Ein Jahr Ukraine –
Erstellt von DL-Redaktion am Donnerstag 30. März 2023
20 Jahre Irakkrieg – Warum der Globale Süden dem Westen nicht traut

Von : Andreas Zumach
Gut ein Jahr nach Beginn des Putinschen Angriffskrieges gibt es ein diffuses Bild, was die Parteinahme für die Kriegsparteien anbelangt. Während der Westen, militärisch verkörpert durch die Nato, eindeutig die Ukraine unterstützt, verhalten sich viele Staaten des Globalen Südens ausgesprochen indifferent und abwartend, was eine Verurteilung Russlands anbelangt.
Dabei kann gar kein Zweifel daran bestehen, dass durch Putins Krieg völkerrechtliche und menschenrechtliche Normen massiv unterminiert, ausgehöhlt und in ihrer Wirksamkeit und politischen Bindungskraft geschwächt werden. Doch dieser Krieg ist eben keineswegs singulär, was insbesondere im Globalen Süden unvergessen ist. Schon zwischen 1949 und 1989, also in der Phase des Kalten Krieges, sorgten ausgerechnet vier ständige und vetoberechtigte Mitglieder des UN-Sicherheitsrates für die Aushöhlung und Schwächung der Vereinten Nationen, nämlich die USA, die Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich mit ihren kriegerischen Interventionen in Vietnam, Algerien, Afghanistan, Nordirland, den Falklandinseln und in anderen Ländern des Globalen Südens. Und nach dem Ende des Kalten Krieges 1989 setzte sich dieser Aushöhlungs- und Schwächungsprozess der internationalen Völkerrechts- und Menschenrechtsnormen fort. Und zwar vor allem mit den Kriegshandlungen und Verbrechen der USA und verbündeter Nato-Staaten gegen/in Ex-Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Syrien und der von den USA geführten Drohnenmordkampagne sowie mit Russlands Kriegen und Verbrechen in Tschetschenien, Syrien und mit der Annexion der Krim.
Zweifellos der Höhepunkt dieser Entwicklung war der Irakkrieg, der am 20. März vor 20 Jahren begann. Im Ergebnis dieses Krieges und der nachfolgenden, ebenfalls völkerrechtswidrigen achtjährigen Besatzung Iraks durch die USA verloren rund eine Million Iraker:innen ihr Leben. Dieser von Washington und London mittels gefälschter Beweise für angebliche Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins herbeigeführte Krieg stellte den schwersten Anschlag auf das Völkerrecht und die UNO seit ihrer Gründung im Jahre 1945 dar.[1] Zwar waren – mit vielleicht ein, zwei Ausnahmen – sämtliche der über 250 Kriege, die in den vergangenen 60 Jahren weltweit geführt wurden, ein Verstoß gegen das Gewaltverbot der UN-Charta. Doch niemals zuvor erfolgte ein solcher Verstoß so kalkuliert und unter so absichtsvoller Missachtung des Willens der überragenden Mehrheit der UN-Mitgliedsstaaten wie im Fall des Irakkrieges. Und erstmals wurde ein Krieg ausdrücklich unter Berufung auf eine militärische Präventivdoktrin geführt. Damit wurden das Völkerrecht und die Institution der Vereinten Nationen grundsätzlich infrage gestellt. Auf diesen Umstand wies der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan in seiner historischen Eröffnungsrede zur Generalversammlung am 23. September 2003 hin.
Doch selbst einstmals erklärte Kriegsgegner unter den UN-Mitgliedsregierungen hielten sich mit Kritik an dieser Präventivkriegdoktrin – wie auch grundsätzlich an der Völkerrechtswidrigkeit des Krieges – auffallend zurück. Das galt insbesondere für die rot-grüne Koalition in Berlin, von der – obwohl sie sich klar gegen die Kriegsbeteiligung aussprach – derartige Kritik weder vor noch seit dem Krieg zu hören war. Hätte die rot-grüne Bundesregierung den Krieg damals für völkerrechtswidrig erklärt, dann wäre sie gezwungen gewesen, der Bush-Administration ihre umfangreichen logistischen und militärischen Unterstützungsleistungen für diesen Krieg zu verweigern. Und auch von keiner anderen deutschen Bundesregierung gab es nach Ende des Krieges nennenswerte Kritik. Von Versuchen, die für den Krieg Verantwortlichen in der amerikanischen oder englischen Regierung einem Gericht zuzuführen, ganz zu schweigen.
Zudem fand die Option auf den präventiven Einsatz militärischer Mittel (ohne eindeutige Bindung an ein Mandat des UN-Sicherheitsrates) inzwischen Eingang in die neue Sicherheitsstrategie der Europäischen Union. Und bei der Neuformulierung ihrer nationalen Militärstrategien planten auch Russland und Frankreich die ausdrückliche Aufnahme präventiver militärischer Handlungsoptionen. Viele Militärplaner betrachten den Irakkrieg also offenbar als willkommenen Präzedenzfall. Wie dramatisch dieser Einbruch war, zeigt sich daran, dass sich auch Putin heute auf einen angeblichen Präventivkrieg gegen das „faschistische Regime in Kiew“ und den gesamten „kollektiven Westen“ beruft.
Selektivität und doppelte Standards
Anders war die Lage im Kalten Krieg: In den vier Jahrzehnten der Ost-West-Blockkonfrontation hielten sich die Akteure feindlicher Lager ihre jeweiligen Verstöße nur selten gegenseitig vor. Zuständige Gremien wie der Sicherheitsrat in New York und die Menschenrechtskommission (seit 2006: Menschenrechtsrat) in Genf, in denen diese Verstöße hätten thematisiert, politisch verurteilt oder sogar sanktioniert werden können, waren durch die globale Ost-West-Konfrontation völlig blockiert und handlungsunfähig.
Im Kontext dieser Konfrontation wurden auch viele der formal blockunabhängigen UN-Staaten immer wieder von der einen oder anderen Seite für deren Interessen instrumentalisiert. Das führte dazu, dass auch die Generalversammlung von der Möglichkeit, bei einem „Bruch des Friedens“ einzugreifen, die sie 1950 wegen der monatelangen Blockade und Handlungsunfähigkeit des Sicherheitsrates im Koreakrieg durch ein sowjetisches Veto mit ihrer Resolution „Uniting for Peace“ geschaffen hatte, seitdem nur in elf weiteren Fällen Gebrauch gemacht hat. Zuletzt mit der Resolution vom 2. März 2022, in der die Generalversammlung auf einer „Notstandssitzung“ Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine mit der Mehrheit von 141 der 193 Mitgliedsstaaten als „Bruch der UN-Charta“ verurteilte und die Regierung Putin zur Einstellung aller Angriffshandlungen und zum „sofortigen, bedingungslosen und vollständigen Abzug“ ihrer Invasionstruppen aufforderte. Mit Russland stimmten lediglich Belarus, Eritrea, Nordkorea und Syrien gegen die Resolution. Insgesamt 35 Länder, darunter China, Indien, Irak, Pakistan und Südafrika, enthielten sich der Stimme. Bereits im März 2014 hatte die UN-Generalversammlung mit der Mehrheit von 100 gegen 11 Stimmen bei 58 Enthaltungen auch Russlands Annexion der Krim als Verstoß gegen die Prinzipien der UN-Charta und damit als völkerrechtswidrig eingestuft und das Referendum vom 16. März 2014 über eine Sezession (Abspaltung) der Krim von der Ukraine für „ungültig“ erklärt.
Ziemlich klar war auch die Lage im Sicherheitsrat. Dort hatte – vor der Abstimmung in der Generalversammlung am 2. März 2022 – ein entsprechender Resolutionsentwurf am 24. Februar 11 Ja-Stimmen erhalten, war aber am Veto Russlands gescheitert. China, Indien und die Vereinigten Arabischen Staaten (VAE) enthielten sich der Stimme. Theoretisch hätte die Generalversammlung auch über die Verurteilung Russlands hinausgehen und – so wie 1950 im Fall des Koreakonflikts – konkrete Maßnahmen beschließen können, von Sanktionen bis hin zur Entsendung von UN-Truppen. Doch die Bereitschaft von UN-Mitgliedern außerhalb des Gebiets der OSZE, sich im Ukrainekrieg zu engagieren, ist sehr gering – nach wie vor wird dieser als ein innereuropäischer Konflikt wahrgenommenen. Hier rächt sich, dass die internationale Debatte über die Verletzung völkerrechtlicher und menschenrechtlicher Normen spätestens seit Ende der 1990er Jahre immer stärker durch doppelte Standards geprägt ist, sprich: durch die selektive Anwendung dieser Normen und durch Whataboutism – also durch den Versuch, von eigenen Verstößen abzulenken oder diese zu verharmlosen durch Verweis auf (tatsächliche oder auch nur vermeintliche) Verstöße anderer.
Das geschieht von westlichen Politiker:innen und vielen Medien mit Blick auf Verstöße Russlands – genauso wie umgekehrt. Eine entscheidende Rolle spielt dabei der Kosovokrieg von 1999. So kontert die russische Seite bis heute jegliche Kritik an der völkerrechtlichen Annexion der Krim mit ihrer Kritik am völkerrechtswidrigen Nato-Luftkrieg gegen Serbien und der nachfolgenden Abspaltung des Kosovo.
Tatsächlich ist die weitverbreitete Behauptung westlicher Politiker:innen und Medien falsch, wonach der Überfall Russlands auf die Ukraine „der erste Anschlag seit Ende des Kalten Krieges auf die Europäische Friedensordnung“ sei – oder „der erste Angriff auf einen souveränen Staat“ oder „der erste Versuch, Grenzen in Europa mit Gewalt zu verändern“. Denn diese Pandorabüchse hat die Nato mit ihrem Luftkrieg gegen Serbien und der nachfolgenden gewaltsamen Abtrennung des Kosovo geöffnet.[2] Allerdings gerät der Hinweis auf diese unbestreitbare Tatsache häufig zur völlig indiskutablen Relativierung, Verharmlosung oder gar zur Rechtfertigung russischer Verstöße gegen Völkerrechts- und Menschenrechtsnormen. Und das nicht nur aus dem Mund russischer Politiker oder Staatsmedien, sondern auch bei Diskussionen zwischen Menschen, die sich zur Friedensbewegung zählen.
Die Blockade des Sicherheitsrats
Quelle : Blätter-online >>>>>> weiterlesen
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