Ein Erdbeben
Erstellt von DL-Redaktion am Montag 20. November 2017
VON CHRISTOPH SEILS
Die Jamaika-Sondierungen sind gescheitert, jetzt steuert die Republik auf Neuwahlen zu. Deren Ausgang ist völlig ungewiss. Deutschland steht vor einer Staatskrise
Es besteht kein Zweifel, der 19. November 2017 wird in die Geschichte dieses Landes eingehen. Wenn Historiker eines Tages auf das Ende der Ära Merkel in Deutschland zurückschauen, dann werden sie an diesem Tag nicht vorbeikommen. Es ist nicht allein der Tag, an dem nach vier Wochen zäher Verhandlungen nur einfach die Sondierungsgespräche zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen scheiterten. Es ist nicht allein der Tag, an dem ein zuletzt nur noch peinlicher Poker zwischen vier Parteien, die nicht zusammenkommen wollten und nicht zusammenkommen konnten, mit gegenseitigen Schuldzuweisungen endete.
Die historische Zäsur geht viel tiefer. Es ist zugleich der Tag, an dem das letzte Aufgebot des bestehenden etablierten Parteiensystems (und dazu wird man an dieser Stelle auch die SPD zählen müssen) vor der Aufgabe kapitulierte, das Ergebnis der Bundestagswahl vom 24. September in eine handlungsfähige Bundesregierung zu überführen. Und es ist der Tag, an dem die Autorität der Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzenden so nachhaltig beschädigt wurde, dass ihre Tage an der Macht gezählt sein dürften.
Kurz vor Mitternacht am Sonntagabend trat der FDP-Vorsitzende Christian Lindner vor die Presse und verkündete das Aus für Jamaika. Es ist ein politisches Erdbeben, welches das ganze politische System in Deutschland und auch die Europäische Union in eine tiefe Krise stürzt, vielleicht sogar in eine Staatskrise.
Angela Merkel nicht mehr führungsstark genug
Obwohl der Druck auf die Sondierer gewaltig war, fanden CDU, CSU, FDP und Grüne nicht zusammen. Zuletzt hatte sogar der Bundespräsident die Verhandler gemahnt, ihre politische Verantwortung für das Land wahrzunehmen und sie vor „panischen Neuwahldebatten“ gewarnt. Trotzdem konnten die Verhandler der vier Parteien ihre ideologischen und kulturellen Widersprüche nicht überwinden. Die Angst vor der Realpolitik war größer als die Angst vor dem Scheitern der Sondierungsgespräche.
Der Blick in den Abgrund, der sich den vier Parteien in den vergangenen Wochen aufgetan hatte, führte nicht dazu, die Kompromissbereitschaft zu fördern, sondern führte im Gegenteil dazu, dass vor allem CSU, FDP und Grüne sich nicht trauten, ihre ideologischen Schützengräben zu verlassen. So war in der Flüchtlingspolitik, beim Klimaschutz oder der Steuerpolitik keine Einigung möglich. Und die CDU mit Angela Merkel an der Spitze war zugleich aufgrund des schlechten Wahlergebnisses und ihrer programmatischen Beliebigkeit nicht mehr führungsstark genug, um eine Einigung zu erzwingen.
Nicht in der Lage, große Konflikte zu befrieden
Jetzt läuft alles auf Neuwahlen Anfang kommenden Jahres hinaus, auch wenn es verfassungsrechtlich gar nicht so einfach ist, solche herbeizuführen. Aber die SPD zeigt keinerlei Neigung, doch noch politische Verantwortung für das Land zu übernehmen und für eine Große Koalition zur Verfügung zu stehen.
Natürlich spiegelten sich in den Debatten zwischen den vier Jamaika-Parteien in den vergangenen Wochen jene tiefen Gräben wieder, die es auch in der Bevölkerung gibt. Etwa in Sachen Migration und Flüchtlingspolitik, in Sachen Europa sowie in der Finanz- oder Sozialpolitik. Doch eine gemeinsame Idee, die aufzeigt, wie es gelingen könnte die großen gesellschaftliche Konflikte zu befrieden, wie etwa zwischen Ökologie und Ökonomie, zwischen Globalisierung und Heimat oder zwischen Bürgerrechten und Innerer Sicherheit, oder wie es gelingen könnte, das Land in Sachen Bildung, Digitalisierung und Sozialpolitik zu modernisieren, haben die Parteien nie auch nur im Ansatz entwickelt.
Es wird gewaltige Verschiebungen geben
Quelle : Cicero >>>>> weiterlesen
———————————————————————————————————————–
Grafikquelle : Twitter — Fabio De Masi
Montag 20. November 2017 um 12:23
Merkel hat’s geschafft. Bei Neuwahlen wird die AfD noch stärker werden.
😐
Dienstag 21. November 2017 um 8:14
Lieber Kommentator bzw. liebe Kommentatorin,
wir werden von Ihnen keine Kommentare freischalten.
DL-Redaktion