DEMOKRATISCH – LINKS

                      KRITISCHE INTERNET-ZEITUNG

RENTENANGST

Ein neuer Freiheitsbegriff

Erstellt von DL-Redaktion am Samstag 31. Juli 2021

Klimakrise oder: Die Grenzen der Freiheit

20161221 xl 1515--Gehard-Mester Weiter so.jpg

Von Till van Treeck

Allzu lange hat auch die Ökonomie die ökologischen Probleme unserer Zeit und damit die planetaren Grenzen weitgehend ignoriert. Nun aber ändert sich dies rasant: Schlüsselbegriffe wie „Markt“, „Wettbewerb“, „Wachstum“ oder „Schulden“ werden in den Wirtschaftswissenschaften neu gedacht und bewertet – insbesondere in Bezug auf unsere Freiheit. Das zeigte sich spätestens nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Ende April, wonach die Bundesregierung die CO2-Emissionen erheblich schneller senken muss als ursprünglich geplant.[1] Begründet hat Karlsruhe dies mit einer drohenden Freiheitsgefährdung in der Zukunft. Damit kommen auch Ökonom*innen nicht mehr umhin, das Verhältnis von der Freiheit, zu produzieren und zu konsumieren, auf der einen Seite und dem Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen auf der anderen Seite neu zu bestimmen.

Das große Umdenken

Für bundesweites Aufsehen sorgte die Neujustierung dieses Verhältnisses aber schon Wochen vor dem Karlsruher Urteil, als der Leiter des Bezirksamts Hamburg-Nord, Michael Werner-Boelz (Grüne), im Februar bei Amtsantritt erklärte, aus Naturschutzgründen kein neues Einfamilienhaus in seinem Bezirk mehr zuzulassen. Prompt fegte ein Sturm der Entrüstung durchs Land. Eine zentrale Kritik lautete, dass diese politische Entscheidung die Freiheit der Menschen unzulässig begrenze.

In der Tat schränkt sie die Freiheit derer ein, die gern ein Eigenheim bauen wollen. Zugleich aber erhöht sie die Freiheit jener, die die Fläche und die dafür erforderlichen Ressourcen anders verwenden würden – klimaschonender, kreativer, emanzipatorischer. Statt eines privaten Eigenheims könnten auf dem gleichen Platz Wohn- und Gartenanlagen für sehr viel mehr Menschen entstehen. Unterm Strich könnte also durch das Verbot die Freiheit eher zunehmen.

Auch unter Wirtschaftswissenschaftler*innen wurde der Fall kontrovers verhandelt. Hierbei zeigte sich exemplarisch, dass das Nachdenken über Ökonomie, und damit auch über den Freiheitsbegriff, in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten offener geworden ist – ein Ergebnis nicht zuletzt der weltweiten Finanzkrise ab 2007 sowie vor allem der heute immer offensichtlicheren Klimakrise.

In den Jahrzehnten zuvor war der Mainstream der Wirtschaftswissenschaften ausgesprochen liberal oder gar libertär geprägt gewesen. Entsprechend eng war das vorherrschende Verständnis von Freiheit, was bis heute nachwirkt: Freiheit wurde einerseits – wie im Alltag – weitgehend als Abwesenheit von Zwang begriffen. Andererseits aber war sie zugleich eng an das private Eigentumsrecht gekoppelt. Mit seinem Eigentum sollte man tun dürfen, was man wollte. Von vielen Ökonomen wurde deswegen jeglicher „Eingriff“ in das Privateigentum mit der Begrenzung von Freiheit gleichgesetzt.

Das aber ignoriert einen wichtigen Teil der Wirklichkeit. Denn wenn man Privateigentum – also das Recht an einer Sache – mit Freiheit gleichsetzt, unterschlägt man den Freiheitsentzug derer, die das Recht an dieser Sache nicht haben. Die Freiheit der Eigentümer*innen zählt, die der anderen indes nicht. Oder um bei dem Hamburger Beispiel zu bleiben: Die Freiheit derjenigen, die sich im Norden der Hansestadt ein Eigenheim leisten können, zählt mehr als die der vielen anderen, die vielleicht gern über die Wiese laufen würden.

In der Marktwirtschaft, in der wir leben, wird das Privateigentum rechtlich geschützt. Hierfür gibt es viele gute Gründe, und in vielen Bereichen profitiert die ganze Gesellschaft davon, dass Einzelne kreativ werden und neue Produkte entwickeln, um ihr Privateigentum zu mehren. Es gibt jedoch gar keinen Grund, das Recht auf Privateigentum zu überhöhen, oder eine gesellschaftliche Debatte darüber, wann eine Sache in privatem Besitz sein sollte und wann nicht, zu tabuisieren. Vor allem sollte man das Recht auf Eigentum nicht mit Freiheit verwechseln, denn diese Verknüpfung führt den Freiheitsbegriff letztlich ad absurdum. Der politische Philosoph Jerry Cohen bezeichnet diese Verknüpfung eines rechtebasierten Freiheitsbegriffs mit einem neutralen Freiheitsbegriff als inkonsistent, weil sich beide Definitionen wechselseitig ausschließen. Die libertäre Tendenz, die Unfreiheit derjenigen, die nicht das Recht an einer Sache haben, zu übersehen, leide unter einer „monocular vision“, also einer halbseitigen Blindheit und verwende daher den Freiheitsbegriff missbräuchlich.

Mit Blick auf das Eigenheim könnte die Forderung nach einem „Eigenheim für alle“ eine Lösung für das Problem sein. Jedenfalls verfolgt diesen Ansatz die Politik der derzeitigen Bundesregierung, die durch das Baukindergeld und andere Fördertöpfe möglichst vielen Menschen zu einem eigenen Haus oder wenigstens einer Wohnung verhelfen will. In größerem Maßstab gedacht, ist das Wirtschaftswachstum eine klassische Antwort auf die Inkonsistenz des rechtebasierten Freiheitsbegriffs: Wenn beispielsweise die Menschen, die noch kein Haus haben, auch eines haben möchten, müssen wir eben mehr bauen – und so die vermeintliche Freiheit aller erhöhen.

Dieses Prinzip stößt aber an Grenzen, wenn es um Güter geht, deren Angebot sich nicht ohne Weiteres ausweiten lässt. Das ist gerade bei Wohnflächen für Einfamilienhäuser in guter Lage – etwa im Grünen und zugleich in Stadtnähe – und bei intakter Umwelt heute ziemlich offensichtlich. Man kann schlichtweg nicht ganz Deutschland mit solchen Eigenheimen zubauen, schon aus ökologischen Gründen. Wer also eines hat oder baut, nimmt unweigerlich anderen die Freiheit, das auch zu tun. Die Standardökonomik kennt dafür den Begriff der Externalität: Das Handeln der einen hat externe Effekte für andere.

Official limousine of the German chancellor, Audi A8 W12 6.0 L, registration plate 0-2, seen in Bremen 2010.jpg

Politiker haben die E-Roller geholt, dann sollten sie diese auch fahren.

SUV: Wettrüsten auf der Straße

Die Angelegenheit wird noch komplizierter durch die sogenannten positionalen Güter, wie sie der Ökonom Fred Hirsch in seinem Buch „Social Limits to Growth“ bezeichnet hat. Bei diesen Gütern geht es darum, den eigenen Status in der Gesellschaft zu demonstrieren, beispielsweise durch einen SUV.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer hat erst kürzlich davor gewarnt, dass die Grünen den Menschen den SUV wegnehmen wollten – seine Mahnung im Wortlaut: „Da geht es um unsere Freiheit.“ Und tatsächlich könnte man versucht sein, es als Ausdruck von Freiheit zu begreifen, wenn einzelne Leute sich derart riesige Autos kaufen. Sie wollen die Freiheit haben, ihrem persönlichen Geschmack zu folgen und sich im Straßenverkehr sicher zu fühlen. Doch selbst wenn man ignoriert, wie sehr diese Autos die Umwelt verschmutzen, wird man einräumen müssen, dass die Teilnahme dieser Autos am Straßenverkehr die Freiheit derer, die kleinere Autos oder Fahrrad fahren oder zu Fuß gehen, erheblich einschränkt.

Quelle          :          Blätter-online        >>>>>       weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   Karikatur von Gerhard Mester zum Klimawandel: „Weiter so“

**************************

Unten        —      The limousine of the German chancellor, an Audi A8 6.0 L, with vehicle registration plate 0-2. Here seen in Bremen on the German Unity Day.

Kommentar schreiben

XHTML: Sie können diese Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>