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Die SPD in der GroKo-Falle

Erstellt von Redaktion am Sonntag 4. Februar 2018

Die Rechte als Krisenprofiteur

von Peter Reif-Spirek

Mit einer erstaunlich knappen 56-Prozent-Mehrheit hat der SPD-Sonderparteitag den Weg zu Koalitionsverhandlungen mit der CDU geebnet. Vieles spricht dafür, dass es nun tatsächlich zur dritten „Großen“ Koalition der Post-Schröder-Ära kommen wird. Dabei war es in erster Linie das Verdienst der Jusos, die Richtungsauseinandersetzung um den weiteren Weg der Sozialdemokratie in den Mittelpunkt der innerparteilichen Debatte gerückt zu haben. Dagegen ist die Parteiführung auf dem Weg zu diesem Parteitagsbeschluss in eine Falle getappt, die sie sich selbst gestellt hat.

Nach der desaströsen Bundestagswahl hatte sie noch vollmundig und einstimmig jegliche Verhandlungen mit der CDU abgelehnt, weil sie die Große Koalition als „abgewählt“ ansah und mit vollem Recht als sozialdemokratische Verlustgeschichte bewertete. Gleichwohl hatte diese Positionierung schon damals ein demokratietheoretisches Geschmäckle, denn die Leistung einer Demokratie sollte gerade auch im Versuch einer lagerübergreifenden Kompromissbildung liegen. Man kann nicht wählen lassen, bis das Ergebnis stimmt. Es wäre daher sinnvoller – und nicht zuletzt strategisch klüger – gewesen, die Verhandlungen mit der Union nicht von vornherein abzulehnen, sondern sie an klaren inhaltlichen Vorhaben der Sozialdemokratie scheitern zu lassen. Damit hätte die Last des Scheiterns und möglicher Neuwahlen auf der Jamaika-Konstellation gelegen.

So aber kam es, wie es kommen musste: Der schwarz-grün-gelbe Bürgerblock implodierte dank der FDP, alle Planungen der SPD für die zukünftige Opposition gegen Jamaika waren obsolet und die Partei kehrte nach kurzer bundespräsidialer Ermahnung an den einst verschmähten Verhandlungstisch zurück. Bevor überhaupt irgendein Erneuerungsschritt der Partei vollzogen werden konnte, saß die SPD schon in besagter Falle. Da alle Beteiligten Neuwahlen aus guten Gründen vermeiden wollen und die strategischen Alternativen der innerparteilichen GroKo-Kritiker auch wenig überzeugend sind, musste man von einer Parteitagsmehrheit für weitere Koalitionsgespräche ausgehen. Umso mehr muss es die Führung erschrecken, dass diese Mehrheit nur so knapp ausfiel.

Denn tatsächlich wäre die einzige Alternative einer Minderheitsregierung ein völlig ungedeckter Wechsel.  Die Vorstellung von Teilen der SPD, man könne so alle Erfolge auf das eigene politische Konto verbuchen, während der Wähler alles Negative bei den Regierungsparteien verortet, beruht auf wenig realistischen Annahmen. Zudem unterschätzen die Befürworter dieser Option die Eigenmacht ministerieller Apparate, die politisch geführt werden müssen. Angesichts einer gesellschaftlichen Stimmungslage, in der beachtliche Bevölkerungsteile Angst vor weiterem Kontrollverlust haben, bieten solche experimentierfreudigen Regierungskonstellationen daher keine reizvolle Alternative – offensichtlich auch nicht für die Kanzlerin, die diesem Projekt eine klare Absage erteilte.

Kurzum: Diese strategische Schwäche der GroKo-Gegner in der SPD war von Beginn an offensichtlich. Das aber ändert nichts daran, dass ihre Befürchtungen für die Zukunft der SPD jede Berechtigung haben – und genau darin lag ihre argumentative Stärke auf dem Parteitag.

Denn der eingeschlagene Weg der Sozialdemokratie beinhaltet erhebliche Gefahren für die Perspektiven der deutschen Demokratie und vor allem der Partei selber; beides ist eng miteinander verkoppelt. Diese Gefahren liegen nicht, wie bei früheren Großen Koalitionen, im machtpolitischen Übergewicht dieser Regierungskonstellation, denn CDU/CSU und SPD verfügen zusammen nur noch über das Potential früherer kleiner Koalitionen. Sie liegen vielmehr in einer zunehmenden Auszehrung unserer Demokratie, in der sich politische Apathie und das Gefühl von Alternativlosigkeit ausbreiten.

Diese neue kleine GroKo wäre das Bündnis einer Partei, die ihre Integrationsfähigkeit nach rechts verloren hat, mit einer Partei, die ihre gesellschaftliche Verankerung in ihren sozialen Herkunftsmilieus eingebüßt hat. Die Vorstellung, sie werde zu einer Wiederbelebung der Parteiendemokratie und einer Stärkung ihrer beiden wichtigsten Protagonisten führen, entbehrt so jeder Grundlage. Am Ende könnten wir tatsächlich zu „italienischen Verhältnissen“ kommen: Dann würde eine neue Demokratische Partei eine Merkel-CDU mit einer programmatisch entkernten Sozialdemokratie vereinen, nach dem Muster des Partito Democratico, der aus dem Zusammenschluss der ehemaligen Kommunisten mit Teilen der Christdemokratie entstand, ohne jemals die frühere Stärke der Vorgängerparteien zu erreichen.

Zweifellos tragen etliche Sondierungsergebnisse durchaus eine sozialdemokratische Handschrift. Doch unabhängig von den erreichten Erfolgen wie auch von den dezidierten Misserfolgen, von der Obergrenze in der Flüchtlingspolitik bis zum Verzicht auf die Erhöhung des Spitzensteuersatzes und die Einhaltung der nationalen Klimaziele bis 2020, bedeutet eine neue GroKo für die Sozialdemokratie vor allem ein symbolpolitisches Desaster – nämlich das Eingeständnis, auf lange Zeit nur noch als politisch subalterner Juniorpartner der Union fungieren zu können.

Die zentrale Frage ist daher nicht, wie viele Spiegelstriche des Sondierungspapiers sich die Sozialdemokratie selbst zurechnet, sondern welche Auswirkungen die GroKo auf ihre innerparteiliche und gesellschaftliche Integrationsfähigkeit hätte. Schon jetzt ist ein tiefer Riss zwischen der sozialdemokratischen Basis und ihren Führungseliten erkennbar. Weder Parteivorstand noch Bundestagsfraktion sind noch in irgendeiner Weise repräsentativ für die innerparteilichen Stimmungen, wie sie auf dem Parteitag zum Ausdruck kamen. Die erneute Zusammenarbeit mit der CDU mag alternativlos sein, aber dafür wird ein politischer Preis fällig werden, der sich schon in Bälde als zu hoch herausstellen könnte.

Sozialdemokratie ohne Identität

Die SPD ist heute eine Partei ohne klares soziales Profil in der Wählerschaft und ohne programmatische Identität. Es gibt kaum ein Thema, das noch zur eindeutigen Abgrenzung von den politischen Mitbewerbern taugt. „Mit uns wird es nur langsam schlimmer“ – so fasst Mathias Greffrath die implizite Botschaft der neueren SPD-Geschichte zusammen. Überall wurde die Glaubwürdigkeit der SPD durch die eigene Politik – vor allem in der rot-grünen Agenda-Ära – schwer beschädigt. Dass erst die Großen Koalitionen seit 2005 die Sozialdemokratie in die Krise geführt haben, entpuppt sich so als beliebte Lebenslüge der Partei, mit der sie sich einer selbstkritischen Neuorientierung der eigenen Politik seit Jahren verweigert.

War die SPD 2005 mit einem Stimmenanteil von 34,2 Prozent in d ie erste Große Koalition gegangen, stürzte sie bei der Bundestagswahl 2009 mit dem Agenda-Strategen Frank-Walter Steinmeier als Spitzenkandidat auf 23 Prozent ab. Davon hat sich die Sozialdemokratie nie wieder erholt. Die Chance zur Erneuerung in der Opposition während der schwarz-gelben Regierungszeit ab 2009 wurde verpasst; auch heute würde daher eine Oppositionsrolle keineswegs eine Erneuerung garantieren. Munter machte der sozialdemokratische Staatsadel nach 2009 mit der alten Politik weiter und führte die Partei 2013 in die zweite GroKo, an deren Ende nun ein SPD-Rekordtief von 20,5 Prozent steht.

Die dritte Post-Schröder-GroKo würde in der Außenwahrnehmung die Differenzen zur CDU weiter einebnen. Alle Argumente, die unmittelbar nach der verlorenen Bundestagswahl gegen eine GroKo ausgesprochen wurden, bleiben daher richtig. Der allseits eingeforderte und erhoffte Erneuerungsprozess der Sozialdemokratie wird in dieser Konstellation auf der Strecke bleiben. Schon die Wahl des Seeheimers Lars Klingbeil zum neuen Generalsekretär zeigte, dass große Teile der sozialdemokratischen Führungseliten sich weiter in der politischen Kontinuität der Schröder-Marktsozialdemokratie verorten. Die marginalisierte Parteilinke agiert dagegen ohne politische Führung und verfügt über kein machtpolitisches Gewicht.

Quelle    :          Blätter        >>>>>>         weiterlesen

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Grafikquelle     :        SPD-Bundesvorsitzender und Kanzlerkandidat Martin Schulz bei einer Rede in Ludwigshafen am Rhein (13. September 2017).

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