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Die SPD mit Ruhrort-Blues

Erstellt von DL-Redaktion am Donnerstag 7. Dezember 2017

Entscheidung über Gespräche mit Union

Autoren Stefan Reinecke und Andreas Wyputta

Soll der SPD-Parteitag Martin Schulz Gespräche mit der Union erlauben? In Duisburg-Ruhrort sind die Genossen mehr als skeptisch. Fällt heute der „Letzte Vorhang“?

DUISBURG/BERLIN taz | Die „Taverne im Deutschen Haus“ ist das gutbürgerliche Wohnzimmer des Duisburger Malocherviertels Ruhrort. „136 Kneipen gab es hier mal“, erzählt Wirt Michael Scholz – zusammen mit seiner Frau Gunda führt er seit 48 Jahren Gaststätten. Die Gegend direkt neben dem größten Binnenhafen Europas galt einmal als das „St. Pauli des Westens“. Muskelbepackte Binnenschiffer sorgten für Umsatz und Stimmung.

Das ist lange her. Heute ist die Binnenschifffahrt durchgetaktet, Hafenliegezeiten sind Kostenfresser. Die „Taverne“ aber wirkt, als sei die Zeit stehen geblieben. Die Tische sind aus dunklem Holz geschreinert, die Wände mit Fachwerk verblendet. Auf der Speisekarte stehen Schnitzel, Cordon bleu und Rumpsteak – und natürlich das „gepflegte Pils“.

Am Donnerstagabend trifft sich hier der SPD-Ortsverein. Drei Genossinnen und fünf Genossen haben den Weg in die Fabrikstraße 27 gefunden. „Das sind ja richtig viele“, freut sich Vizevorsitzende Heike Krause. Die 61-Jährige wirkt mit hellblauen Longsleeve-Shirt und ihrem blonden Bob jünger. Seit 28 Jahren ist sie SPD-Mitglied, in den Neunzigern war sie einmal im Stadtrat. Nach Verlust ihres Mandats nahm sie 1999 eine politische Auszeit.

Doch ohne Politik kann Krause nicht. Zu der Frage einer wie auch immer gearteten Beteiligung ihrer SPD an einer neuen Bundesregierung hat sie einen dezidierten Standpunkt. Am Tresen stehend sagt Krause: „Ich bin für eine Minderheitsregierung.“ Ein „spannendes Projekt“ wäre das. „Dann würden die Debatten nicht mehr in Hinterzimmern laufen – und die Leute würden sehen, welche Partei im Bund für was verantwortlich ist.“

Die Basis soll eine Carte blanche geben

Berlin, Anfang dieser Woche. „Ich habe keine Ahnung, ob es der SPD mit einer Groko, einer Merkel-Minderheitsregierung oder Neuwahlen schlechter gehen wird“, sagt ein führendes SPD-Mitglied. Gerade hat Parteichef Martin Schulz im Willy-Brandt-Haus den neuen Kurs verkündet. Die SPD wird mit Angela Merkel und Horst Seehofer ergebnisoffen darüber reden, wie es weitergehen soll. Der Zeitplan steht schon. Der Parteitag ab diesem Donnerstag soll Schulz ein Mandat für diese Verhandlungen geben, bei denen alles möglich ist – von der Großen Koalition bis zur Neuwahl. Schon in der nächsten Woche, so ist es geplant, trifft sich Schulz mit der Unionsspitze. Am Freitag, den 15., soll der Parteivorstand Sondierungen absegnen, die Anfang Januar beginnen können. Dann kann es schnell gehen.

Wohin die Mehrheit der SPD-Spitze will, ist ein offenes Geheimnis. Sie möchte weiter mit Merkel regieren, vorausgesetzt, die Union ist bei den Inhalten flexibel. Man beteuert zwar treuherzig, alles sei offen und auch eine Minderheitsregierung im Topf. Doch manche Spitzensozis sind ganz froh, das Merkel da wohl ablehnen wird. Gedanklich sind manche schon in der nächsten Groko angekommen. Man blättert in den letzten Jamaika-Verhandlungspapieren und schaut, wo die Union – von Kohle bis Landwirtschaft und Europa – Zugeständnisse gemacht hat. „Dahinter können die nicht zurück“, so ein SPD-Mann. Als hätte der Koalitionsdeal schon begonnen.

Doch dass die SPD unversehrt aus den Gegensätzen zwischen vollmundigen Ankündigungen und kleinmütigen Rückzügen herauskommt, glaubt kaum jemand. Es geht darum, den Schaden zu begrenzen, der aus einer Abfolge von Fehleinschätzungen entstanden ist.

Die Chronik des Versagens der SPD-Spitze

Die Chronik des Versagens beginnt am 24. September kurz nach 18 Uhr. Wahlverlierer Martin Schulz verkündet im Willy-Brandt-Haus, dass die SPD in die Opposition geht. Keine Gespräche mit Merkel, so die rigorose Devise. So ähnlich tönen in den nächsten Wochen viele SPD-Leute. Jamaika werde schon funktionieren, die Grünen seien bereit, sich zu verraten, die FDP sei machtfixiert, die Merkel-CDU inhaltsleer. Doch diese Ansprache kann kaum verdecken, dass einer Partei ganz besonders daran gelegen war, dass Jamaika gelingt: die SPD.

Fehler Nummer zwei: Als Jamaika Sonntagnacht vor zwei Wochen scheitert, trifft das die SPD-Spitze wie ein Blitzschlag. „Wir sind“, so Martin Schulz, „überrumpelt worden“. Die SPD-Führung wirkt am darauf folgenden Montag intellektuell und strategisch überfordert. Das Meinungsbild im Präsidium ist eindeutig: Wir bleiben bei unserer Linie. So verkündet Schulz es im Willy-Brandt-Haus: „Ich rede mit Merkel nicht über eine Große Koalition.“ Auch eine Minderheitsregierung schließt der SPD-Chef faktisch aus. Es werde Neuwahlen geben.

Was die SPD-Spitze am Montagmorgen wissen muss, ist, dass die nicht einfach so kommen. Im Grundgesetz Artikel 63 ist der Weg zu Neuwahlen dornig gestaltet. Mehr als naheliegend wäre es gewesen, einmal nachzufragen, was Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier von Neuwahlen so hält. Doch auf diese Idee kommt offenbar niemand. Schulz schwant am Nachmittag desselben Tages, dass seine markigen Neuwahlsprüche zum Bumerang werden könnten. In der SPD-Fraktion rebellieren Dutzende Abgeordnete, die die Aussicht auf Neuwahlen wenig vergnüglich finden. Als Schulz bedeutet wird, dass er nicht noch einmal als Kanzlerkandidat gesetzt sei, kippt die Stimmung.

Von Neuwahlen redet heute niemand mehr. Dafür fehlt der Partei alles: Sie hat keinen Spitzenkandidaten, kein Geld, keine motivierten Mitglieder. Und keine Machtaussicht. Denn eine Ampel oder Rot-Rot-Grün sind fern wie nie.

Der Fauxpas war nicht die verständliche Absage an die Groko am 24. September, sondern das Ultimative: keine Gespräche mit Merkel. Das sollte stark und stolz wirken. Aber es übertünchte nur die Verunsicherung.

Die Basis in Duisburg will keine Groko

Bärbel Bas, Gisela Walsken, Andrea Nahles, Rainer Bischoff, SPD, NRW, Duisburg.jpg

In Duisburg-Ruhrort sind die Genossen inzwischen ins Hinterzimmer mit einem großen hölzernen Schiffssteuerrad an der Wand umgezogen. „In der Opposition könnten wir unser Profil erneuern“, sagt Heike Krause und spielt nachdenklich an ihrer silbernen Halskette.

Für die Aversion gegen die Groko im Bund gibt es in Duisburg gute Gründe. Die Wahl 2017 war so etwas wie ein letzter Warnschuss. Zwar gewann die Duisburger SPD mit gut 35 Prozent die beiden Direktmandate. Aber die Kurve zeigt steil nach unten. 2005 waren noch knapp 60 Prozent normal. Wenn das so weitergeht, wird die SPD selbst in ihrer Hochburg bald dort sein, wo Frankreichs Sozialisten heute schon sind – am Rand.

Das liegt, sagt der 23-jährige Alexander Fennen an der langen Tafel in der Taverne, „noch immer an der Agenda 2010“. Fennen weiß, wovon er spricht. Als sein Vater nach Jahrzehnten seinen Job verlor, drohte der soziale Absturz. „Er hat als Betriebswirt nach zwei Jahren Gott sei Dank wieder Arbeit gefunden“, erzählt der Juso leise. „Deshalb haben wir unser Haus noch.“ Doch viele mit weniger guter Ausbildung können sich nicht retten. Fast 40.000 sind in Duisburg auf Jobsuche, in Arbeitsmarktmaßnahmen geparkt oder auf Hartz IV abgestürzt. Offene Stellen in Duisburg: 4.492.

Die SPD-Basis in Ruhrort kennt die Wut der Abgehängten, auch aus dem letzten Wahlkampf. „Unsere Erfolge wie den Mindestlohn sehen viele nicht“, klagt nicht nur der Parteilinke Fennen. Am Wahlkampfstand bekommen die SPDler zu hören: „Ihr steckt uns in Hartz IV, ihr habt Deutschland versaut.“ In Teilen des Vororts Marxloh liegt die SPD nur noch knapp vor der AfD. Fennen ahnt, woran das liegt. „Wir waren nicht da. Es ist keiner mehr rausgegangen“, sagt er. „Wir werden da doch angespuckt.“

Jusos fürchten die Konkurrenz der Linkspartei

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