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Ehningen aufrecht

Erstellt von Redaktion am Sonntag 21. Oktober 2018

Ist es in Deutschland noch möglich, über Flüchtlingspolitik zu diskutieren, ohne Leib und Leben zu riskieren?

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Meistens hilft Pattex die Bodenhaftung nicht zu verlieren.

Von Anna Hunger

Dieser Frage sahen sich in den vergangenen Wochen die Grünen aus der Ortschaft Ehningen ausgesetzt. Ihre Antwort auf die Frage dauerte ein Weilchen.

Ehningen liegt rund 30 Kilometer westlich von Stuttgart, zwischen Herrenberg und Böblingen, die IBM Deutschland-Zentrale hat hier ihren Sitz und die Großbäckerei Sehne ihre Produktionshalle, dazwischen gibt’s 9000 Einwohner und ein paar Zerquetschte, drei Gewerbegebiete, Hauptattraktion des Jahres ist der Pfingstmarkt auf der Hauptstraße. Die Freien Wähler sind die stärkste Partei im Gemeinderat, dann kommt die CDU. Der Ortsverband der Grünen ist eine eher kleine Truppe, 15 Leute, 56 Facebook-Freunde.

Daniela Toscano ist deren Sprecherin. Und die hat für den 26. Oktober eine Veranstaltung geplant, die so viel Aufregung in den Ortsverband brachte, wie kaum eine bisher. In der Begegnungsstätte Bühlallee (Laut Homepage „eine Einrichtung der Gemeinde zur Förderung der innergemeindlichen Kommunikation“) sollen zwei Welten aufeinandertreffen, zwei Männer, die derzeit die beiden Seiten eines gespaltenen Deutschlands vertreten.

Der eine ist Boris Palmer, OB von Tübingen, grüner Rechtspopulist, Selbstdarsteller und mittlerweile derart der eigenen Hybris erlegen, dass er am Wochenende der Bayern-Wahl eine Presse-Meldung zum Rücktritt von Merkel und Seehofer erfand und mit dem Kürzel „dpa“ für Deutsche Presseagentur bei Facebook postete. Die dpa fand Fakenews unterm Firmennamen nicht so dolle, Palmer fand sich superwitzig.

Zur Neutralisation ist Rupert Kubon eingeladen

Der OB, für die AfD mittlerweile so etwas wie ein Maskottchen mit hübsch anrüchigem Altparteien-Flair, hat vor einiger Zeit bekanntermaßen ein Buch geschrieben: „Wir können nicht allen helfen“, Thema, klar, Flüchtlinge, Inhalt: eine nicht mal ganz schlechte Analyse der Flüchtlingspolitik aus Kommunalpolitikersicht, vermarktet aber wie ein Buch von Björn Höcke. Jetzt also Lesung in Ehningen.

Damit Palmers Thesen nicht im Raum stehen bleiben und weil „unterschiedliche Ansichten eine Diskussion ja immer interessanter mache“ (Toscano), sollte auch der scheidende SPD-OB von Villingen-Schwenningen, Rupert Kubon, kommen. Zur Diskussion und womöglich ein bisschen zur Neutralisierung.

Kubon ist Christ, NPD-erfahren nicht zuletzt dank Jürgen Schützinger: ehemals führender NPD-Funktionär und seit vielen Jahren im Gemeinderat von Villingen-Schwenningen. Der SPD-OB ist einer, der sich seit 2015 flüchtlingsmäßig immer wieder ins Sperrfeuer begibt.

Schon in den Neunzigern habe er, so erzählt Kubon, als Angestellter eines Bundestagsabgeordneten in Bonn versucht, das Grundrecht auf Asyl zu sichern, was damals nicht klappte. Da sei es ihm nun als OB einer 80 000-Einwohner-Stadt eine Freude, in Sachen Flüchtlinge mitzureden.

Hasskommentare sind mittlerweile selbstverständlich

Kubon ist kein Heiliger, aber einer, der nicht nur an „Wir schaffen das“ geglaubt, sondern es auch mit Eifer umgesetzt hat. 2016 sagte er einmal, seine Stadt habe noch viel zu wenige Geflüchtete aufgenommen, im Hinblick auf das ganze Leid in Syrien, die vielen Ertrinkenden im Mittelmeer und den bundesdeutschen Wohlstand. Er hat auf Demos gegen rechts Flagge gezeigt und immer wieder öffentlich betont, dass Flüchtlinge in seiner Stadt willkommen seien. Sein Credo: „Rechte gibt es überall. Die Frage ist, wie ich mich zu Flüchtlingen positioniere.“ Ablehnend – wie Palmer oder anpackend – wie er selbst.

Quelle     :         KONTEXT-Wochenzeitung            >>>>>              weiterlesen

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Grafikquelle      :

Boris Palmer, Helmut Schmidt und Hans Küng (v.l.n.r.) am 8. Mai 2007 in Tübingen anlässlich der von Küng veranstalteten und von Schmidt gehaltenen „Weltethos“-Rede.

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