Die neue Thalheim
Erstellt von Gast-Autor am Freitag 7. November 2014
Nägel ins Fleisch des Landes singen
Autor: U. Gellermann
Datum: 06. November 2014
Da gibt es demnächst eine neue Barbara Thalheim, härter, metallisch zuweilen, nach- und ausdrücklicher. Bald schon kann man die Sängerin sehen & hören: Im Kino Babylon Berlin Mitte. Eine neue Thalheim? Ja, wird die denn nicht auch älter? Wer sie hört, denkt das Alterungsgesetz der Natur sei aufgehoben. So pointiert klingt es aus dem Lautsprecher, so kräftig, so tatkräftig. Klar, es gibt auch romantische Passagen auf dem, was demnächst als DVD erscheint. Sonst wäre die Sängerin ja völlig ausgewechselt. Aber da sind jetzt Lieder, die hauen regelrecht die gesellschaftlichen Nägel in das Fleisch des Landes. Eine musikalische Akupunktur zur politischen Gesundung wird gesungen, rhythmisiert und gerufen.
Ganz, ganz vorne an, unter den Nagel-Stücken, gibt es ein Lied zur Freiheit. Es werden Fragen gestellt, die wird der Gauck nicht beantworten können und wollen: „Freiheit für wen – wofür – wovon?“ Im Verlauf des Textes (von Regina Scheer) wird von den Zwillingsschwestern Freiheit und Gerechtigkeit erzählt. Ja, wo kämen wir denn hin, wenn beides eingefordert werden würde? Vielleicht zu der im Text behaupteten Erkenntnis, dass jene, die ständig von Freiheit schwätzen, nur die eigene meinen.
Und dann kommt diese Ballade zum Arbeits-„Los“. Über das eingeredete Selbst-Schuld-Sein, das dem Bewusstsein vieler Arbeitsloser Bestimmung ist. Jetzt wird die Gitarre von Rüdiger Krause hie und da so dissonant wie die uns umgebende Wirklichkeit. Und die Thalheim gerät in einen Ton, den man zuletzt von Janis Joplin gehört hat: Wütend, böse, hart. – Zu hören ist auch das vertonte Gedicht von Peter Rühmkorf über das Schreien, das keiner hört, weil den Schreienden die Schnauze zugebunden wurde. Man ahnt im Lied was von Solidarität und davon, dass sie ein seltenes Gut geworden ist.
Spätestens seit die Thalheim vor Jahren fast 100 Akkordeonisten um sich versammelt hatte, um der Welt mal was Neues zu Gehör zu bringen, weiß man, dass sie verrückt ist. Deshalb muss es keinen wundern, dass sie ihre neue DVD auf eine große Leinwand bringen will. Sie hat eine ganze Reihe spannender Filmemacher gefunden – unter ihnen Thomas Grimm, Angelika Kettelhack und Joachim Tschirner – die der Thalheim-Musik ihre Filmbilder hinzufügen werden. Da Berlin und reibungslose Großprojektionen sich eigentlich ausschließen, ist auch dieses Wagnis in das Fach produktive Verrücktheit einzuordnen. Das lässt die Sängerin völlig kalt. Ihre nicht ganz so neue Sorge: „Es kommt keiner!“ Also, die kann man ihr nehmen. Man muss einfach nur zur Premiere gehen: Am 22. 11. 2014, 20.00 Uhr im Kino Babylon.
Grafikquelle : Eingang während der Berlinale 2008