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Ein Hohlpofosten der EU

Erstellt von Redaktion am Montag 29. Juli 2019

Sebastian Kurz oder: Der Sieg des Opportunismus

Matthias Laurenz Gräff, "Bella gerant alii, tu felix Austria nube. Sebastian Kurz, Der Große Diktator, Opportunist, Putschist".jpg

von Cornelius Lehnguth

„Eine b’soffene G’schicht‘“ – mit diesen Worten versuchte Heinz-Christian Strache noch in seinem Rücktrittsgesuch als FPÖ-Vorsitzender und Vizekanzler die politische Dimension der sogenannten Ibiza-Affäre herunterzuspielen, die soeben zur Implosion der rechtsnationalen ÖVP/FPÖ-Koalition geführt hatte.

Doch sieht man von der gewaltigen Wirkung des Videos einmal ab, hat Strache in einem Punkt durchaus recht: Inhaltlich konnten die von „Spiegel“, „Süddeutscher Zeitung“ und „Falter“ veröffentlichten, geheim angefertigten Mitschnitte jenes feuchtfröhlichen Abends in der ominösen Ibiza-Villa eigentlich kaum überraschen.[1] Denn dass die Freiheitlichen zwar öffentlich immer gern als Saubermänner auftreten, den Staat dagegen, so sie in verantwortliche Position gelangen, zumeist als Selbstbedienungsladen behandeln, sollte spätestens 2008, nach dem Unfalltod des Strache-Vorgängers Jörg Haider, klar geworden sein. Damals wurde der ganze kriminelle Morast des Systems Haider bekannt. Dieser reichte in dessen Stammland Kärnten von Bestechlichkeit, Geldwäsche, Untreue bis hin zu illegaler Parteienfinanzierung und hatte mehrere Haftstrafen auch von Politikern anderer Parteien zur Folge.[2] Bemerkenswert ist heute also vielmehr, dass die ÖVP/FPÖ-Koalition erst anlässlich der Korruptionsvorwürfe gegen Strache und seinen an der Affäre beteiligten Zögling, den mittlerweile auch zurückgetretenen FPÖ-Fraktions-chef Johann Gudenus, zerbrach – also in Folge des nicht zustandegekommenen Kuhhandels mit der vermeintlichen Oligarchen-Nichte. Die zahlreichen, oftmals rechtsextrem konnotierten Vorfälle und Fehltritte der letzten anderthalb Jahre hinterließen dagegen kaum bleibenden Eindruck – weder bei der ÖVP noch bei deren Frontmann Sebastian Kurz.

Zur Erinnerung: Kurz übernahm im Mai 2017 mit gerade einmal 30 Jahren die bis dahin als Juniorpartner in der großen Koalition mit der SPÖ dahinsiechende Volkspartei. Für „Österreichs neues Wunderkind“[3] wurden nach seinen Bedingungen eigens die Parteistatuten geändert, sodass Kurz als neuer Vorsitzender weitgehende Durchgriffs- und Vetorechte erhielt. Aus den Nationalratswahlen ging die ÖVP unter dem Listennamen „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei (ÖVP)“ mit ihm als Spitzenkandidat mit 31,5 Prozent als stimmenstärkste Partei hervor. Sein überaus migrationskritischer, partiell xenophober Kurs, der sich nur in der Tonlage von dem der FPÖ unterschied, wurde vom österreichischen Wahlvolk ganz offensichtlich goutiert. Ein cleverer Schachzug: Denn diejenigen, die zwar ähnliche Positionen vertreten wie die rechtsradikale FPÖ, sich aber von Straches aggressivem Kirmesboxer-Image abgestoßen fühlen, konnten nunmehr beseelt Kurz wählen, der immer höflich-zugewandt auftritt und die bürgerlichen Umgangsformen bis zu einer gewissen aalglatten Manieriertheit professionell verinnerlicht hat.

Seine entsprechenden Meriten hatte er sich in den Monaten zuvor als Außenminister verdient, als er tatkräftig zum Schließen der sogenannten Westbalkan-Route beitrug und sich dadurch auf europäischer Ebene im Verbund mit Viktor Orbán als Gegenspieler der deutschen Kanzlerin inszenieren konnte. Nach dem Wahlsieg schmiedete Kurz sogleich mit der FPÖ, der er mit dem Innen-, Außen- und Verteidigungsministerium zahlreiche Schlüsselressorts gab, ein Regierungsbündnis, das sich von den öffentlich ausgetragenen Kämpfen und Zänkereien der vorherigen großen Koalition deutlich abheben sollte. Wie ein Mantra wurde der Verweis auf die vermeintlich geräuschlose Zusammenarbeit von Volkspartei und FPÖ vor sich hergetragen und auch insofern vorgelebt, als Kurz sich nur sehr selten, wenn überhaupt, kritisch zu den immerwährenden Ausfällen seines „freiheitlichen“ Koalitionspartners äußerte, der seine rechte Narrenfreiheit hingegen weidlich genoss.

Ob die vom FPÖ-Innenminister Herbert Kickl im Februar 2018 initiierte – von österreichischen Gerichten im Nachgang als rechtswidrig bewertete – Razzia des österreichischen Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, bei der Datenträger über österreichische Rechtsextremisten beschlagnahmt und einbehalten wurden, oder die lange Liste rechtsextremer Entgleisungen von FPÖ-Politikern:[4] Kurz agierte stets als gewiefter postideologischer Taktiker, der alles politischen Opportunitäten unterordnet. Seine Wendigkeit wird auch mit Blick in die Vergangenheit deutlich: Als es en vogue war, sich migrationskritisch zu äußern und sich von der Piefke-Kanzlerin politisch abzusetzen, tat er es im Wissen, damit ein Ticket ins Kanzleramt zu erhalten. Als Staatssekretär für Integration, der er von 2011 bis 2013 war, hörte man von Kurz dann ganz andere, nämlich liberale Töne, die sich vom konservativen Mainstream absetzten und ihm dadurch Bekanntheit bescherten.[5]

Vor diesem Hintergrund erscheint es sogar möglich, dass die Aufkündigung der Koalition mit der FPÖ bereits längere Zeit geplant war. Schließlich war im politischen Wien seit über einem Jahr bekannt, dass ein kompromittierendes Video von FPÖ-Rechtsaußen Strache existierte. Zudem scheint die ÖVP auf die Implosion auch insofern vorbereitet gewesen zu sein, als dass sie schon Wochen vor Veröffentlichung der Videomitschnitte Plakatflächen für September 2019 angemietet hatte – mit Blick auf mögliche Neuwahlen.[6]

Wolfgang Schüssel als Pate

Quelle       :        Blätter          >>>>>         weiterlesen

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Grafikquelle        :

Matthias Laurenz Gräff, „Bella gerant alii, tu felix Austria nube. Sebastian Kurz, The Great Dictator, Opportunist, Rebel“, oil on canvas, 100×100 cm, 2019

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