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Ein Flüchtling erzählt

Erstellt von DL-Redaktion am Dienstag 31. Oktober 2017

Mein Leben ist wie ein Traum

Drehscheibe Köln-Bonn Airport - Ankunft Flüchtlinge 27. September 2015-0031.jpg

Von Gabriele Goettle

Herr Ashaq, ein Flüchtling aus Pakistan, erzählt

Nachdem der uns nachgewiesene Mietpreis von 330 Euro inklusive Heizung und Nebenkosten gegen die seit 01.08.2015 gültige Mietpreisbremse verstößt, wird dem Umzug in diese Wohnung nicht zugestimmt.“ (regensburg-digital) Bescheid des Job-Centers Regensburg an einen Hartz-IV-Empfänger, der ein Singleappartement, 22 Quadratmeter, für 330 Euro Warmmiete gefunden und die Kostenübernahme beantragt hatte.

Herr Ashaq wohnt in Berlin-Wilmersdorf, nahe dem Fehrbelliner Platz. Als wir vor dem weißen Neubau eintreffen, tritt eben seine Frau, Maria Vergi, aus der Eingangstür. Im Kinderwagen liegt ihr unlängst geborenes Mädchen namens Faika. Ihr anderes Töchterchen, die kleine Fatima, ist 2016 geboren und geht brav an ihrer Seite. Sie ist sichtlich erfreut über den unverhofften Ausflug. Frau Vergi sucht nach Worten und sagt dann: „Er warten oben, er so müde!“ Sie deutet auf die dunklen Ringe unter ihren Augen und erklärt: „Wir viel müde. Kinder weinen nachts, keine Schlafen.“ Wir halten ihr das Gartentor auf, winken dem kleinen Mädchen zu und steigen hinauf in den ersten Stock. Vorbei an einer Art schwarzem Brett, auf dem Anweisungen zu häuslichen Belangen, unter anderem zur Müllentsorgung, zu lesen sind. Auch wird streng darauf hingewiesen, dass die Bewohner die Schlüssel nicht von innen stecken lassen dürfen an ihren Wohnungstüren. Der autoritäre Verwaltungston lässt erkennen, dass der Hausmeister hier nicht normale Mieter eines Wohnhauses anspricht, sondern ihm untergeordnete Bewohner belehrt. Diese Bewohner sind Heimbewohner. Es handelt sich bei dem unscheinbaren Appartementhaus, einem dreistöckigen Flachbau, um ein Flüchtlingswohnheim. Auf Google Earth zeigt sich das Haus (zur Zeit des Film-Aufnahmedatums vom Juli 2008), noch mit der Aufschrift „Hotel Appartements“ an der Fassade.

U-Bahnhof Fehrbelliner Platz 20141003 14.jpg

Heute ist er bleich

Wir klopfen an einer weißlackierten Wohnungstür, Herr Ashaq öffnet und bittet uns sehr freundlich hinein. Wir kennen uns bereits durch ein Vorgespräch. Heute ist er bleich und hat Schnupfen. Obgleich er noch so jung ist, haben sich Übernächtigung und Erschöpfung in seinem Gesicht abgezeichnet. Wir werden ins einzig vorhandene Zimmer geführt und gebeten, auf einem der beiden Elternbetten Platz zu nehmen. Der Krach von der stark befahrenen Straße dringt durchs gekippte Fenster. In einem Spezialstuhl sitzt angeschnallt das älteste Kind, ein schwerbehinderter Junge namens Falak. Er ist drei Jahre alt, hat fast ununterbrochen spastische Bewegungsstörungen, kann seine Muskulatur nicht steuern. Sein Kopf und sein gesamter Leib werden gestützt und durch Gurte gehalten. Falak hat dichte, schwarze, glänzende Haare und sanfte dunkle Augen mit langen Wimpern. Er schaut in unsere Richtung, ich weiß aber nicht, ob er uns wahrnimmt, sein Blick lässt sich für uns nicht deuten. Herr Ashaq setzt sich neben seinen Sohn und streichelt ihm über den Kopf und spricht leise Griechisch mit ihm, was einen Ausdruck von Freude und Wohlgefühl nach sich zieht. Der Junge öffnet den Mund zu einem stummen Lachen und schaut unter krampfartigem Winden seines Körpers unverwandt den Vater an.

Herr Ashaq nimmt die Hand seines Sohnes zwischen seine beiden Hände und sagt: „Falak heißt er, Falak heißt ,der Himmel‘. Er kann hier nicht raus. Kein Aufzug. Nur samstags, wo wir alle zusammen einkaufen, dann trage ich ihn die Treppe runter.“ Er deutet in die Runde und erklärt: „Hier müssen wir wohnen, fünf Personen, das sind 38 Quadratmeter, alles zusammen, ein Zimmer, kleine Küche, Flur und Dusche. Unsere Miete ist sehr teuer, wie im Hotel, 25 Euro pro Person am Tag – auch für das Kleine, das Neugeborene! Das sind fast 4.000 Euro, jeden Monat! Das Jobcenter bezahlt das Geld direkt an den Besitzer vom Wohnheim. Das ist sehr viel Geld. Ich bezahle dem Besitzer auch einen Anteil Miete, je nach dem, was ich im Monat verdiene, mal 150 Euro, mal 300 Euro, mal 250 Euro. Hier sind Appartements, da wohnen 8 bis 9 Leute, und es ist immer laut!“

Voll und bedrückend eng

Die Möblierung ist spärlich. Der Raum bietet eigentlich nur Platz für die zwei großen Betten der Eltern und die zweieinhalb Gitterbettchen der Kinder, für ein schmales Tischchen, einen Stuhl, eine Ikea-Kommode ( auf dem das Fernsehgerät steht, das permanent läuft) und ein Wägelchen für irgendwelche therapeutischen Zwecke zur Pflege des Jungen. Dann ist er schon voll und bedrückend eng. Ein großer flauschiger roter Teppich bedeckt den Laminatboden. Alle gehen barfuß in der Wohnung. Unordnung erträgt so ein enger Raum nicht, die Plüschtiere, bunten Bälle und Spielzeuge der Kinder sind zur Seite geräumt. Ein winziger freier Platz bleibt übrig für die Bewohner, hier können sie sich aufhalten außerhalb ihrer Betten.

Ich bitte Herrn Ashaq, mir von sich und von den Problemen mit der Wohnung und seinem Leben zu erzählen. Er hat Englisch bereits in der Schule in Pakistan gelernt, somit auch das Lesen und Schreiben der lateinischen Schrift, was ein großer Vorteil für ihn ist. Das Gespräch führen wir auf Deutsch. Er versteht mich gut, obgleich er nie deutschen Sprachunterricht erhalten hat. Alles, was er kann, hat er sich selbst beigebracht. Er scheint sehr sprachbegabt. Griechisch lernte er von der Frau, sie sprechen miteinander fast nur Griechisch. Er sagt, er kann es sehr viel besser als Deutsch. Sie allerdings hat dadurch kaum Gelegenheit, ihre Deutschkenntnisse zu erweitern, auch nicht außerhalb des Hauses. Durch den pflegebedürftigen Jungen ist sie sozusagen an die Wohnung gekettet. Weder kann sie ihn allein lassen, noch kann sie ihn die Treppe hinuntertragen, um mit den Kindern Spaziergänge zu machen oder sich auch mal in ein Café setzen zu können. Sie ist 27 Jahre alt, von Beruf Friseuse. Frau Vergi ist auf tragische Weise isoliert. Ihren Vater in Athen erreicht sie nicht mehr unter seiner Handynummer, er ist verschollen. Sie fühlt sich sehr allein, sieht nur den Mann, spricht Griechisch mit den Kindern beziehungsweise mit Fatima, die gerade anfängt zu sprechen.

Herr Ashaq beginnt mit sanfter Stimme zu erzählen:

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„Ich komme aus Pakistan. Bin dort am 16. Februar 1992 geboren. Die Stadt heißt Sialkot.“ Er streichelt selbstvergessen den Arm des Jungen, der plötzlich einen melodischen Ton hervorstößt, der wie ein Huuu klingt.

(Sialkot liegt im Nordosten Pakistans, in der Provinz Punjab, der bevölkerungsreichsten Provinz Pakistans, die auch ökonomisch stark ist. Sialkot ist eine alte Industriestadt mit etwa einer halben Million Einwohner. Bekannt ist sie durch die Massenproduktion von Fußbällen. Besonders aber durch die Herstellung von medizintechnischen Geräten, insbesondere durch die Erzeugung chirurgischer Instrumente von hervorragender Qualität – sie werden weltweit vertrieben. Auf dem Flohmarkt in Berlin-Mariendorf (Metrogelände) kann man sonntags bei einem Pakistaner aus Sialkot wunderbar präzise gearbeitete Scheren, Nagelscheren, Fußnagelzangen und Pinzetten aus mattiertem ­Chirurgenstahl zu äußerst erschwinglichen Preisen erwerben. Anm. G. G.)

„Meine ganze Familie ist in Sialkot, wir sind eine große Familie. Wir wohnen alle zusammen in unserem Haus. Vater, Mutter, Kinder, Schwestern, die Großeltern mit meinem Onkel. Die Frauen machen die Arbeit gemeinsam, Kochen und so was. Meine Mutter ist bald 50. Wie meine Mutter jung war, hat sie keine Freiheit gehabt, heute gehen die Mädchen in die Schule, in die Universität, sie machen eine Arbeit, auch im Büro. Aber meine Mutter ist zu Hause, sie hatte ja fünf Kinder. Mein Vater arbeitet im Büro, in der Verwaltung vom Elektrizitätswerk. Nein, ökonomische Probleme haben meine Eltern keine.

Hier ist vieles schwer

Flüchtlinge Saalbrücke 2015.jpg

Und da war ich in der Schule und wie ich fertig war, wollte ich studieren, Engineer, aber ich konnte nicht. Die Eltern waren streng, denn politische Situation war in der Zeit ein bisschen … schwer, ein bisschen gefährlich. Die Politik ist … das ist sehr, sehr schwer. Wir hatten Angst gehabt, wegen meinem Bruder. Er ist Kommunist, war auch verhaftet und ist gefoltert worden. Deshalb hat er Pakistan verlassen müssen. Er hat in Österreich Asyl bekommen und ruft immer an. Mich haben sie auch gefragt, was weißt du, was hast du gemacht? Bist du auch dabei?! Nein, habe ich gesagt. Ich habe nichts gemacht. Aber ich habe Angst gehabt, dass sie mich abholen, deshalb habe ich mein Land verlassen und bin nach Deutschland gekommen. Es war wegen politischer Verfolgung, sie haben meinen Bruder verfolgt. Und mich auch.

Hier ist vieles schwer, auch das Wohnen. Vieles ist anders, wie die Schrift, wir schreiben Arabisch, von rechts nach links. Meine Frau ist Griechin, Griechisch ist wieder ganz anders, so wie bei den Russen. Aber meine Frau kann die deutschen Buchstaben nicht so lesen. Bei uns in Pakistan ist das Essen ohne Schwein und wir dürfen keinen Alkohol trinken. Es gibt keinen Alkohol zum Kaufen, so wie hier in Deutschland. Ich habe niemals Alkohol getrunken, rauche keine Zigaretten, gar nichts! Ich war 21 Jahre, wie ich weg bin von zu Hause. Bin 2013 hergekommen und habe Asylantrag gestellt. Ja, ich bin allein gekommen, nach München. Allein, ohne die Familie. Zuerst habe ich in einem Wohnheim gewohnt, in verschiedenen Wohnheimen, Flüchtlingswohnheimen, von 2013 bis 2015. 2013 habe ich meine Frau kennen gelernt, Ende 2013. Ja, in Deutschland. Sie ist EU-Bürgerin aus Griechenland. Sie ist christlich-orthodox. Wir sind nicht verheiratet. Drei Kinder haben wir, das kleinste ist zweieinhalb Monate. Meine Mutter sagt immer, sie will meine Kleinen sehen, aber sie kann nicht. Sie muss erst ein Visum haben, das dauert sehr lange und ist teuer.“

Quelle    TAZ >>>>> weiterlesen

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Grafikquellen   :

Oben    —    Drehscheibe Köln/Bonn Airport – Ankunft von Flüchtlingen von der deutsch/österreichischen Grenze mit einem Sonderzug der Deutschen Bahn im Bahnhof des Kölner-Bonn-Flughafen. Auf einer Freifläche oberhalb des Bahnhofs sind Versorgungszelte für die Flüchtlinge aufgebaut, in denen sie etwas essen können, mit Kleidung versorgt werden, ihre Handys aufladen können und bei Bedarf ärztlich versorgt werden. Nach ca. 2 Stunden Aufenthalt werden sie mit Bussen zu den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes NRW weitergefahren. Foto: Flüchtlinge verlassen den Bahnhof und gegen hoch an die Oberfläche zu den Versorgungszelten

 

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