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Die Welt im Krieg?

Erstellt von Redaktion am Montag 30. November 2015

Freitag der Dreizehnte:

von Albrecht von Lucke

„Weltkrieg“ betitelte die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ den Leitkommentar ihres Herausgebers Berthold Kohler. „Diesen Krieg müssen wir gewinnen“ posaunte „Welt“-Redakteur Richard Herzinger. Und Alexander Kissler jubilierte auf der „Cicero“-Website: „Nun ist die Stunde nicht der Stuhlkreise, der bunten Bänder und der allseitigen Betroffenheit. […] Der Krieg ist da. Wer ihn nicht annimmt, hat ihn schon verloren.“

Deutsche „Intellektuelle“ wussten bekanntlich schon oft, wann es Zeit ist, zum Krieg zu blasen. Doch diese kleine Auswahl der unmittelbaren Reaktionen auf den mörderischen Freitag, den 13. November in Paris, steht vor allem für eines: den Triumph des sogenannten Islamischen Staates. Plötzlich ist aus einer Bande von Mördern und Schwerverbrechern ein respektabler Kriegsgegner geworden – was für ein Reputationsgewinn!

Nachdem für die Terrorbande schon seit längerem das Attribut islamisch faktisch akzeptiert worden ist, gilt das jetzt auch offenbar für die Qualität des Staates. Denn nach klassischer völkerrechtlicher Definition sind nur Staaten kriegsführungsfähig. Nur der Angriff eines Staates sollte dementsprechend laut Nordatlantikvertrag von 1949, dem Nato-Gründungsdokument, den Bündnisfall auslösen können.

Im Fall des IS soll das nun nicht mehr gelten: Aus einem besetzten Teil Syriens und des Irak wird de facto ein eigenes Staatsgebilde. Aus Terroristen, die als Verbrecher und damit nach internationalem Strafrecht zu behandeln wären, wird plötzlich eine anerkannte Kriegspartei. Damit aber werden exakt die falschen Konsequenzen aus zwei historischen Referenzfällen gezogen – aus dem „Deutschen Herbst“, dem RAF-Terror von 1977, und aus 9/11, den Anschlägen auf das World Trade Center von 2001.

Terroristen zu Kriegsgegnern zu machen, das genau hatte der (kriegserfahrene) Bundeskanzler Helmut Schmidt stets abgelehnt. Während Carl Schmitt, der Propagandist des Ausnahmezustands und der Freund-Feind-Unterscheidung, von der Hinrichtungspraxis der RAF sichtlich beeindruckt war („So spricht der Staat!“), blieb Helmut Schmidt gegenüber der Versuchung zur Kriegsrhetorik immun, trotz der schon damals drängenden rechtskonservativen Einflüsterer aus der CSU. Terror bleibt Terror, und „mit Terroristen ist nicht zu verhandeln“, lautete die Devise des SPD-Kanzlers im Jahr 1977.

Helmut Schmidt wusste eines ganz genau: Indem man Terroristen zum Kriegsgegner adelt, räumt man ihnen den Kombattantenstatus ein. Deshalb war in offiziellen Staatsdokumenten auch stets von der Baader-Meinhof-Gruppe oder -Bande die Rede – und nicht von der „Roten Armee Fraktion“, der halb-offiziösen terroristischen Selbstbezeichnung. Die richtige Semantik, der Verzicht auf eskalierende Kriegsrhetorik, war ein wichtiger Baustein beim Kampf gegen den Terror. Dass man den Gegner nicht zusätzlich aufwertete, trug maßgeblich zum Sieg über die RAF bei.

Nach 9/11, den Terroranschlägen des 11. September 2001, schlugen die USA exakt den anderen Weg ein: Nun rief auf ihr Betreiben die Nato – zum ersten Mal in ihrer Geschichte – den Bündnisfall nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrags aus. Anstatt im Rahmen der Vereinten Nationen mit allen Mitteln der Verbrechensbekämpfung (also durchaus mit schweren Waffen) gezielt gegen Al Qaida vorzugehen, erklärten die USA faktisch den regierenden Taliban in Afghanistan den Krieg. Dabei hatten diese zuvor ihre Bereitschaft signalisiert, den Al-Qaida-Chef Osama Bin Laden auszuliefern.

Die Folgen des „Krieges gegen den Terror“ sind bekannt: Bis heute ist Afghanistan von Frieden weit entfernt. Im Gegenteil: Die Taliban dringen immer weiter vor – und der anhaltende „Krieg gegen den Terror“ produziert laufend neue potentielle Terroristen, ob durch Drohnenangriffe auf Hochzeitsgesellschaften oder, wie zuletzt, durch einen US-amerikanischen Angriff auf eine Klinik in Kundus, bei dem mindestens 30 Menschen ums Leben kamen.

Quelle: Blätter >>>>> weiterlesen

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Fotoquelle: Wikipedia – Author W.J.Pilsak –/– Creative Commons Attribution-ShareAlike 3.0

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