Digitalisierung in Schulen
Erstellt von Redaktion am Freitag 6. August 2021
Ort für Wissensvermittlung
Von Mathias Greffrath
Durchdigitalisierte Schulen sind keine Lösung im Klassenkampf. Öffentliche Schulen sind Begegnungsort für Kinder unterschiedlicher Milieus.
Die Hängematte ist nass vom Regen, Urlaubsbücher ausgelesen, die Kinder haben sich verkrümelt – Langeweile schleicht sich ein. Doch da liegt noch die taz vom letzten Mittwoch mit Ilija Trojanows Plädoyer für utopischen Realismus.
Richten wir unseren Möglichkeitssinn auf die Kluft zwischen der Entschlossenheit, mit der die Schulbehörden zum „uneingeschränkten Regelbetrieb“, also zum pädagogischen Viereck aus Lehrplan, Klassenraum, Jahrgangsstufen, Präsenzunterricht und Benotung zurückkehren wollen, und dem Chor der Realisten, die über Auffangpakete, Nachholcamps, Lüftung und Schichtunterricht reden. Vor allem aber über eines: beschleunigte Digitalisierung. Niemand bestreitet den Nutzen von Tablets und Lernsoftware.
Reaktionär wird das nur, wenn derlei Werkzeuge zur Wunderwaffe werden. Der Lehrermangel, so dekretieren es CDU-Modernisierer in ihrem Manifest „Neustaat“, werde so chronisch wie Corona bleiben. Die rettende Konsequenz daraus sei deshalb die durchdigitalisierte Schule. Nicht als Notlösung, sondern als Demokratisierung von Bildungswegen, die bislang nur den Kindern einer „ehrgeizigen Oberschicht […] aus dem Bildungsbürgertum“, die „überdurchschnittlich solvent und bildungsnah“ ist, offenstehe.
Also den Kindern der Grünen. Die technopopulistische, antibürgerliche Rhetorik – „Humboldt für alle“ – ist nicht neu. Seit sechs Jahren propagiert Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung, die Digitalisierung als Klassenkampf gegen das Bildungsbürgertum. Der Vorsprung der Kinder aus Familien mit Bücherschränken und Sprachurlaub werde durch Lernsoftware schrumpfen.
Heuer entwickelt Dr. Dräger gar die Vision einer durchdigitalisierten Bildungs- und Lebenskarriere, vom Kindergarten mit seinen lösungskompetenzfördernden Lernprogrammen über die Universität, an der Algorithmen orientierungslosen Studienanfängern ein Studienfach vorschlagen, das zu ihnen passt, bis hin zu Computerspiel-Scores, die über die berufliche Platzierung entscheiden.
2082 in Rente
„Amazon und Netflix machen es uns vor“, strahlt da der Moderator, „die wissen schon, was wir wollen, bevor wir es wissen, das müsste doch auch in der Bildung möglich sein.“ Noch lässt sich die Glaubensbereitschaft für solche Youtube-Chinoiserien an der Zahl der Seitenaufrufe messen: es sind ganze 17. Aber wo wäre eine Gegenutopie?
„Wenn die Schule einen Sinn haben soll“, schrieb einst Neil Postman, der Soziologe der Kindheit und der Medien, „dann müssen die Schüler, ihre Eltern und ihre Lehrer einen Gott haben, dem sie dienen können.“ Gott?? „Gott“ ist für Postman gleichbedeutend mit einer „großer Erzählung“, die „genug Kraft hat, die es Menschen ermöglicht, diese Erzählung in den Mittelpunkt ihres Lebens zu stellen“.
Die Schule sei mit Sicherheit auf dem Weg an ihr Ende, wenn sie keinen Grund fürs Lernen, fürs Zusammensein an einem Ort mehr angeben kann. Dabei gibt es diesen Grund. Wer in diesem Jahr eingeschult wird, der geht, nach jetziger Rechnung, 2082 in Rente. Er oder sie werden erleben, ob es gelingt oder nicht, den Kohlenstoffausstoß der Menschheit so zu senken, dass die Polkappen nicht weiter schmelzen als schon abzusehen ist.
Er oder sie wird Migrationsschübe, Hitzewellen, die Vollautomatisierung erleben, ein paar Pandemien und Dinge, von denen wir jetzt noch nichts ahnen. Wie müsste eine Schule aussehen, die hilft, diese Zeit zu bestehen? Mit Sicherheit reicht da nicht das Wahlpflichtfach „Nachhaltigkeit“ mit zwei Wochenstunden.
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Grafikquellen :
Oben — Die Schule von Circus Krone.
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