Die Neue im Kiez
Erstellt von DL-Redaktion am Mittwoch 10. Januar 2018
Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin
Autor Sascha Lübbe
Seyran Ateş hat eine liberale Moschee gegründet – und dafür Lob, Kritik und Morddrohungen erhalten. Wie hat sich die Gemeinde entwickelt?
Wenn Menschen von ihrer religiösen Erweckung berichten, dem Moment, in dem sie zum Glauben fanden, tragen diese Erzählungen oft mystische Züge. Bei Christian Hermann klingt das so: Als er im Juli zum ersten Mal diese Moschee betrat, sich die Schuhe auszog, die Füße auf den weichen, weißen Teppich setzte, sah er eine Lichtbrechung, ganz klein, hervorgerufen durch einen schrägen Winkel in der Wand, genau da, wo Mekka ist. In dem Moment, sagt er, fühlte er sich am Ziel, zu Hause. Ihm wurde klar: „Ich werde Muslim.“
Er hatte in den Medien von dieser Moschee erfahren, die allen offen steht, in der Frauen neben Männern beten und sogar predigen dürfen. Eine Moschee, die auch Menschen wie ihn willkommen heißt: Als Homosexueller habe er sich vom Islam vorher nie eingeladen gefühlt, sagt Hermann.
Dann ging alles recht schnell: Im August sprach er die Schahāda, das Glaubensbekenntnis der Muslime. Aus Hermann, 47, gelernter Industriekaufmann und ehemaliger Projektmanager, ein großer, kräftiger Mann mit Bart und fränkisch rollendem R, der mit 19 aus der evangelischen Kirche ausgetreten war und seitdem „frei mit Gott“ lebte, wurde Awhan.
Kurz darauf begann er, Videos zu drehen und ins Netz zu stellen, in denen er über sich und seine neue Religion spricht. Angst, dafür verspottet zu werden, habe er nicht, sagt er. Er ist sich seiner Lage bewusst: „Viele Muslime nehmen das Projekt eh nicht ernst.“ Für die seien sie keine Muslime, die Moschee sei keine Moschee. Eine Ansicht, der er natürlich widerspricht.
Über 80 Moscheen gibt es in Berlin, sieben allein im Ortsteil Moabit. Meist sind es unauffällige Bauten: ehemalige Fabrikgebäude, leere Garagen, ehemalige Büros. Schlagzeilen machen sie nur, wenn es um Islamismus geht, wie bei der Al-Nur-Moschee in Neukölln, die lange als Treffpunkt radikaler Salafisten galt, oder der Fussilet-Moschee in Moabit, dem „Terrornest“, in dem auch Anis Amri verkehrte.
Den Islam von der Politik trennen
Die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, in die Christian Hermann geht, machte auch Schlagzeilen, aber andere. Als die Anwältin Seyran Ateş, bekannt für ihr Engagement für Frauenrechte, mit ihrem Plan an die Öffentlichkeit trat, in den Räumen einer evangelischen Kirche eine liberale Moschee zu eröffnen, kamen Reporter aus ganz Europa, Nahost und den USA. Cem Özdemir war da, Renate Künast, Berlins Bürgermeister Michael Müller.
Seyran Ateş fragt: Wie kann man dafür sorgen, dass der Islam nicht immer mit Terror in Verbindung gebracht wird? Sie will mit ihrer liberalen Moschee eine Antwort darauf geben. Der Islam soll reformiert, von der Politik getrennt werden. Suren sollen nicht umgeschrieben, wie einige Kritiker befürchteten, sondern der Koran in seinem historischen Kontext verstanden werden.
Dafür tourte Ateş durch Talkshows, gab Interviews, hielt Reden. Viele nichtmuslimische Politiker, Journalisten und Islamwissenschaftler liebten sie dafür, lobten ihr Engagement. Viele Muslime hingegen kritisierten sie. Einige, weil ihnen Ateşs Reformanspruch zu weit ging, andere, weil sie ihre Art als zu provokant, ihre Kritik an den Islam-Verbänden als zu laut empfanden.
Über ein halbes Jahr ist seit der Eröffnung vergangen, das mediale Interesse ist abgeebbt. Was ist seitdem geschehen? Wird die neue Moschee überhaupt besucht und wenn ja, von wem? Und wie finden die anderen Moschee-Gemeinden im Kiez das, was dort ausprobiert wird?
Im Schatten von Seyran Ateşs Prominenz hat sich inzwischen eine Gemeinde gesammelt, die sich deutlich von den meisten anderen unterscheidet. Sie sind die Neuen im Viertel: Männer und Frauen, jung und alt, deutsche Konvertiten wie Christian Hermann, aber auch Araber, die schon lange in Deutschland leben und mit dem konservativen Islam hadern.
Wer die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee regelmäßig besucht, bemerkt eine gewisse Unbeständigkeit. Neugierige Gesichter, die auftauchen und wieder verschwinden – einige nach ein paar Minuten, andere, nachdem sie mehrmals zu Besuch waren, sich teils sogar in der Gemeinde engagiert haben.
Die Mitgliederzahl bleibt konstant, die Gesichter nicht
Zeitweise bröckelte sogar das Gründer-Team. Einen Tag nach der Eröffnung verließ der Neurologe Mimoun Azizi die Moschee: Auf Facebook gerierte er sich als Spion, der die Bewegung nur unterwandert habe. Ateşs Projekt gehe eindeutig zu weit, sagte er am Telefon, der Reformanspruch sei nicht mit dem Islam vereinbar. Im Herbst verließ ein weiteres Gründungsmitglied, der Arzt Akram Nasaan, das Team, weil er fand, die Moschee sei nicht liberal genug. Kritik kam auch aus dem Ausland: Die türkische Religionsbehörde Diyanet rückte die Moschee in die Nähe der Gülen-Bewegung, um sie zu diskreditieren. Das ägyptische Fatwa-Amt erklärte sie für unislamisch.
Seyran Ateş wurde mit dem Tod bedroht und darf seitdem nur mit verstärktem Polizeischutz aus dem Haus. Währenddessen kamen neue Gemeindemitglieder, alte gingen. Nur die Anzahl blieb annähernd konstant, nicht die Gesichter.
Die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, am 6. Oktober 2017. Es ist Freitag, vor zwei Tagen hat der Wirbelsturm Xavier Bäume entwurzelt und Bahnverbindungen gekappt. Etwa dreißig Leute sind gekommen, viele davon Journalisten. Sie warten auf Abdel-Hakim Ourghi, einen Mitgründer der Moschee, der hier sein neues Buch präsentieren will, und auf Ludovic-Mohamed Zahed, einen schwulen Imam aus Frankreich. Die beiden kommen nicht, sie stecken irgendwo fest – Xavier ist schuld.
Stattdessen tritt Christian Hermann vor die Gemeinde, in den Händen ein Stück Papier, seine Predigt. Das Thema: die Unvorhersehbarkeit des Lebens, passend zum Sturm.
„Wie sollen wir damit umgehen, dass wir Pläne machen, es dann aber doch anders kommt?“, fragt er. „Gott weiß ja längst, was geschieht. Steht das nicht in Konflikt zum freien Willen des Menschen?“ Hermann, weißer Gebetskittel, graue Mütze, liest mit ruhiger Stimme. Immer wieder schaut er kurz von seinen Notizen auf, blickt ins Publikum. „Man muss akzeptieren, dass man nicht alles erklären kann“, sagt er. „Dann hat dieser Gedanke auch etwas Tröstliches: Zu wissen, es gibt da eine Kraft, auf die man sich stützen kann.“
Wird die Gemeinde wachsen?
Etwa zwanzig Minuten dauert Hermanns Predigt, danach beginnt das Mittagsgebet. Erst jetzt zeigt sich, wer Besucher und wer Gemeindemitglied ist. Die Mitglieder versammeln sich in der Mitte des Raums, knien nieder. Sie sind an diesem Tag, wie so häufig, in der Unterzahl, zu zehnt.
Hermann stört das nicht. 24 Ehrenamtliche würden sich derzeit in der Moschee engagieren, sagt er, hinzu kämen Besucher, die regelmäßig vorbeischauen. Er geht davon aus, die Gemeinde wird wachsen.
Andere Gemeindemitglieder sehen das weniger entspannt. An einem Freitag im Dezember sitzt Mohamed El-Asra auf dem weißen Teppich. Er hat gerade das Gebet gesprochen und bleibt noch, um sich mit den anderen auszutauschen.
El-Asra ist von Anfang an dabei. Ein zurückhaltender, höflicher Mann. 54 Jahre alt, Architekt, in Ägypten geboren, seit 30 Jahren in Deutschland. Sein Nachname ist geändert, er möchte lieber anonym bleiben. „Ich habe mich in den konservativen Moscheen nie wohl gefühlt“, sagt er, zu politisch seien die Predigten, zu oft gegen das Leben in Deutschland gerichtet. Zwei Jahre sei er deshalb in keiner Moschee mehr gewesen. Dann erfuhr er von Seyran Ateşs Projekt.
„Wir werden nicht mehr, vor allem Junge fehlen und das beunruhigt mich“, sagt El-Asra. „Ich habe Angst, dass die Idee von einem deutschen Islam dann stirbt.“ Ein deutscher Islam, das bedeutet für ihn: den Wurzeln verbunden und doch der Gesellschaft zugewandt.
Skepsis, Ablehnung, Druck
Die Berichte im Fernsehen und in den Zeitungen, sie hätten der Moschee schon gutgetan, sagt Mohamed El-Asra und überlegt einen Moment. „Die meisten Muslime aber erreicht man damit nicht. Man müsste in die Moscheen gehen und die Leute direkt ansprechen.“ Und wohl auch für die Idee kämpfen. So wie Seyran Ateş es bei ihren öffentlichen Auftritten tut. Er selbst sei aber kein Kämpfer, sagt El-Asra.
Neben ihm steht ein junger Mann und hört aufmerksam zu. Er hat schwarzes, krauses Haar und Bartflaum. „Einige Muslime sind einfach noch nicht so weit“, sagt er, „und andere – das ist die Mehrheit – haben einfach Angst.“ Er klingt wie seine Tante, wenn er das sagt. Der junge Mann, Tugay Tunc, 20, ist der Neffe von Seyran Ateş.
Es gibt ein Video von der Moschee-Eröffnung, da umarmt er seine Tante. Ehemalige Mitschüler haben es auf YouTube gesehen. Einige, sagt Tunc – sein Name ist zu seinem Schutz auch geändert –, hätten ihn daraufhin gemieden. „Für die war ich ein Verräter.“ Es habe in seiner Klasse Schüler gegeben, Mädchen vor allem, die wären gern in die Moschee gekommen, trauten sich aber nicht. Die Skepsis, die Ablehnung, der Druck – sie müssen groß sein in der Community.
Keine 800 Meter von der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee entfernt, in einem unscheinbaren Wohnblock in der Rathenower Straße, liegt das Haus der Weisheit, Darul Hikma heißt es auf Arabisch. Eine Glastür führt in einen schmalen Flur, von dort geht es links in einen großen Raum mit niedriger Decke. Durchquert man ihn, gelangt man in den nächsten Raum. Das Gebäude wirkt wie eine riesige Wohnung, in der man alle Türen aus den Angeln gehoben hat. Und in der es an diesem Freitag von Menschen wimmelt.
Es ist halb eins, Zeit fürs Mittagsgebet. Männer sitzen, Schulter an Schulter, auf dem roten, goldverzierten Teppich. Die meisten sind über 30, einige tragen Mäntel, andere Sakko oder Blaumann, sie haben gerade Mittagspause. Lange Bärte und traditionelle Gewänder sind die Ausnahme, Frauen sieht man keine.
Heikle Auseinandersetzung
Das arabische Gemurmel verstummt erst, als der Imam, ein älterer Mann mit grauem Bart und weißer Kappe, den Raum betritt. Er geht die schmale, etwa anderthalb Meter hohe Kanzel hinauf, in der Hand ein paar Blätter dicht beschriebenen Papiers. Etwa dreißig Minuten dauert seine Predigt, er hält sie auf Arabisch. Der Imam legt ruhig los, wird dann schneller, lauter, beginnt wild zu gestikulieren. Seine Stimme bricht fast, so aufgewühlt wirkt er in einem Moment. Die Augen der Männer sind die ganze Zeit auf ihn gerichtet.
Es ist neben den fehlenden Frauen der wohl deutlichste Unterschied zwischen der Ibn-Rushd-Goethe-Gemeinde und der im Haus der Weisheit: Hier darf nicht jeder predigen, es gibt eine klare Hierarchie – der Imam predigt, die Gemeinde horcht.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquelle :
Oben — Seyran Ateş, 2012
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