Die Schreibtischtäter
Erstellt von DL-Redaktion am Dienstag 3. Juli 2018
Bluthandwerk vom Schreibtisch
Von Rudolf Walther
Ob die Zeit des Nationalsozialismus samt Weltkrieg und Holocaust als „Vogelschiss“ (Gauland) bezeichnet wird, wieder von einer „konservativen Revolution“ (Dobrindt) die Rede ist oder auch von „Asyltourismus“ und „Asylgehalt“ (Söder): Offensichtlich erleben wir gegenwärtig eine massive semantische Radikalisierung und verbale Aufrüstung. Vor diesem Hintergrund wird ein Buch hoch aktuell, das sich den „Schreibtischtätern“ nähert. In dem von Dirk van Laak und Dirk Rose herausgegebenen Sammelband beschäftigen sich 17 Autoren – Historiker, Literatur- und Medienwissenschaftler sowie Juristen – mit den zahlreichen Facetten dieses hoch umkämpften Begriffs. Denn nicht nur Bücher haben sprichwörtlich ihre Schicksale, sondern auch politische Begriffe, die im Ergebnis gar zum allseits verwendbaren Kampfbegriff werden können. Der Begriff „Schreibtischtäter“ ist in dieser Hinsicht besonders bemerkenswert – und zwar sowohl in historischer als auch in politischer und philologischer Dimension.
Philologisch-semantisch gesehen hat der Begriff erstaunlicherweise nur im Deutschen Karriere gemacht – und zwar in der wissenschaftlichen Prosa, gemeint waren dabei zunächst primär die Organisatoren des Holocaust, wie alsbald in banalisiert-geschichtsloser und sehr viel allgemeinerer Form auch in der Alltagssprache. Anders ist die Lage im angelsächsischem Sprachraum: „Desk murderer“ und „white collar criminal“ sind im Englischen zwar durchaus geläufig, finden aber in der historisch-politischen Literatur, im Journalismus und in der Alltagssprache längst nicht so viel Verwendung wie im Deutschen. Und im Französischen, Italienischen und Spanischen sind direkte Übersetzungen gar nicht möglich, sondern nur Hilfskonstrukte (im Französischen etwa „cerveau du crime“ oder „cerveau de la guerre“).
Dabei sind die Tatbestände, auf die der Begriff verweist, natürlich in allen modernen Gesellschaften gleichermaßen vorhanden: Schreibtischtäterschaft meint grundsätzlich die logistische Vorbereitung, taktische und strategische Anordnung und Durchführung politisch relevanter Handlungen nicht am eigentlichen Tatort des Geschehens, sondern aus Büros, Kanzleien, Verwaltungen und Stäben im Hinterland heraus. Das gilt für Kriege und Massenverbrechen ebenso wie für die effiziente Verbreitung von Gütern, Dienstleistungen und Informationen. Der Dichter Theodor Fontane stellte schon für die Befreiungskriege im Hinblick auf die dort tätigen Bürokraten fest: „Ohne Federfuchserei geht es nicht mehr in der Welt.“
Damit ist der Schreibtischtäter ein originäres Kennzeichen der Moderne. Die rasante Entwicklung der Kommunikations- und Transportmedien zwischen dem 19. und 21. Jahrhundert hat die Distanz zwischen Planungsort und Tatort, Ursprung und Ziel von Interventionen wirtschaftlicher, militärischer oder politischer Art virtuell beliebig gedehnt, was erhebliche moralisch-politische Fragen hinsichtlich der Täterschaft aufwirft. Der Schreibtischtäter ist ein „Untäter“ (Dirk Rose), der in der Regel nie direkt damit konfrontiert wird, was sich zuerst seiner eigenen Planung und Organisation verdankt. „Manch ein Kapital, das heute in den Vereinigten Staaten ohne Geburtsschein auftritt, ist erst gestern in England kapitalisiertes Kinderblut“, schrieb Marx schon 1867 über diese Form des Unsichtbarmachens. Wie so oft in der Geschichte existiert der Tatbestand lange vor dem Wort, wird aber anders benannt.
Wie sich Druckerschwärze in Blut verwandelt
Ihren richtigen Durchbruch erlebte die Kritik an der Schreibtischtäterschaft im 20. Jahrhundert als dem Säkulum der großen Vernichtungskriege, allerdings ohne dass zu Anfang bereits der Begriff Verwendung gefunden hätte. Karl Kraus wollte schon 1919 professorale und journalistische Kriegshetzer vor Gericht stellen, weil sich deren mit Druckerschwärze gedruckte Worte im Krieg „in Blut“ verwandelten. Tatsächlich war die Haltung deutscher Intellektueller und Schriftsteller zum Ersten Weltkrieg hoch kontrovers, wie die Literaturwissenschaftlerin Sarah Mohi-von Känel in ihrem Beitrag darlegen kann. So standen die späteren Literaturnobelpreisträger Thomas Mann und Hermann Hesse, aber auch Hugo von Hofmannsthal auf der Seite der „Papierkrieger“, die vehement für den Krieg trommelten. Als solche bezichtigten sie Kurt Tucholsky und Karl Kraus, „durch Anpreisung fremden Heldentodes sich den eigenen zu ersparen“ (Kraus).
In den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen wurden – wie der Historiker Christoph Jahr darlegt – zwar auch „Männer“ schuldig gesprochen, die „in der friedlichen Stille ihrer Büros in den Ministerien an diesem Feldzug […] teilgenommen hatten“, aber das Wort Schreibtischtäter kam in den Verhandlungen nicht vor, obwohl darin inhaltlich genau das beschrieben wurde, was der israelische Chefankläger Gideon Hausner im Eichmann-Prozess dem Angeklagten vorwarf, nämlich „das Bluthandwerk vom Schreibtisch aus“ betrieben zu haben.
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Grafikquelle : U.S. Defense Secretary Robert M. Gates and other members of NATO Ministers of Defense and of Foreign Affairs meet at NATO headquarters in Brussels, Belgium, Oct. 14, 2010, to give political guidance for the November meeting of Allied Heads of State and Government at the NATO Summit in Lisbon, Portugal.
Source | http://www.defense.gov/PhotoEssays/PhotoEssaySS.aspx?ID=1904 http://www.defense.gov/dodcmsshare/photoessay/2010-10/hires_101014-F-6655M-005a.jpg |
Author | DOD photo by U.S. Air Force Master Sgt. Jerry Morrison |
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