viele kamen, wie ich, aus West-Berlin. Kompaniechef war ein Rheinländer, die restlichen Offiziere waren ehemalige Soldaten der NVA.

Gleich am ersten Abend gab es einen Vorgeschmack auf die kommenden zwölf Monate: eine Prügelei zwischen einem glatzköpfigen Neonazi und „Zecke“, einem linken Leipziger. Zecke hatte mit 13 die Schule abgebrochen, um auf dem Hof seiner Eltern Meerschweinchen und Kaninchen zu schlachten und daraus Hunde- und Katzenfutter zu machen. Die beiden rauften sich eine Weile auf dem Flur, bis sie lädiert in ihre Stuben zurückkehrten. Folgen hatte der Vorfall für die beiden keine, so wie auch alle weiteren Vergehen in den ersten Wochen nicht geahndet wurden.

Am besten kam ich mit dem Schützen Schäfer klar, er wohnte ebenfalls im Süden Berlins und nahm mich freitags mit nach Hause und am Sonntagabend zurück nach Prenzlau. Vor dem Wehrdienst hatte er als Baggerfahrer und Türsteher gearbeitet. Er war Kickboxer und ein echtes Kraftpaket – in einer Nacht schaffte er es, ohne fremde Hilfe den Trabbi des Obergefreiten B. so aufzuschaukeln, dass er aufs Dach kippte.

File:Bundeswehr - 10th Anniversary of Multinational Corps Northeast.jpg

Hier fehlt nur noch das Schnupftuch des Nationalissten aus CDU/CSU

Wie ich waren die meisten gegen ihren Willen hier. Allen fehlte es an Motivation und an Disziplin. Sachbeschädigung, Prügeleien, unerlaubte Abwesenheiten: Strafen wurden, wenn überhaupt, nur auf Bewährung ausgesprochen. Stattdessen versuchten unsere Ausbilder, uns durch Gewaltmärsche und tagelange Biwaks (Truppenübungen mit Übernachtung im Freien) die Energie für jeglichen Unsinn zu nehmen. Drei Übernachtungen in einem Erdloch bei minus 15 Grad führten bei mir zu einer fiebrigen Erkältung, nach Hause durfte ich aber nicht. Zu viele Kameraden hatten zuvor versucht, eine Krankschreibung zu erschummeln. Einige Tricks gab es da, zum Beispiel mit einer Mischung aus Wasser, Pfeffer und Chilipulver zu gurgeln (Rachenentzündung) oder sich eine halbe Stunde mit einem Esslöffel auf ein und dieselbe Stelle auf dem Unterarm zu klopfen, was zu einem großen Bluterguss führte. Highlight: Der Gefreite P. ließ sich von einem Freund mehrfach auf Nase und Jochbein schlagen, um einen Überfall vorzutäuschen.

Wir versuchten, jegliche Arbeit zu vermeiden. Ich erinnere mich, wie wir zu dritt zu einer großen Fahrzeughalle gefahren wurden, um sie auszufegen. Wir fanden dort drei Besen vor, die wir sofort zerbrachen. Als wir nach zwei Stunden abgeholt wurden, zuckten wir nur mit den Schultern: „Entschuldigung, wir konnten hier nix machen, Material kaputt.“

Nach einem halben Jahr hatten sich fast 150 Disziplinarverfahren innerhalb der Kompanie angesammelt, ein paar hatten sich bereits T-Shirts mit „Verbrecherkompanie“ drucken lassen. Am Ende des Jahres waren es 275, angeblich unrühmlicher Rekord bei der Bundeswehr. Krasse Höhepunkte waren die Zerstörung einer Kegelbahn (am ersten und zugleich letzten gemeinsamen Freizeitevent) sowie die Verhaftung zweier Gefreiter, die nach einem erfolglosen Banküberfall in die Kaserne flüchteten und sich bei der Verhaftung so heftig wehrten, dass der Flur einem Trümmerfeld glich. Sämtliche Vitrinen, Bilder und Glaselemente waren zerstört, einer der Täter lag in einer Lache aus Blut und Erbrochenem. In seinem Bein steckte ein Messer.

Zumindest eine Sache hat mir mein Wehrdienst gebracht: Der Einstieg ins Berufsleben fiel mir nicht schwer. Ich wusste, dass selbst nach dem längsten Tag im Büro mein Bett auf mich wartete – und kein Erdloch.

„Ich lebte in einer Parallelgesellschaft“

Sören Götz, Anderer Dienst im Ausland

Quelle    :        Zeit-online         >>>>>      weiterlesen

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Grafikquellen     :

Oben     —Panzergrenadiere bei einer Übung mit dem Ausbildungsgerät Duellsimulator, kurz AGDUS, auf dem Truppenübungsplatz Jägerbrück bei Torgelow (Mecklenburg-Vorpommern). ©Bundeswehr/S.Wilke ( Täuschen, Tarnen und Verpissen )

Source originally posted to Flickr as Panzergrenadiere
Author ©Bundeswehr/S.Wilke
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Unten      —        German Soldiers in the Military Parade.

Source German Soldiers in the Military Parade

Author w?odi from Szczecin, Poland

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