Diskussion um Rassismus
Erstellt von Redaktion am Sonntag 6. Februar 2022
Die Sache mit Whoopi Goldberg
Eine Kolumne von Samira El Ouassil
In Deutschland gelte ich nicht als weiß, in Marokko schon – das allein zeigt: Hautfarbe ist ein Konstrukt. Whoopi Goldberg verkennt das, wenn sie behauptet, beim Holocaust sei es nicht um Rassismus gegangen.
Alles fing damit an, dass eine Schulbehörde in Tennessee die Graphic Novel »Maus« aus dem Lehrplan verbannte. In seinem weltberühmten Comic hat der Autor Art Spiegelman die Lebensgeschichte seiner Eltern nachgezeichnet, die Auschwitz überlebten.
In der US-Talkshow »The View« tauschten sich am Montag fünf prominente Frauen darüber aus. Alle waren sich einig, dass es sich um einen skandalösen Vorgang handelte. Dann bekam das Gespräch eine verstörende Dynamik. Whoopi Goldberg verkündete und verteidigte ihre Ansicht, beim Holocaust wäre es nicht um »Rasse« gegangen, sondern um eine »Unmenschlichkeit des Menschen gegenüber dem Menschen«.
Ihre Co-Moderatorin Joy Behar entgegnete, dass die Nazis Juden sehr wohl als eine andere »Rasse« betrachtet hätten; die anderen sprangen ihr bei. Goldberg beharrte aber auf ihrer Aussage. Es folgte eine Welle der Empörung. Noch am selben Abend versuchte die Schauspielerin, sich in der »Late Show« mit Stephen Colbert zu erklären:
» […] ich dachte, es sei eine wichtige Diskussion, weil ich als schwarze Person denke, dass ›Rasse‹ etwas ist, das ich sehen kann. […] Ich sehe dich also und ich weiß, welcher ›Rasse‹ du angehörst. In der Diskussion ging es darum, wie ich darüber denke. Ich hatte das Gefühl, dass es wirklich mehr um die Unmenschlichkeit des Menschen gegenüber dem Menschen geht und wie schrecklich Menschen zu Menschen sein können, und wir sehen, wie sich das heutzutage manifestiert.«
Im Gespräch mit Colbert betont Goldberg, dass man Juden – anders als Schwarze – nicht als solche erkennen könne. In ihrer Logik sind weiße Juden im öffentlich Raum erstmal weiß und erst in einem zweiten Schritt jüdisch. Hierfür gibt sie folgendes Beispiel: »Wenn du siehst, dass der [Ku-Klux-]Klan die Straße entlangkommt und ich da mit einem jüdischen Freund stehe – nun, ich werde rennen. Aber wenn mein Freund beschließt, nicht zu rennen, werden sie fast immer vorbeiziehen, weil man nicht weiß, wer Jude ist, man weiß es nicht.«
Goldberg verkennt in ihrer Argumentation aber: In dem Moment, wo der Klan wüsste oder aufgrund von Kleidung oder Sprache wahrnehmen würde, dass ihr Begleiter jüdisch ist, müsste er ebenfalls die Flucht ergreifen. Der Rassist würde auch ihn nicht als weiß akzeptieren. Denn: Die Kategorie weiß hängt nicht von der Hautfarbe ab, sondern ist ein Konstrukt.
Hautfarbe, nicht als tatsächliche Pigmentierung der Haut, sondern als soziopolitische Kategorie, geht über das sofort Sichtbare hinaus.
Hautfarbe ist eine von Menschen aus verschiedensten Interessen zusammengeklöppelte und bewegliche Schublade, die sich je nach Gesellschaft, Zeit und Politik verändern kann. Es geht also nicht nur oder zwangsläufig um das, was gesehen wird, sondern um projizierte und ausgelebte Vorurteile, um das, was man zu sehen glaubt oder behauptet.
Es geht sogar ganz ohne die Sichtbarkeit: Eine Person kann bei einem Telefonat aufgrund ihres Namens Rassismus erfahren oder auch wegen eines Akzents. Rassifizierungen entstehen auf Grundlage dessen, was eine Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit als Norm definiert. Wenn Sie 1929 in den USA beispielsweise ein Mexikaner waren, galten Sie als weiß. Ab 1930 hingegen nicht mehr, da die Immigration von Nicht-Weißen eingeschränkt werden sollte. Als 1942 im Zweiten Weltkrieg Arbeitskräfte gebraucht wurden, um Rüstungsgüter zu produzieren, galten Mexikaner jedoch wieder als weiß.
Oder nehmen Sie mich: In Deutschland gelte ich nicht als weiß, im Sinn von »Herkunftsdeutsche« oder als Teil der weißen Mehrheitsgesellschaft. Obwohl ich ja, wie Sie wissen, Münchnerin bin.
Mit meinem Namen und Aussehen rutsche ich in die Kategorie »nicht-weiß«. Auch in den USA gelte ich nicht als weiß. In Marokko jedoch: weiß. In Frankreich gelte ich als nichts von alledem, sondern werde beurette genannt, ein Slangwort für »Maghrebinerin«. Meine Hautfarbe ist nicht absolut definiert, sondern relativ; abhängig von einem Konstrukt des Weißseins, das sich je nach Gesellschaft verändert.
In ihrem Buch »Racecraft: The Soul of Inequality in American Life« bieten die afroamerikanische Soziologin Karen Fields und die Historikerin Barbara Fields für das Verständnis des Verhältnisses von Hautfarbe zu Rassismus folgende Analogie an: »Rasse« verhält sich zu Rassismus, wie Hexerei zu Hexenverfolgung. Die Hexerei ist eine Erfindung, um eine Gruppe Menschen zu Antagonistinnen zu machen. Die Auswirkungen dieser Erfindung, sind jedoch real und brutal.
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
Grafikquellen :
Oben — Whoopi Goldberg, während der Generalprobe im Comic Relief 2006 in Las Vegas, fotografiert von Daniel Langer.
Fotograf ist Daniel Langer, Dlanger auf flickr.com. Das Urheberrecht liegt bei Daniel Langer und Comic Relief, Inc. – https://www.flickr.com/photos/dlanger/310838776/
- CC BY-SA 2.0Begriffe begriffe anzeigenDieses Bild enthält Personen, die möglicherweise Rechte haben, die bestimmte Wiederverwendungen des Bildes ohne Zustimmung gesetzlich einschränken.
- Datei:Whoopi Goldberg – Comic Relief 2006 – Daniel Langer.jpg
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Unten — Samira El Ouassil (2018)
Gregor Fischer/ re:publica – re:publica 18 – Day 1
- CC BY-SA 2.0
- File:Re publica 18 – Day 1 (41804922382) (cropped).jpg
- Erstellt: 2. Mai 2018
Erstellt am Sonntag 6. Februar 2022 um 13:32 und abgelegt unter Bildung, International, Kultur, Mensch. Kommentare zu diesen Eintrag im RSS 2.0 Feed. Sie können zum Ende springen und ein Kommentar hinterlassen. Pingen ist im Augenblick nicht erlaubt.