Ein Gespräch über Bäume
Erstellt von Redaktion am Mittwoch 4. März 2020
Kein Friede unter den Oliven
Ein Schlagloch von Georg Seesslen
Wahrlich, finstere Zeiten brechen herein. Und mit dem alten Brecht müsste man seufzen: „Was sind das für Zeiten, wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“
Ich sitze gern unter einem Olivenbaum. Wir haben ein Dutzend alter Olivenbäume. Wobei unter „haben“ eher etwas zu verstehen ist wie Nachbarn haben als eine Besitzanzeige. Denn wie sollte man ein lebendes Wesen besitzen, das älter ist als die ältesten Bilder aus deiner Familiengeschichte? Unter diesen Oliven, sagt man, sei einst Napoleon gesessen. Wenn Napoleon unter allen Bäumen gesessen hätte, von denen man so etwas erzählt, hätte er wahrscheinlich vor lauter Unter-Bäumen-Sitzen gar keine Zeit mehr zum Kriegführen gehabt. Aber so weit geht die Macht der Oliven nicht. Näher, schrecklich näher ist die Erinnerung an Partisanen, die sich hier im letzten Jahr des Zweiten Weltkriegs verbargen, und die verraten und von Schwarzhemden und deutschen Soldaten ermordet wurden. Es gibt ein Denkmal ihnen zu Ehren, aber nicht weit davon entfernt auch eines für die Soldaten des faschistischen Staates.
Ist solch ein Nebeneinander ein bizarres Überbleibsel des „historischen Kompromisses“? Der Partito Comunista Italiano (PCI) unter Enrico Berlinguer verzichtete 1973 auf einen radikalen Widerspruch zum Kapitalismus und bekannte sich zur Demokratie und zur gemeinsamen Arbeit an Reformen mit den anderen Parteien, auch und gerade der Democrazia Christiana unter Aldo Moro. Doch statt der erhofften reformerisch-liberalen und sozialen neuen Mitte und einem gemeinsamen Projekt der versöhnten pluralen Demokratie folgten Chaos und Gewalt diesem Ansatz, die Ermordung Aldo Moros, der Aufstieg der Neofaschisten, eine politische Traumatisierung. Der PCI ist heute nur noch eine Erinnerung, die DC allerdings auch. Und ebenso das Projekt, das eine Spaltung der Gesellschaft überwinden wollte, die aus der Geschichte des Landes wie aus der Ökonomie der Gegenwart stammte.
War der historische Kompromiss etwa ein Fehler? Oder war er, andersherum, nur der Versuch, sich als linkes politisches Subjekt zu bewahren in einem Prozess, der ohnehin nicht aufzuhalten war? Die Verwandlung einer einst „revolutionären“ Organisation mit einer ganz eigenen politischen Kultur in eine reformerische, eher sozialdemokratische Partei, die in den Mainstream-Medien und -Diskursen aufging, führte jedenfalls zugleich zur Abspaltung einer verzweifelt militanten Linken (und von der wiederum ein terroristischer Untergrund) und zum Erstarken einer rechten und rechtsextremen Opposition, die aus der Abwehr eben dieser reformerisch-demokratischen Allianz entstand, von der zu befürchten war, dass sie der Wirtschaft und der Gesellschaft ein soziales Gewissen abverlangen würde. So war der historische Kompromiss als bewusstes und transparentes Projekt wahrhaft blutig gescheitert; in den Biografien, den Strukturen, den Szenen allerdings vollzog sich die Auflösung der traditionellen Linken in der demokratischen Mitte immer weiter, und zwar nicht nur im Süden, sondern nach und nach in ganz Europa. Wo sich einst linke und bürgerlich-konservative Kräfte unversöhnlich gegenüberstanden, entstand eine demokratische Grunderzählung. Oder sie hätte wenigstens entstehen sollen.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Puglia, Salento – ulivi giganti secolari / Olivenbäume in Italien
Author | Deblu68 |
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