Ein Jahr Ampel-Kanzler
Erstellt von Redaktion am Donnerstag 15. Dezember 2022
„Etwas lauter bitte, Olaf“
Wenn hinter den Masken die Dummfaxen kaum sichtbar werden, helfen nur die Hände.
Von Anna Lehmann und Stefan Reinecke
Auch nach einem Jahr im Amt bleibt Olaf Scholz für viele schwer greifbar. Das öffentliche Urteil ist verhalten, Koalitionspartner aber sind zufrieden. Wie führt ein schüchterner Mensch die Regierung und das Land?
er bei mir Führung bestellt, muss wissen, dass er sie dann auch bekommt“, hat Olaf Scholz der taz mal in einem Interview gesagt. Und hinzugefügt: „Das geht natürlich nicht im Alleingang.“ Das war im November 2009 nach seiner Wiederwahl zum Vorsitzenden der Hamburger SPD. Scholz’ Drohung hatte damals einen Adressaten – die von Intrigen ruinierte Hamburger Sozialdemokratie. Scholz war der Mann, der aufräumen musste. Nüchtern, pragmatisch, auch autoritär.
12 Jahre später, am 8. Dezember 2021, wählte der Bundestag Scholz zum Kanzler. Der Satz wird seitdem viel zitiert, Scholz wird an ihm gemessen. Er soll das Land durch die Zeitenwende führen, als Kanzler der ersten Dreierkoalitio2n auf Bundesebene mit SPD, Grünen und FDP. Er soll den Aufbruch wagen und in der Krise den Status quo sichern. Eine Gratwanderung. Wie macht er das?
Wir haben mit Kolleg:innen aus der Ampelkoalition und mit Menschen gesprochen, die ihn lange auf seinem politischen Weg begleitet haben. Entstanden ist das Bild eines Mannes, der für alles einen Plan zu haben scheint, aber nicht allen verrät, welchen. Der trotz Dauerpräsenz in der Öffentlichkeit schwer greifbar bleibt. Der arrogant auftreten kann, der aber auch zuhört und Fragen stellt. Der stur sein kann bis zur Halsstarrigkeit.
„Er ähnelt in manchem Wolfgang Schäuble. Herr Schäuble weiß auch alles immer ganz genau“, sagt jemand, der mit Scholz am Kabinettstisch sitzt.
Erst Stamokap, dann Law and Order
Scholz kann jedenfalls ebenso herablassend wie Schäuble sein. Als eine Journalistin den Kanzler im Sommer fragt, ob er konkretisieren könne, wie die deutschen Sicherheitsgarantien für die Ukraine aussehen, sagt Scholz nur: „Ja, könnte ich.“ Schweigt. „Das war’s.“
Wie Schäuble blickt Scholz auf eine lange Dienstzeit als Politiker zurück: Vom ultralinken Stamokap-Flügel der SPD kommend, hat er sich zum Law-and-Order-Innensenator und Ersten Bürgermeister in Hamburg entwickelt, hat erfolglos versucht, SPD-Vorsitzender zu werden, und es dennoch zum vierten SPD-Kanzler in der Geschichte der Bundesrepublik gebracht.
Vom Menschen Scholz ist wenig bekannt. Er hat zwei jüngere Brüder – der eine Arzt, der andere in der IT-Branche –, lernte seine Frau Britta Ernst in den 80ern bei den Jusos kennen. Sie sei die Liebe seines Lebens. Er kocht gern Königsberger Klopse, rudert und joggt in seiner Freizeit. Er versteht sich ganz gut mit Markus Söder, der ihn mal zurechtgewiesen hat, er solle nicht so schrumpfig grinsen. Überhaupt mag Scholz Schlümpfe, weil sie klein, verschmitzt und clever sind und am Ende immer gewinnen.
Christian Dürr, FDP-Fraktionsvorsitzender : „Jetzt habe ich ihn ja schon wieder gelobt“
Das alles hat Scholz der Bunten sechs Wochen vor der Bundestagswahl gesagt. Als SPD-Kanzlerkandidat gehört so ein Interview wohl zum Pflichtprogramm. Jedenfalls hat er nach der Wahl nie wieder ein ähnliches gegeben und reagiert auch sonst auf persönliche Fragen ablehnend. Beim Bürgertreffen im Sommer, ein Jahr später in Magdeburg, möchte die Moderatorin wissen, was der Kanzler als Kind werden wollte. Den meisten PolitikerInnen würde jetzt schon etwas einfallen, das sie in freundlichem Licht zeigt. Scholz sagt: „Ich bin 64 Jahre. Ich weiß es nicht mehr.“
Angela Merkel machte ihre Biografie lange fast unsichtbar, weil sie glaubte, als ostdeutsche Frau Widerstand zu mobilisieren. Auch Scholz wirkt ungreifbar. Aber aus einem anderen Grund. Er fremdelt mit Menschen. Ihm fliegen die Sympathien auch nicht zu. Er hat nicht die Fähigkeit, Fremdes durch Offenherzigkeit in Vertrautes, Distanzen in Nähe zu verwandeln. Sein Humor ist mitunter schrullig, viele verstehen ihn nicht. Lars Haider, Chefredakteur des Hamburger Abendblatts, hat 2021 eine Biografie über den Kanzler geschrieben. Sein Eindruck: „Scholz ist ein zutiefst schüchterner, sehr zurückhaltender Mensch.“
Machtpolitischer Malus
Das ist machtpolitisch ein Malus. Denn mit Charmeoffensiven kann man Vertrauen erneuern, Konflikte besänftigen. Das ist nicht Scholz’ Stärke.
Die Hamburger Grünen sind gebrannte Kinder. Die Scholz-SPD schrammte 2015 knapp an der absoluten Mehrheit vorbei und brauchte die Grünen als Juniorpartner, um das Rathaus zu halten. Die Zweite Bürgermeisterin der Grünen, Katharina Fegebank, erinnert sich an Scholz als „harten Verhandler“. „Er hat den Anspruch, der Platzhirsch zu sein, Gespräche auch dominieren zu wollen und relativ wenig Spielraum zu lassen“, sagte Fegebank 2021 der Deutschen Presseagentur. Charmant klingt das nicht.
„Er ähnelt in manchem Wolfgang Schäuble. Der weiß auch alles immer ganz genau“
Doch in der Ampel herrschen heute andere Verhältnisse. Die SPD gewann die Bundestagswahl nicht mit 46, sondern mit 26 Prozent. Die Grünen sind Konkurrent und Partner zugleich, die FDP hat erstmals seit Jahrzehnten wieder ins linke Lager gewechselt und will umsorgt sein.
Christian Dürr ist seit einem Jahr Fraktionschef der FDP im Bundestag. Als solchem steht ihm ein geräumiges Büro zu, das selbst mit Fahnenhalter samt Europafahne nicht überladen wirkt. Nach Scholz’ Führungsstil gefragt, antwortet Dürr wie aus der Pistole geschossen: „Gut.“ Pause. Dürr beugt sich vor, bekräftigt: „Er macht das menschlich echt gut.“ Man könne sich auf sein Wort verlassen.
Das Lob für den Kanzler mutet seltsam an. Schließlich ist die FDP die Partei, die bislang überhaupt nicht von der Koalition profitiert. Vier Landtagswahlen gingen seit dem Regierungsantritt schief. Und dennoch ist Dürr enthusiastisch. Er redet sich fast in Ekstase: Der Kanzler habe echt „Bock“, etwas zu wagen, sei anders als Merkel ein Reformer, habe „Drive“.
Keine Frage nach der Vermögenssteuer
Die Grünen sind dem Kanzler gegenüber skeptischer. Katharina Dröge, ist eine von zwei Grünen-Fraktionsvorsitzenden. Augenhöhe, ja doch, sagt sie. „Das kann man so sagen. Eine harte Koch-Kellner-Regierung wie in Hamburg haben wir hier nicht, würden wir auch nicht mitmachen.“
Aber für den Geschmack der Grünen lässt Scholz der FDP viel zu viel Raum, gerade in finanzpolitischen Fragen stehe er zu oft an Christian Lindners Seite.
Rückfrage bei Christian Dürr. Hat Scholz in den Koalitionsrunden schon mal die Vermögenssteuer erwähnt? Steht schließlich so im SPD-Wahlprogramm. Ist in diesen Zeiten, in den der Staat 300 Milliarden an Schulden für die Krisenbekämpfung aufnimmt, auch keine ganz abwegige Idee. „Nein, daran erinnere ich mich nicht. Schließlich haben wir uns als Koalition darauf geeinigt, die Steuern nicht zu erhöhen“, sagt Dürr.
Möglicherweise ist Scholz’ Zurückhaltung aber auch ein Signal an die gebeutelte FDP: Ich respektiere Eure Grenzen.
„Olaf Scholz hatte schon immer eine sehr gute Art, die Dinge zusammenzuführen“, sagt Sarah Ryglewski. Die Abgeordnete ist im Kanzleramt Staatsministerin für Bund-Länder-Koordination und Nachhaltigkeit. Scholz holte die SPD-Linke 2019 zunächst ins Finanzministerium, zwei Jahre später folgte sie ihm ins Kanzleramt. Von Top-Down und Kontrollwahn, der Scholz aus Hamburger Zeiten nachgesagt wird, kann Ryglewski nicht berichten. Im Gegenteil: Scholz lasse seinen Leuten viele Freiräume – so lange alles funktioniere.
Das große Ganze im Blick
Näher kennengelernt hat sie Olaf 2017, als sie Mitglied der Antragskommission wurde, die Scholz damals schon seit über einem Jahrzehnt leitete. Die Kommission hat eine Schlüsselrolle für eine Programmpartei wie die SPD, vor Parteitagen sichtet sie Hunderte von Anträgen, vom Unterbezirk Wandsbeck bis zum Landesverband NRW, und entscheidet, was am Ende abgestimmt wird. „Er hatte immer Verständnis dafür, dass jeder Landesverband seinen Punkt braucht, und hatte dabei das große Ganze im Blick“, lobt Ryglewski ihren Chef.
Die Erfahrungen aus der Antragskommission überträgt Scholz auf die Ampelkoalition – jede der drei sehr unterschiedlichen Parteien braucht mal einen Punkt, mit dem sie glänzen kann. Die FDP kann sich für den Tankrabatt und den Abbau der kalten Progression auf die Schultern klopfen, die SPD feiert den Abschied von Hartz IV und die Grünen das 49-Euro-Ticket und den Ausbau der Erneuerbaren Energien. Gleich zu Beginn hat seiner Amtszeit hat Scholz dem Spiegel gesagt: „Man muss als Koalition mit dem Anspruch antreten, bei den nächsten Wahlen wiedergewählt zu werden.“
Quelle : TAZ-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Olaf Scholz and Nico Marquardt at Science Park Potsdam, Germany, March 2021
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2.) von Oben — Olaf Scholz spricht auf dem Deutschen Jungsozialistentag 1984