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Die syrische Tragödie

Erstellt von DL-Redaktion am Samstag 28. April 2018

Die syrische Tragödie und das Scheitern des Westens

Fichier:Ghouta massacre4.JPG

von Albrecht von Lucke

Es ist schon erstaunlich, wie schnell die Angst vor einer kriegerischen Eskalation in die Enttäuschung über einen vermeintlich zu schwachen Militäreinsatz umschlagen kann. Dabei machte der bis heute einzigartige Vorgang einer Kriegserklärung samt Bombendrohung per Twitter – „Mach dich bereit, Russland. Sie werden kommen, schön, neu und smart!“ – durch US-Präsident Donald Trump selbst die sonst eher gelassene „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ fassungslos: „Das ist die Sprache eines Rockerbanden-Bosses. Sie steht für Präpotenz und Unberechenbarkeit, aber nicht für rationales Krisenmanagement.“

Gleichzeitig wurden bereits Parallelen zum Höhepunkt des Kalten Krieges während der Kubakrise 1962 gezogen: „Als die Welt schon einmal am Abgrund stand“, titelte die „Bild“-Zeitung. Doch nachdem die Alliierten – die USA, Frankreich und Großbritannien – ihre Ankündigung wahrgemacht haben und ihre, allerdings durchaus begrenzten, Angriffe auf syrische Chemielabore geflogen sind, ist von dieser Angst nichts mehr zu spüren. Nun ist von Hysterie im Vorfeld die Rede und warum das syrische Regime nicht weit stärker angegriffen wurde. „Die Bomben sind richtig“, schreibt „Bild“ und fragt empört: „Warum drückt sich Deutschland vor der Drecksarbeit?“  Und der Berliner „Tagesspiegel“ kritisiert gar alle Kritiker des Einsatzes als „offen antiamerikanisch, verdeckt antieuropäisch und antiwestlich sowie hysterisch in ihrer Beschwörung der Gefahr eines dritten Weltkriegs.“

Angesichts dieser immensen Verharmlosung einer hochgefährlichen Situation gilt es zunächst eines festzuhalten: Jede Gleichsetzung mit dem Kalten Krieg geht an den Realitäten vorbei. Und zwar gerade im Falle Syriens, wo sich die Menschen seit sieben Jahren in einem mörderischen heißen Krieg befinden. Speziell der jüngste Vorfall zeigt, dass die Gefahr einer kriegerischen Auseinandersetzung auch zwischen den vormaligen Großmächten seit dem Ende der Bipolarität vor bald 30 Jahren nicht kleiner, sondern erheblich größer geworden ist. Denn obwohl während des Kalten Krieges verbal stets strikt zwischen Freund und Feind unterschieden wurde, war doch ein Krieg zwischen den Großmächten faktisch ausgeschlossen, da stets der eigene Untergang drohte.  Das Gleichgewicht des Schreckens bedeutete: Man lernte die Atombombe zwar nicht zu lieben, aber doch so sehr zu fürchten, dass sich jede kriegerische Auseinandersetzung zwischen den Blöcken verbot. „Als politisches Instrument jedenfalls hat der Krieg ausgedient, zumindest im Einzugsbereich des Ost-West-Konflikts“, bilanzierte 1986 der Friedensforscher Ernst-Otto Czempiel Doch mit dem Ende des Kalten Krieges und der Bipolarität wurde der heiße Krieg für die Großmächte auch auf geteiltem Terrain wieder zu einer Option – erst im Irak-Kuwait-Krieg, dann in Rest-Jugoslawien und nach 9/11 in Afghanistan, Irak, Libyen und schließlich in Syrien.

Syrien ist in dieser Aufzählung zweifellos der gefährlichste Brennpunkt, denn hier stoßen bei massivem Waffeneinsatz fast maximale Interessengegensätze diverser Regional- und Großmächte aufeinander. In Windeseile kann hier ein kriegerischer Konflikt aus dem Ruder laufen. Umso mehr ist der eher glimpfliche Ausgang des jüngsten Luftangriffs zu begrüßen. Die Alliierten hatten vorher deutlich gemacht, dass sie nicht auf einen Regime Change abzielten. Ihr eng begrenzter Angriff, der nur auf Vergeltung wie auf Abschreckung zukünftiger Chemiewaffeneinsätze abzielte, demonstrierte damit zugleich, dass alle Versuche einer wirksamen Ablösung des Assad-Regimes gescheitert sind. „Mission accomplished“, twitterte vielsagend Donald Trump, genau wie George W. Bush nach dem vermeintlichen militärischen Sieg im Irakkrieg und vor dem faktischen Scheitern. Schlacht gewonnen, Krieg verloren – heute steht der syrische Diktator vor dem Sieg und der Westen ist außen vor.

Erster Leidtragender sind damit jene inzwischen weit über 350 000 Menschen, die im syrischen Bürgerkrieg ihr Leben verloren haben  – und zwar nicht zuletzt deshalb, weil die Aufständischen 2011 von militärischer Unterstützung ausgingen. Dieses Signal des Westens hätte es niemals geben dürfen, denn aus der berechtigten Angst vor einer kriegerischen Eskalation ist diese Unterstützung niemals wirklich erfolgt. Im Gegenteil: Spätestens seit dem gemeinsamen Kampf amerikanischer und russischer Truppen gegen den IS wurde das Land endgültig Baschar al-Assad und seinen Unterstützern Russland und Iran überlassen. Denn damit konnten sich deren Truppen voll auf die Bekämpfung der Aufständischen konzentrieren, ohne jede Rücksicht auf die Zivilbevölkerung.

Der Strategiewechsel der USA begann bereits unter Barack Obama, doch erst Donald Trump machte „America first“ zur alles entscheidenden US-Devise in den internationalen Beziehungen. Bereits Ende März hat Trump den völligen Rückzug aus Syrien nach der totalen Vernichtung des IS angekündigt. An dieser Position hält er trotz des Luftschlags fest, wie auch an dem für Mitte Mai geplanten Ausstieg aus dem Iran-Abkommen. Hier liegt das eigentliche Charakteristikum seiner Regierung: Allein am kurzfristigen Effekt orientiert, agiert sie hinsichtlich der mittel- und langfristigen Ziele völlig strategie- und letztlich sogar führungslos.

Die USA sind aber nicht nur militärisch-strategisch, sondern auch moralisch gescheitert. Der Fall Syrien reiht sich ein in das historische Versagen des Westens seit dem Beginn des Irakkriegs. Vom einst lautstark vorgetragenen Anspruch, Demokratie und die freiheitliche Gesellschaftsordnung zu exportieren, ist fast nichts geblieben, im Gegenteil: Die gesamte Region wurde in ungeheurem Maße destabilisiert, so dass sich heute Millionen von Menschen auf der Flucht befinden – sie sind der zweite große Verlierer.

File:Azaz, Syria.jpg

Der dritte Verlierer ist schließlich das Völkerrecht, sind die Vereinten Nationen. Vom Irakkrieg über die Intervention in Libyen bis nach Syrien zieht sich eine Kette von Völkerrechtsbrüchen. Auch der jüngste Luftschlag hätte zwingend einen UN-Beschluss vorausgesetzt. Er erfolgte jedoch, bevor ein Team der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) hätte aufklären können, ob tatsächlich Giftgas gegen die Rebellenhochburg Duma eingesetzt wurde. Denn, so die Begründung, Russland habe einen Beschluss im UN-Sicherheitsrat blockiert, was umgekehrt zu dessen Nichtbeachtung legitimiere. Das ist eine absurde Argumentation: Denn auch wenn der Einsatz von chemischen Waffen qua Konvention geächtet ist (welche auch von der syrischen Regierung unterzeichnet wurde), so bedarf es doch zur Ahndung des Verstoßes zwingend dessen Feststellung. Schon deshalb hätte es des Abwartens auf den OPCW-Bericht bedurft. So aber handelt es sich um eine erneute Selbstermächtigung ohne Deckung durch das Völkerrecht. Wo Obama noch den völkerrechtlichen Anschein wahrte, obwohl er sich bei der Beseitigung des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi ebenfalls über die UN-Charta hinwegsetzte,  wird von Trump in seiner gesamten Politik, aber insbesondere gegenüber den Vereinten Nationen, demonstrativ Abschied genommen von der westlichen Wertgemeinschaft, ihren Normen und Gesetzen.

Trump wird damit allen diktatorischen „My-country-first“-Politikern immer ähnlicher. Geht aber damit die Unterscheidung von demokratischen und diktatorischen Regimen mehr und mehr verloren, wird auch die internationale Rechtsordnung immer stärker unterminiert. Denn gleichzeitig verschafft Trump damit Autokraten vom Schlage Wladimir Putins die ideale Legitimation, sich bei ihrer völkerrechtswidrigen Politik stets auf die völkerrechtsignorante Selbstgerechtigkeit des Westens zu berufen.

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English: People and children in Ghouta massacre, victims of chemical attack.
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Source https://www.youtube.com/watch?v=yp_Ju6742Z0
Auteur محمد السعيد
Cette image, qui provient de https://www.youtube.com/watch?v=yp_Ju6742Z0, a été vérifiée le par l‘administrateur ou l’utilisateur de confiance (trusted user) INeverCry, qui a confirmé qu’à cette date, elle était disponible sous les termes de cette licence.

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Source Flickr: Azaz, Syria
Author Christiaan Triebert
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