Rücklichter des Lafowagen
Erstellt von DL-Redaktion am Montag 8. November 2021
Laftontaines Abkehr in Zeitlupe
Von Uwe Kalbe
Der frühere Linke-Chef kündigt Rückzug aus der Politik an. Seine Begründung irritiert und provoziert Spekulationen.
Der Moment erinnerte an eine Weihnachtsbescherung. Wie kleine Kinder stupsten sich die Journalisten auf der Pressetribüne an, als sie im Plenarsaal Oskar Lafontaine entdeckten. Er stand mit Gregor Gysi lachend bei den Abgeordneten der Linkspartei. PDS. Die war in den Bundestag zurückgekehrt, als viertstärkste Fraktion, nachdem die PDS drei Jahre zuvor an der Fünfprozenthürde gescheitert war.
Das war am 18. Oktober 2005. Sechs Jahre nach seinem Rückzug ins Private kehrte Lafontaine in die Bundespolitik zurück. Immer wieder hat der Politiker aus dem Saarland dafür gesorgt, dass politische Ereignisse als besondere Momente in Erinnerung bleiben, als historische womöglich. Als er 1995 mit einer Parteitagsrede den gesetzten Kandidaten für den SPD-Vorsitz, Rudolf Scharping, aus dem Rennen warf und das Ruder übernahm. Als er mit Gerhard Schröder 1998 die SPD zum Wahlsieg führte und im Jahr darauf plötzlich den Parteivorsitz und sein Amt als Bundesfinanzminister hinwarf. Und eben auch, als er 2005 an der Spitze der Linkspartei zurückkehrte.
16 Jahre sind seither vergangen, und wieder ist so ein Moment gekommen. Lafontaine tritt nicht wieder für die Linke an, wenn im März im Saarland gewählt wird. Mit seinen 78 Jahren hätte er den Ruhestand mehr als verdient. Aber die Umstände wollen das Bild einer erfüllten Mission nicht aufkommen lassen. Es ist eine Abkehr in Zeitlupe. Und im Zorn. Lafontaine geht im Streit. Wieder einmal.
Oskar Lafontaine vermag Menschen zu begeistern, in seinen Reden benennt er Freund und Feind, dazwischen gibt es nicht viel. Und immer schwingt darin das Versprechen eines größeren Ziels. Die Journalisten auf der Pressetribüne des Reichstages im Oktober 2005 waren froh, dass er zurück war, ob sie ihn mochten oder nicht. Er versprach neue Bewegung in der Politik.
Die SPD hatte mit der Agenda 2010 Teile ihrer Wählerschaft verprellt. WASG und PDS schickten sich an, eine neue Partei zu bilden, auch um diese einzusammeln, und Lafontaine gab der Entwicklung einen Schub. Er wollte der sozialdemokratischen Partei auf ihrem Irrweg eine Lektion erteilen, sie zur Umkehr bewegen oder wenigstens Stachel in ihrem Fleisch sein. Gregor Gysi und seine PDS-Genossen wiederum erhofften sich die Wiederbelebung der eigenen schwächelnden, aber im Osten immer noch verankerten Partei und ihre bisher gescheiterte Ausdehnung in den Westen.
Die neue Mischung hatte das Potenzial, die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. Doch schon damals waren nicht alle Linken begeistert. Der Streit um die Ziele und Wege der PDS war gerade in einer zehn Jahre dauernden Programmdebatte ausgefochten worden. Jetzt war alles wieder offen. »Erst recht bin ich nicht bereit, einer Partei unter der Dominanz des Sozialdemokraten Oskar Lafontaine … anzugehören«, heißt es im Abschiedsschreiben eines Genossen von damals. »Obwohl ich die Linkspartei wählen werde, kann ich ihr nicht mehr angehören und erkläre hiermit meinen Austritt.«
Die Linke befindet sich in einer Existenzkrise
Real wirkte Lafontaine in den Folgejahren eher als der linke Pol der Partei. Und es gelang in den folgenden Jahren, eine gesamtdeutsche Linkspartei zu formieren. Doch was der Genosse weiter zur Begründung seines Austritts anführte, trat ein. »Politisch und sozial sehr unterschiedliche Milieus« wurden zusammengeführt und bis heute, 16 Jahre später, ist die »Frage des Wohin dieses Aufbruchs« umstritten. Mit dem Ergebnis, dass die Linke nach der Bundestagswahl vom September beinahe wieder dort steht, wo die PDS 2002 stand. In einer Existenzkrise.
Wurde von Machthabern je etwas anderes geboten? – Was fleißige Hände einst bauten – warfen sie mit ihren Hinterteilen wieder um!
Auch Oskar Lafontaines Erfolg gerät damit ins Wanken. Er selbst, nach einer Krebserkrankung 2010 vom Vorsitz der Bundespartei zurückgetreten, agiert seit Jahren als Fraktionschef seiner Partei im saarländischen Landtag. Zunächst sorgte er hier für beachtliche Wahlergebnisse. Im Saarland war er 14 Jahre lang, von 1985 bis 1998, Ministerpräsident gewesen. Man kannte und schätzte ihn. Doch bei der jüngsten Bundestagswahl lag die Linke auch im Saarland nur noch bei 7,2 Prozent, über dem Schnitt, aber desaströs, wenn man es mit 2009 vergleicht, als sie hier auf 21,2 Prozent kam.
Nicht auf Parteitage oder Wahlen verweist Lafontaine, wenn er nach den Ergebnissen seines politischen Lebens gefragt wird. Es ist die Rettung der saarländischen Stahlindustrie in der Zeit, als er Ministerpräsident war, an die er erinnert. An den Aufbau der Informatik an der Universität, die Teilentschuldung des Saarlandes oder die Saarbahn. In der Bundespolitik habe er mitgewirkt daran, dass es 1998 und auch danach zu Mehrheiten für eine soziale Reformpolitik kam. Die aber nach 2005 ungenutzt blieben, nicht zuletzt, weil die SPD mit einer Partei des »Verräters« Lafontaines nicht zusammenarbeiten wollte.
Auch in der rot-grünen Koalition von 1998 habe er am Anfang Verbesserungen durchsetzen können, wie die Rücknahme der Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder den Erhalt des Kündigungsschutzes in kleineren Betrieben, das Schlechtwettergeld und die Erhöhung des Kindergeldes. Doch dann folgte der Bruch, Differenzen mit Bundeskanzler Schröder, der Jugoslawienkrieg. Schließlich die Agenda 2010.
Quelle : ND-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Charleroi (Belgique) – Station Janson du métro léger. Les Psy.