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Die politische Analyse

Erstellt von Redaktion am Dienstag 24. Oktober 2017

Der Konflikt um Katalonien spitzt sich zu

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Quelle . Blog politische analyse

Puigdemont hat auf das Ultimatum der Zentralregierung, das am Dienstag, den 17.10., ausgelaufen war, ausweichend geantwortet. Was nach außen hin wie Selbstbewusstsein und Unbeugsamkeit aussieht, ist ein Zeichen politischer Schwäche. Trotzig scheint er Rajoy zu verstehen geben zu wollen, dass er sich von Madrid nichts diktieren lässt. Jedoch gerät er immer mehr in die Defensive, je mehr er sich um die Klarstellung herumdrückt, die Madrid von ihm fordert: Erklärt sich Katalonien nun für selbständig oder nicht?

Und schon fasst die Zentralregierung nach und lässt Puigdemont nicht aus dem Schwitzkasten. Sie stellt ein zweites Ultimatum für Donnerstag, den 19.10., verbunden mit der Androhung, die staatlichen Zwangsmittel anzuwenden, die die spanische Verfassung in solchen Fällen vorsieht und billigt. Auch diese Frist ließen die Katalanen verstreichen, verbunden mit der wiederholten Aufforderung an die Zentralregierung, Verhandlungen zu führen und zwar auf Augenhöhe. Aber diese Augenhöhe lässt sich nicht verordnen. Sie sind eine Illusion, wenn man die wirklichen Kräfteverhältnisse zwischen den beiden Kontrahenten betrachtet. Die Zentralregierung verfügt über alle staatlichen Machtmittel bis hin zum Einsatz des Militärs und hat auch schon den Nachweis erbracht, dass sie es einsetzen wird, wenn sie glaubt, dass die Situation es erforderlich macht.

Worauf aber kann Puigdemont sich stützen? Bisher beschränkt er sich weitgehend auf Kraftmeierei und Appelle an die Adresse Madrids. So stellt er als Bedingung für den Dialog, der auf seinen Wunsch hin zustande kommen soll, dass „sich die spanische Regierung auf ein Gespräch über die Unabhängigkeit Kataloniens einlasse“ (Luxemburger Wort vom 17.10.17: Der nächste Schritt ins Ungewisse). Das ist aber gerade das, was Rajoy um keinen Preis will. Verkennt der Katalane die wirkliche Lage?

Einerseits bringt er mit seinem Taktieren gegenüber der Zentralregierung nicht nur diese gegen sich auf sondern auch die Anhänger der katalonischen Unabhängigkeitsbewegung. Auch sie fühlen sich allmählich von Puigdemont hingehalten und vielleicht auch schon hinters Licht geführt, weil er sich immer noch nicht klar zur Unabhängigkeit Kataloniens geäußert hat. „Der Druck seiner parlamentarischen Partner in Barcelona wächst. Sie finden, dass er viel zu zahm mit Rajoy umgeht“ (ebenda). Das trägt nicht gerade zur Stärkung seiner Position bei.

Andererseits stellt sich aber auch die Frage, über welche politische Kraft die katalanische Unabhängigkeitsbewegung verfügt. Kann sich Puigdemont als Verhandlungsführer auf deren politische Belastbarkeit und Verlässlichkeit im Ernstfall auch wirklich stützen? Welchen Charakter hat diese Bewegung? Was ist ihr innerer Antrieb? Wie handlungsfähig, wie politisch stabil und bewusst ist sie? Denn der Verhandlungsführer ist nur so stark wie die politischen Kräfte, in deren Auftrag und Interesse er handelt. Das bedeutet im Endeffekt: Wozu sind die Mitglieder der Autonomiebewegung bereit, welchen Einsatz sind sie bereit zu leisten, welche Opfer sind sie bereit zu bringen?

Eine erste Nagelprobe für das politische Bewusstsein dieser Bewegung waren die Absetzung des katalanischen Polizeichefs Trapero und die Verhaftung der Vorsitzenden der beiden größten Organisationen, der ANC (Katalanische Nationalversammlung) und der Omnium Cultural. Sie „bilden das zivile Rückgrat der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung“ (FAZ vom 18.10.17: Hunderte Katalanen protestieren gegen Gerichtsentscheidung). Die Antwort der Bewegung war harmlos. Selbst die FAZ scheint mit einer heftigeren Reaktion gerechnet zu haben, wenn sie in ihrem Beitrag „Haft für katalanischen Polizeichef beantragt“ vom 17.10.17 schreibt: „Der große politische Zusammenprall blieb am Montag indessen aus“.

Die katalanische Regierung bezeichnete diese Maßnahme der Zentralregierung hilflos als eine „Schande für die Demokratie“ (ebenda). Und angesichts der Bedeutung dieses Vorgangs, der immerhin als eine Enthauptung der Bewegung angesehen werden kann, deutet eine Demonstration von einigen Hunderten nicht darauf hin, dass man sich der Schwere dieser Maßnahme bewusst zu sein scheint.

Damit wird der Bewegung eine Führung genommen, die sowohl eng mit der katalanischen Regierung zusammengearbeitet hat als auch „in den vergangenen Jahren Hunderttausende für die Demonstration am katalanischen Nationalfeiertag … mobilisiert“ (ebenda). Sie scheint also das Bindeglied zu sein zwischen der katalanischen Regierung und den Teilen der Bevölkerung, die sich für die Unabhängigkeit stark machen.

Die spanische Regierung jedenfalls scheint deren Bedeutung erkannt zu haben. Zudem hat sie mit der Absetzung des Polizeichefs einen Risikofaktor für etwaige Umsetzungen staatlicher Machtmittel ausgeschaltet. Das stärkt ihre Erfolgsaussichten in einer eventuell anstehenden handfesteren Auseinandersetzung. Ob solche Einschätzungen der Lage auch bei den Verfechtern der Unabhängigkeit vorliegen, ist im Moment und angesichts der Nachrichtenlage in den deutschen Medien nicht erkennbar. Auch ist nicht ersichtlich, welche Reaktionen auf das Handeln Madrids vonseiten der katalanischen Gegner zu erwarten sind.

Angesichts der bisherigen Nicht-Reaktion auf den Angriff aus Madrid scheint es fraglich, ob die führenden Kräfte der Unabhängigkeitsbewegung über die Fähigkeiten verfügen, die politische Situation, die Kräfteverhältnisse und die Erfolgsaussichten realistisch einschätzen zu können und ob sie darüber hinaus über die politische Erfahrung verfügen, eine solche Auseinandersetzung siegreich zu Ende zu führen.

Oder trifft sie der Enthauptungsschlag aus Madrid unvorbereitet? Hatten sie in ihrer Demokratiegläubigkeit nicht damit gerechnet, dass Rajoy hart durchgreifen und zu Machtmitteln greifen würde, die sie selbst als undemokratisch ansehen? Hatten sie geglaubt, dass Madrid nach ihren Regeln spielt? Hatten sie darauf vertraut, dass Machtkämpfe nach allgemeingültigen demokratischen Spielregeln ablaufen, so wie es die Sonntagsreden den Bürgern immer weis machen wollen? Einiges spricht für diese Blauäugigkeit. Die spanische Podemos-Bewegung, die die Separatisten zwar nicht unterstützt, bezeichnete aber trotz der unterschiedlichen politischen Standpunkte „die Festnahmen als „Schande“, die es im 21. Jahrhundert nicht mehr geben dürfte“ (ebenda).

Vielleicht aber fällt die Reaktion auf den Coup Rajoys auch deshalb so verhalten aus, weil die Unterstützung aus der Bevölkerung bereits nachlässt. Das Gezerre der Politiker ist ein politischer Akt, bei dem das Volk eher außen vorgelassen und ihm der Eindruck vermittelt wird, dass es auch ohne es geht. Die Aussicht auf Verhandlungen, die immer wieder von Puigdemont in Aussicht gestellt und angemahnt werden, lähmen die Handlungsbereitschaft der Bevölkerung, so sie denn überhaupt vorhanden ist. Da sind fürs erste keine Ansatzpunkt, wo die Masse der Abspaltungsbefürworter eingreifen könnte, zumal wenn eine Führung fehlt, die umsetzbare Handlungsvorschläge anbietet.

Es darf auch nicht vergessen werden, dass die Befürworter der katalanischen Eigenstaatlichkeit wohl die Abstimmung gewonnen haben, aber nicht die Mehrheit der katalanischen Bevölkerung darstellen. Von daher ist der Rückhalt Puigdemonts und der separatistischen Organisationen eher begrenzt, was es der spanischen Regierung auch immer wieder ermöglicht, zugunsten der eigenen Interessen Einfluss auf große Teile der katalanischen Bevölkerung nehmen zu können. Mit diesem trojanischen Pferd im eigenen Land können sie die Vertreter der Autonomiebewegung unter Druck setzen und zusätzlich schwächen. Diese Möglichkeit, auf Rajoy Druck auszuüben, hat die katalanische Unabhängigkeitsbewegung im Rest Spaniens nicht. Dort steht man ihr eher ablehnend bis feindlich gegenüber.

Angesichts dieser Umstände, so weit sie denn aufgrund der Nachrichtenübermittlung durch deutsche Medien realistisch eingeschätzt werden kann, dürfte die weitere Verfolgung der Unabhängigkeitspläne für ihre Vertreter nicht einfach werden. Denn eine wirkliche gesellschaftliche Kraft, die auch in der Lage ist, politisch Macht auszuüben, scheint sich noch nicht herausgebildet zu haben.

Wird es zum Beispiel gelingen, die katalanischen Arbeiter zur Arbeitsniederlegung zu bewegen, wenn der Konflikt mit der Zentralregierung eskaliert? Denn Wortgefechte allein entwickeln wenig Wirkung, wenn es im Ernstfall nicht gelingt, handfeste politische Macht auszuüben in Form von wirtschaftlicher Schwächung durch Streiks oder ähnlichen Mitteln der materiellen Gewalt. Hier scheinen die Führungen der Parteien und sonstigen Organisationen der katalanischen Gesellschaft doch recht ratlos zu wirken und keinen eigenständigen Weg aus der Krise aufzeigen zu können, außer an Einsicht und Wohlwollen Madrids zu appellieren.

Da klingt es mehr nach Unterwerfung als nach kraftvoll-selbstbewusstem Auftreten, wenn Puigdemont mit Rajoy über das „Problem“ reden will, „dass die Mehrheit des katalanischen Volkes den Weg als unabhängiges Land beschreiten wolle“ (LW vom 17.10.17: Der nächste Schritt ins Ungewisse). Auch die katalanische Partei CUP, die als die treibende Kraft in der Unabhängigkeitsbewegung angesehen wird, bietet wenig Handlungsmöglichkeiten an. Sie zeigt sich als Sammelbecken links-liberaler Kräfte, die für jeden etwas anzubieten hat. Sie bezeichnet sich als „basisdemokratische politische Organisation nationaler Prägung, die auf dem gesamten Territorium der katalanischen Länder aktiv ist und für einen von Spanien unabhängigen, sozialistischen, ökologisch nachhaltigen, territorial ausgeglichenen und von jeder Art patriarchalischer Dominanz freien Staat“ (FAZ vom 14.10.17: der Traum der katalanischen Revolutionäre) eintritt.

Das erinnert mehr an eine Resolution eines Studentenverbandes als an ein Konzept zur Umsetzung einer gesellschaftlichen Forderung. Das hört sich idealistisch und intellektuell an, nicht aus der Lebenssituation der gesellschaftlichen Mehrheit erwachsen, also bodenständig. Diese Unabhängigkeitsbewegung scheint sich mehr an Idealen und Werten zu orientieren als an grundlegenden Bedürfnissen der Gesellschaft. Da helfen auch keine wortradikalen Hinweise auf Sozialismus und soziale Forderungen, die man als eindeutig sozialistisch anzusehen scheint wie Mindesteinkommen, kostenlose Versorgung mit Wohnungen, Strom und Wasser oder die Verstaatlichung der Banken (siehe dazu Rüdiger Rauls: Zukunft Sozialismus oder die Grenzen des Kapitalismus).

Entsprechend hilflos scheint man dann auch zu sein, wenn es darum geht, wie die Unabhängigkeit erlangt werden soll. Sie scheint auch im Weltbild der CUP nicht Ergebnis eigener Kraft zu sein sondern vielmehr der Anerkennung und Unterstützung durch andere. Man hofft auf internationale Vermittler, die aber nach Ansicht der CUP erst eingreifen, „wenn sie uns als politisches Subjekt anerkennen“ (ebenda). Aber einen gangbaren Weg hin zu nationaler Eigenständigkeit als Ausdruck und Ergebnis eigener Kraft bietet das nicht. Im Moment bietet sich auch keine gesellschaftliche Kraft an, die diese Aufgabe übernehmen könnte und ihr gewachsen zu sein scheint in dem Sinne, dass der Kampf um Kataloniens Eigenständigkeit mit einem Sieg endet.

 Mit der Genehmigung der Weiterverbreitung des Artikels an andere Interessierte unter Angabe der Quelle.

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Grafikquelle.:

Oben   —   

Die Costa Brava (wilde Küste) zwischen Tossa de Mar und Sant Feliu de Guíxols (Katalonien/Spanien)

  • Datum: 20.09.2012
  • Urheber: M. Pfeiffer alias Benutzer:Gordito1869
  • Quelle: privates Fotoarchiv des Urhebers
Date
Source Own work
Author Gordito1869

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2. von Oben —    Demonstration von Referendums­befürwortern vor dem katalanischen Wirtschafts­ministerium am 20. September 2017

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