Diktatur der Niedlichkeit
Erstellt von DL-Redaktion am Donnerstag 11. April 2019
Die Verniedlichung von Konsum und Kapitalismus
Merkel und Kitty – bis auf den Rock, passt das schon
Ein Schlagloch von Georg Seeßlen
Im Fernen Osten gibt es kein Entrinnen vor Hello Kitty & Co. Kindchen, Tierchen und andere putzige Kreaturen verniedlichen Konsum und Kapitalismus.
Vorgestern habe ich auf dem Platz des Himmlischen Friedens Frisbee gespielt. Mit einem Hello-Kitty-Frisbee.
Natürlich habe ich vorgestern nicht mit einem Hello-Kitty-Frisbee auf dem Platz des Himmlischen Friedens gespielt. Das wäre schon aus verkehrstechnischen und polizeilichen Gründen unmöglich. Und ich hatte zuletzt auch gar keinen Urlaub, in dem ich hätte nach China fahren können. Das mit dem Hello-Kitty-Frisbee am Tian’anmen-Platz hab ich nur geträumt.
Vielleicht nach etwas zu viel Gong Bao und Tsin Tao, auf jeden Fall nach einer Überdosis Niedlichkeit in Medien, Werbung, Öffentlichkeit und Kunst. Und nach der Erzählung von einem Hello-Kitty-Hotel, in dem alles, von der Bettwäsche bis zum Frühstücksgeschirr, mit dieser verdammten Katze dekoriert ist, zu der es nicht einmal eine richtige Comic-Serie oder eine Animationsserie gibt. Hier also, in der Alltagskultur des mehr oder weniger Fernen Ostens, fällt mir auf, vielleicht wegen der penetranten Allgegenwärtigkeit und der Nichtverschämtheit, woran ich mich daheim schon längst gewöhnt habe: das Wuchern der Bilder von niedlichen Tierchen, Roboterchen, Kindchen und Männlein und Weiblein, großäugig und grinsend, (Kě’ài) auf Chinesisch, (Kawei) auf Japanisch, (gwiyeoun) auf Koreanisch: keine Anleitung, kein Hinweis, keine Werbung, kein Gebrauchsgegenstand ohne irgendwas quietschbunt Niedliches, eine Ikonografie der gnadenlosen und allgegenwärtigen Infantilisierung, die so massiv daherkommt, dass man ihr ohne Weiteres einen gewissen Zwangscharakter zuschreiben will.
Es ist ein Zwang von oben ebenso wie ein innerer Zwang, um genau zu sein. Der öffentliche Raum ist bis in den allerletzten Winkel besetzt von niedlichen Zeichen und Zeichen der Niedlichkeit. Es gibt kein Entrinnen nirgends.
Bei uns entspricht das einer Inflation von Kätzchen-Videos und anderer Bilder von niedlichen Tieren im Internet und speziell in den sozialen Medien, es entspricht den süßen kleinen Monsterlein in der Pharma-Werbung für Senioren, niedlichen Erklär-Helfern und anderen Übersprüngen aus der Kinderkultur (die im Gegenzug von Obszönitäten und Angstbildern aus der Erwachsenenwelt kolonialisiert wird). Influencer werden zu Agenten der Niedlichkeit und Niedlichkeit zum Medium des Influence.
Erinnern uns diese Fotos nicht an die verrückten PolitikerInnen aus den Wahlkämpfen ? Wenn der Gesellschaft alles das vorgelogen wird – was sie garantiert später nicht einhalten werden ?
Woher kommt dieser Hang und Zwang zur Niedlichkeit als kulturellem und, wenn man genau hinsieht, auch zum politischen Code? Gewiss, da ist diese durchaus ja nachvollziehbare Sehnsucht, nach beinharter Arbeit und Konkurrenz von ziemlich früh an, zurückzukehren in einen semantischen Raum ewiger und glückseliger Kindheit – oder doch Kindlichkeit, denn kaum etwas ist so dazu angetan, die Kindheit zu rauben, als die fetischistische Kawei-Kultur, die aus Kindern schon monströse Abbildungen der erträumten Niedlichkeit macht.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Hello Kitty’s Starlight Sing-A-Long.…
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Unten — Hello Kitty promotion vehicle parked in the event area next to JANM, promoting the upcoming Hello! Exploring the Supercute World of Hello Kitty exhibition and Hello Kitty Con 2014 – on the final day of the 74th Nisei Week Festival in Little Tokyo, Los Angeles.…