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Die Punks vom Flugplatz:

Erstellt von Redaktion am Freitag 9. August 2019

Zu Hause ist da, wo es wehtut

Hogre is not dead ... Street art Rome.jpg

Von Fabian Hillebrand, Zwickau

Die Punks vom Flugplatz: Die Band Klostein schlägt sich mit Nazis und Behörden herum und organisiert Konzerte für Zwickau und gegen die Starre der Provinz.

Ein Anruf, spät in der Nacht. Es gibt Probleme. Mal wieder. Eben saß die Punkerclique noch gemütlich beieinander, jetzt rennt sie nach draußen. Einer aus der Gruppe steckt in der Klemme und braucht Hilfe. Auf der Straße treffen sie auf etwa zwanzig Personen. Es ist dunkel. Glatzen, Springerstiefel, Gepöbel, die ersten Fäuste fliegen. Passanten bleiben stehen und beobachten die Szene. Einige fangen an zu klatschen und zu johlen. Sie feuern: Endlich bekommen die Punks auf die Schnauze. Dass es Nazis sind, die zuschlagen, stört sie nicht. Eine nächtliche Keilerei zwischen zwei Jugendbanden. Nichts besonders Erwähnenswertes in Zwickau.

Wenn Tony Müller anfängt zu erzählen, ist er nicht zu stoppen. Geschichten kennt er einige: Von Nazis, die einst Kumpels waren, und Freunden, die weggezogen sind und sich nicht mehr interessierten für die sächsische Kleinstadt. Der Punker mit den grünen Haaren ist dageblieben. In »Zwigge«. Wo sich in der malerischen Innenstadt Cafés aneinanderreihen und das Rathaus seine neogotische Fassade präsentiert. Beleuchtet von den Strahlen der Abendsonne, die durch die Blätter der alten Bäume am Hauptmarkt fallen. Es könnte so friedlich sein. Wären da nicht die Geschichten, die Müller hineinspuckt in die Idylle.

Es sind die Erzählungen einer gefährlichen Jugend. Seit er 14 Jahre alt ist, macht er Punkmusik, singt und spielt Gitarre. Seitdem gibt es Probleme mit Nazis. Es ist auch die Geschichte einer Stadt, die ihre winzige alternative Szene nicht unterstützt. Die sich wegduckt und nicht gesehen hat, wie die Rechten die Punks wieder durch die Stadt jagen. Einmal geht Müller zur Polizei. Er war mit seiner Freundin auf dem Nachhauseweg. Auf einmal hört er seinen Namen.

Seine Telefonnummer war nur der Polizeidienststelle bekannt

»Tony Müller!« Er dreht sich um. Woher kennen die meinen Namen, fragt er sich noch. Dann sieht er eine massige Gestalt auf sich zu rennen, »mindestens doppelt so groß wie ich«. Auch seine Freundin und er fangen an zu rennen. Das ist das einzig Vernünftige. Man weiß nie, wie verrückt, wie gefährlich die Nazis sind. Unberechenbar. Das Paar schafft es, den Verfolger abzuhängen und sich in die gemeinsame Wohnung zu retten. Einige Tage später entdecken sie die ersten Nazisticker an der Wohnungstür.

Chaos Days 1984.jpg

Sie erkennen den Angreifer später wieder. Ein bekannter Neonazi. Sie erstatten Anzeige bei der Polizei. Dieses eine Mal. Kurz danach kommen die Drohanrufe. Aufs Handy. Auf eine Nummer, die eigentlich nur der Polizeidienststelle bekannt war. Wie schützt man sich vor der permanenten Gewalt, wenn Polizei und Stadtgesellschaft nicht willens sind hinzuschauen? Müller lacht. »Gut laufen können«, sagt er. Mehr geht nicht. Und oft umziehen. Immer wieder bekommen Nazis seine Wohnadresse oder die seiner Freunde heraus. Sie plakatierten die Türen mit Nazipropaganda, filmen vor der Haustür, fangen die Punks ab. Psychoterror. Die Nazis sind gefährlicher geworden, gehen systematischer und bedrohlicher vor, so der Eindruck von Müller. Früher, erzählt er, waren sie direkter. Da hat man sie noch erkannt mit ihren Springerstiefeln. Da gab es in der Innenstadt regelmäßig »auf die Mütze«. Wann immer Müller auf die Stadtfeste geht, gibt es auf die Schnauze. Auch die Kneipen werden weniger, sie sterben weg. In denen, die bleiben, sitzen Nazis und Punks oft nebeneinander. Es gibt keine sicheren Orte. Einmal, bei einer Schlägerei, meint Müller den späteren Terroristen Uwe Mundlos erkannt zu haben.

In die Kneipen und zu den Festen geht er trotzdem. Es gibt ja sonst nichts. Vorerst. Dann fangen Müller und seine Freunde an, eigene Konzerte zu organisieren. Sie drucken Handzettel bei Kaufland, verteilen sie in der Stadt. Fahren auf die umliegenden Dörfer. Eine kleine Szene entsteht. Vieles ist fluide in diesen Jugendkulturen: Skinheads, die früher bei den Punkfesten dabei waren, marschieren heute mit den Nazis auf. Und umgekehrt. Müller tourt mit seiner Band. Alle Namensvorschläge hatten etwas mit Pisse zu tun. Am Ende einigen sie sich auf »Klostein«. Punkrock eben. Sie proben im Keller der Eltern, auch 14 Jahre später noch.

Quelle        :          ND             >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben          —         Hogre is not dead … Street art in Rome

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Unten     —       Chaos Days in Hanover 1984.

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