DEMOKRATISCH – LINKS

                      KRITISCHE INTERNET-ZEITUNG

RENTENANGST

Die verlorene Linke-Platte

Erstellt von Redaktion am Mittwoch 29. September 2021

Linke verliert bei der Bundestagswahl

Petra Pau Die Linke Wahlparty 2013 (DerHexer) 01.jpg

Von Anna Lehmann

Zwanzig Jahre lang hat Petra Pau Marzahn-Hellersdorf gewonnen. Doch jetzt triumphiert im Berliner Osten ein CDU-Mann. Wie konnte das geschehen?

Tja, sie wisse auch nicht, warum die Linke das Direktmandat hier in Marzahn-Hellersdorf verloren hat, sagt die junge Frau mit Einkaufstüte in der einen und dem Kind an der anderen Hand. Ein Mann mit zwei Tüten voller leerer Flaschen und Selbstgedrehter im Mundwinkel sagt, zur Linken könne er nichts sagen, er habe die CDU gewählt. Er spricht mit russischem Akzent. Russlanddeutscher? Er nickt. „Meine Kinder wählen CDU und ich wähle, was sie wählen.“ Zwei Frauen mit angeleinten Hündchen winken gleich ab. Die Linke? „Da fragen Sie de Richtige, die haben meine Stimme noch nie bekommen. Ist doch eh alles korrupt hier“, sagt die eine und die andere nickt.

Ein Rentner, Elektriker von Beruf, zuckt die Schultern: „Weeß ick och nich. Meine zwei Kreuze haben die Linken bekommen.“ Seit 1991 wähle er die Partei, die vorher PDS hieß, genauso lange, wie er hier in Marzahn wohne. Direktkandidatin Petra Pau kenne er auch persönlich. „Der Bezirk hat sich aber auch verändert, ist viel bunter hier.“

Eine Gesellschaft, die sich verändert, eine Partei, die nicht mitkommt. Vielleicht ist das schon ein Teil der Antwort auf die Frage, warum die Linke bei dieser Bundestagswahl im Kleinen wie im Großen verloren hat. Nicht einmal 5 Prozent der Wäh­le­r:in­nen stimmten am Sonntag für die Partei.

Der Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf galt 30 Jahre lang als linke Hochburg. Er fungierte auch als Lebensversicherung. In den 90ern und zuletzt 2002 war es das hiesige Direktmandat, das Kan­di­da­t:in­nen der PDS zum Einzug in den Bundestag verhalf, als die Partei die 5-Prozent-Hürde verfehlte. So wie dieses Mal wieder, nur ohne Marzahn-Hellersdorf.

Die rote Burg ist gefallen

Denn seit dem Sonntag ist die rote Burg gestürmt. Der Verlust steht beispielhaft für die Entwurzelung der Linken im Osten, für den Schwund der alten Stammwähler:innen. Ohne den Osten, wo sie lange Volkspartei war, ist die Linke eine Kleinstpartei.

Die Suche nach den Ursachen beginnt vor dem Wahlkreisbüro von Petra Pau in Marzahn-Hellersdorf, es befindet sich im Erdgeschoss eines hellen Betonbaus. Hier im Zentrum von Marzahn ist viel Beton verbaut. Marzahn war die erste Berliner Großsiedlung, die die DDR in den 1970ern errichten ließ. Die Wohnungen waren begehrt, Zentralheizung, Warmwasser, Müllschlucker im Treppenhaus.

Marzahn-Hellersdorf beherbergt heute den größten Plattenbau Europas und gleichzeitig eine der ausgedehntesten Eigenheimsiedlungen. Platte und Häuschen – der Bezirk vereint die ganze Bandbreite sozialer Gegensätze. 250.000 Menschen leben hier, so viele wie in ganz Aachen oder Chemnitz.

Petra Pau, Jahrgang 1963, lebt seit 1989 in Marzahn. Aufgewachsen ist sie in einer Berliner Altbauwohnung, kein Bad, die Toilette im Hausflur teilen sich sechs Parteien. Vor der Wende arbeitet Pau als Pionierleiterin, ab 1991 als Berufspolitikerin für die PDS. Seit 2002 gewinnt sie in Marzahn-Hellersdorf das Direktmandat. Jedes Mal. In Hochzeiten holt sie fast jede zweite Stimme.

Am Sonntag verpasst Pau erstmals das Direktmandat. 39.403 Stimmen gehen an Mario Czaja von der CDU, nur 29.259 an sie. Bundesweit verharrt die Linke bei dünnen 4,9 Prozent und erreicht nur über drei Direktmandate als Fraktion den Bundestag. Über die Landesliste gelingt es Pau, dennoch wieder in den Bundestag zu kommen.

Die CDU als neue Kümmererpartei

Zu Besuch bei der Frau mit dem roten Igelhaarschopf. Nicht in ihrem Marzahner Büro, sondern im Bundestag, wo ihr als Noch-Vizepräsidentin ein Büro mit Blick auf den Reichstag zusteht. Es ist Dienstagmorgen, in einer Stunde beginnt die erste Fraktionssitzung der um 30 auf 39 Mitglieder geschrumpften Fraktion.

Raoul-Wallenberg-Str 110329 Marzahn AMA fec (37s).jpg

Dass die Linke überhaupt Fraktionsstatus hat, verdankt sie einer Besonderheit der Geschäftsordnung. Wenn eine Partei mehr als 5 Prozent der gewählten Abgeordneten stellt, gilt sie als Fraktion und nicht nur als Gruppe mit deutlich weniger Rechten. Die Linke repräsentiert 5,3 Prozent der Abgeordneten.

Pau kennt die Geschäftsordnung gut, hat sie gleich nach dem Aufwachen am Montagmorgen studiert. Zu Bett gegangen sei sie am Sonntag noch mit dem Gedanken, dem Bundestag nicht länger anzugehören.

Warum der Bezirk nach 30 Jahren an ihren Herausforderer ging? Pau redet nüchtern, fast emotionslos. Wie nahe ihr die Niederlage geht, lässt sich nur erahnen. Eine Ursache sei der sehr personalisierte Wahlkampf um das Direktmandat gewesen. Der 46-jährige Mario Czaja, wie Pau Urberliner und zudem im Bezirk geboren, tritt als Kiezkümmerer auf, setzt auf kommunale Themen, etwa ein Freibad.

„Seitdem das Bad in Mahlsdorf Anfang der 90er geschlossen wurde, sind wir die einzige Großstadt ohne Freibad. Wir kämpfen seit Langem dafür“, erklärt Pau. Das Bundesinnenministerium habe jedoch Geld für Neubauten verweigert, das sei Aufgabe der Kommune. Das habe Czaja natürlich nicht thematisiert. Ihre Stimme bebt vor Empörung.

Positiv formuliert hat sich die CDU das Kümmererimage der einstigen PDS geschnappt, die im Osten immer den Anspruch vertrat, vom Mieter- bis zum Kleingartenverein vor Ort präsent zu sein. Hat die Linke das vielleicht zu leichtfertig aufgegeben und stattdessen auf soziale Bewegungen gesetzt, wo sich die jungen Neumitglieder tummeln?

Quelle        :          TAZ-online           >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     Feier der Partei Die Linke in der Berliner Kulturbrauerei. Petra Pau.

Kommentar schreiben

XHTML: Sie können diese Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>