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„Ein Teil meines Alltags“

Erstellt von Redaktion am Mittwoch 15. Juli 2020

„Ich bewerfe die Polizei nicht mit Dreck, das macht sie selbst“

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Von Carolina Schwarz

taz: Frau Baydar, bevor Sie im November 2019 in Mölln Ihre Rede zum Gedenken an die Opfer des Brandanschlags 1992 gehalten haben, gab es rechte Todesdrohungen gegen Sie. Jetzt bekommen Sie wieder welche: Gehört das mittlerweile zu Ihrem Alltag?

İdil Baydar: Schon vor meiner Rede in Mölln habe ich acht Todesdrohungen erhalten. Die Drohung, dass ich abgeknallt werde, wenn ich dort im November 2019 meine Rede halte, war die letzte der Reihe. Jetzt bekomme ich seit Monaten wieder Drohungen per SMS. Sie kommen von der Plattform 5 vor 12, worüber man anonym SMS verschicken kann. In meinem Fall sind sie nicht mit „NSU 2.0“ sondern immer mit „SS Obersturmbannführer“ unterzeichnet, wie auch schon damals. Und ja, das ist ein Teil meines Alltags.

Laut Medienberichten wurden Ihre persönlichen Daten von einem Rechner der hessischen Polizei abgerufen. Vertrauen Sie diesem Staatsorgan noch?

Was ich wirklich seltsam finde, ist, dass sich kein einziger Polizist bei mir meldet. Dass keiner sagt: Wir haben die Sache im Griff, machen Sie sich keine Sorgen, wir beschützen Sie. Ich fühle mich alleingelassen, meine Bedrohungslage scheint der Polizei egal zu sein. Stattdessen sind sie eher eingeschnappt, dass ich jetzt an die Öffentlichkeit gehe. Ich habe das Gefühl mit einer Polizei zu tun zu haben, die sich in einer Trotzphase befindet.

Wenn die Polizei sich nicht bei Ihnen gemeldet hat, wie haben Sie davon erfahren?

Auch ich musste das in der Presse lesen, dabei hätte ich es gerne von der Polizei erfahren.

Haben sich denn Menschen aus der Politik gemeldet?

Presse hat sich gemeldet, und Orkan Özdemir von der SPD. Aber sonst niemand. Auf den Anruf von Seehofer warte ich noch.

Ist das aktuelle polizeiliche Versagen ein spezifisch hessisches Problem?

Man sollte auf jeden Fall speziell dort einmal ermitteln, was vor sich geht. Aber wir wissen ja, dass die Polizei generell ein Problem mit Rechtsextremismus und Rassismus hat.

Sie beobachten das also schon länger?

Aus eigener migrantisierten Perspektive habe ich das Gefühl schon seit einiger Zeit. Spätestens seit dem NSU bin ich aufgeschreckt und mir wird bewusst, wie die Polizei arbeitet. Nämlich gegen die migrantische Geschichte: Bevor die Polizei überhaupt guckt, ob man Opfer einer Straftat geworden ist, wird man als migrantischer Mensch schon kriminalisiert. Wir werden in Tätersippenhaft genommen, das ist nicht Neues. Ich muss da an Oury Jalloh denken. Diesem Mann hat man alle Knochen gebrochen und ihn dann abgebrannt, damit man alle Beweise vertuschen kann. Das ist doch kein Einzelfall mehr. Was ist mit Amad Ahmad, der in seiner Zelle verbrannt ist? Das betrifft so viele Leute mittlerweile: Journalisten und migrantische Menschen, die auf Todeslisten stehen. Und man hat das Gefühl es passiert nichts, es gibt keine Aufklärung. Die Polizei versucht nur gute PR zu machen und wer es nicht macht, der bekommt auf die Fresse.

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Was wünschen Sie sich denn konkret von der Polizei?

In erster Linie wünsche ich mir eine lückenlose Aufklärung der Dinge. Das kann nicht sein, dass man in Deutschland als Rechter in der Polizei ist und es keine Konsequenzen gibt. Man kann nicht das Grundgesetz schützen, wenn man dagegen ist. Ich wünsche mir, viel mehr Aufklärungswillen und dass sie ein echtes Signal setzen und sich nicht beleidigt in eine Ecke stellen, weil sie Vorwürfe bekommen. Denn mein Fall – und nicht nur der – zeigt, dass das die Realität ist und der kann man nicht aus dem Weg gehen. Jetzt muss Schluss sein mit „der böse Migrant“. Endlich mal ehrlich sein, statt dieses ständige Leugnen, Wegrennen und Beleidigt-sein.

Quelle       :       TAZ      >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben       —        Hart aber fair, Sendung vom 25. Februar 2019. Frank Plasberg diskutiert das Thema: „Heimat Deutschland – nur für Deutsche oder offen für alle?“ Foto: Idil Baydar, Kabarettistin

Ein Kommentar zu “„Ein Teil meines Alltags“”

  1. Jimmy Bulanik sagt:

    Die Informationen über die Morddrohungen mit Bezug zur Polizei führt in meinem Fall zu der Frage ob die Bundesrepublik Deutschland nichts aus den Lehren um den NSU im Kontext von den Blood & Honor Strukturen gelernt hat ? Ich schüttle mit meinem Kopf. Auffällig bei der bekannten Sachlage ist, das immer wieder Frauen vom dem selbstbezeichneten „NSU 2.0“ mit dem Leben bedroht werden. Ich hoffe auf eine jüngere Generation, welche in einer besseren Europäischen Union leben will.

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