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Die Muslime Tansanias

Erstellt von DL-Redaktion am Dienstag 28. Dezember 2010

Die Muslime von Tansania

von Charlotte Wiedemann

Es ist halbdunkel im Arbeitszimmer von Ally Bassaleh. Zwischen Stapeln vergilbter Zeitungen sitzt der Scheich auf dem Boden, im Schneidersitz vor einem niedrigen Schemel, auf dem er in zügiger Schrift eine Radioansprache entwirft. Es liegt etwas Asiatisches über der Szene, Bassaleh trägt zum Achselhemd einen karierten Sarong. Der Indische Ozean ist kaum einen Kilometer entfernt, hier im Marktviertel von Daressalam mischen sich von jeher Einflüsse und Kulturen. Bassaleh, ein landesweit bekannter Prediger, lebt volksnah: ein geducktes, einstöckiges Häuschen, die Tür offen zur Straße, staubgesättigt fällt Licht herein, draußen die rostigen Handkarren der Händler. Der Scheich ist 63, er bebt vor Energie, ein kleiner, kerniger Kämpfer mit leuchtendem Blick. Wie andere tansanische Protagonisten der muslimischen Sache hat er etwas entschieden Diesseitiges, ähnelt eher einem aufgebrachten Gewerkschafter als einem samthändigen Religiösen.

Bassaleh predigt nicht nur im Radio und nebenan in seiner kleinen Moschee, sondern öffentlich, auf der Straße. Eine tansanische Spezialität, mihadhara genannt. Eine Art Kampfpredigt, für die eine polizeiliche Genehmigung erforderlich ist. Die Pfingstkirchen hatten damit begonnen; die Muslime zogen nach. Öffentlich predigen, das ist riskant in einem Land, in dem Christen und Muslime Tür an Tür leben – und jede Seite sich gern als Mehrheit fühlt. Der Staat hat seit langem darauf verzichtet, die jeweiligen Schäflein zu zählen. Im Zensus von 1967 hatten Christen 32 Prozent, Muslime 30, afrikanische Religionen 37. Muslime zitieren lieber den letzten kolonialen Zensus von 1957, der sie bei über 50 Prozent ansiedelte. Wenn man in Daressalam die Religionszugehörigkeit seines Gegenübers erfahren möchte, muss man ihm nur die Frage stellen: Wer ist die Mehrheit in dieser Stadt?

Scheich Bassaleh streicht sich über Knie und Schultern; manchmal muss er sich Spritzen setzen, damit seine Glieder nicht steif werden; das kommt von der Prügel, sagt er, die er sich geholt hat, als es darum ging, ob Jesus Gottes Sohn ist. Ein typischer, bizarrer Konflikt: Ein Prediger in der Stadt Morogoro hatte damals öffentlich ausgerufen „Jesus ist nicht Gottes Sohn!“. Nichts Besonderes eigentlich, für Muslime ist Jesus bekanntlich nur ein Prophet. Doch die Behörden im christlich dominierten Morogoro drehten durch, der Prediger wurde verhaftet, bekam 18 Monate Gefängnis. „Unglaublich in einem Land mit Religionsfreiheit!“, ruft Bassaleh. In Daressalam ging er auf die Barrikaden, führte eine Demonstration gegen das Urteil an, wurde von der Polizei verprügelt und landete selbst im Gefängnis, wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. Danach brüllten seine Kollegen im ganzen Land den Jesus-Satz.

Am Ende dieser Affäre stand ein kluges Urteil des obersten tansanischen Berufungsgerichts. Der Mann in Morogoro sei freizusprechen, denn er habe nur seinen Glauben ausgedrückt. Das könne unangenehm sein für Andersgläubige, müsse aber ausgehalten werden. „Damit waren wir sehr zufrieden“, sagt Bassaleh. Aber die Jesus-Affäre hatte lange genug gedauert, um sich ins Bewusstsein vieler Muslime einzubrennen. So wie zuvor die Morde im Stadtteil Mwembechai: Polizisten töteten vier Muslime außerhalb einer Moschee, nachdem ein christlicher Prediger behauptet hatte, in dieser Moschee sei Jesus beleidigt worden. Solche Vorfälle werden wachgehalten in der Erinnerung, sie werden zu wichtigen historischen Ereignissen stilisiert, wie die mythischen Erzählungen eines unterdrückten Volkes.

Denn die alltägliche und entscheidendere Bedrückung der Muslime ist weniger plakativ: Sie sind in der höheren Bildung und im Staatsdienst stark unterrepräsentiert. Nie stellten sie mehr als ein Fünftel der Studenten, oft weniger. Wie in der britischen Kolonialzeit dominieren Christen, vor allem Katholiken, im Bildungswesen. Weil es an Oberschulen mangelt, entscheiden nicht allein die Noten darüber, wer nach der Grundschule weiter lernen darf. Es wird ausgewählt – ein Nadelöhr. „Dieser Staat ist nur scheinbar neutral“, schimpft Bassaleh. „Er ist christlich, und er diskriminiert uns. Wir kämpfen für Gerechtigkeit, für gleiche Repräsentanz im Staat.“

Tansania hat 40 Millionen Einwohner; es ist das Land, in dem die Mehrzahl der ostafrikanischen Muslime lebt – und vor dem Hintergrund ihrer Geschichte ist ihr Statusverlust tatsächlich dramatisch. Kisuaheli, die Sprache Tansanias, war die Sprache der Muslime an der Küste; die Suaheli waren über Jahrhunderte eine gebildete, weltoffene Händlergesellschaft, sie hatten eine Literatur in arabischer Schrift, lange bevor die Afrikaner im Landesinnern ans Schreiben dachten. Die deutschen Kolonialherren nahmen deshalb Suahelis als Verwaltungsgehilfen mit ins Landesinnere und machten Kisuaheli zur Amtssprache der gesamten Kolonie Tanganjika. Muslimsein hatte damals einen Nimbus der Überlegenheit.

Als Tanganjika nach dem Ersten Weltkrieg an die Briten fiel, bekamen die Missionare freie Hand; sie züchteten nun eine neue, meist katholische Bildungselite heran. Bei den Muslimen mischte sich später die Wut auf koloniale Unterdrückung mit dem Grimm über die wachsende Christianisierung; die ersten Aufstände gegen die Briten begannen in muslimischen Stadtvierteln, später standen Muslime in der Unabhängigkeitsbewegung an vorderster Front. Doch nach der Unabhängigkeit 1961 bevorzugte der erste Präsident, Julius Nyerere, ein frommer Katholik, für die Verwaltung die gebildeten Christen.

Kisuaheli hält heute eine Nation von enormer ethnischer Vielfalt zusammen: Niedergerissen sind die Sprachbarrieren zwischen 130 Volksgruppen, alle Grundschüler sprechen dieselbe Sprache. Jedes vierte Wort dieser Sprache hat arabische Wurzeln, und doch scheint aus dem nationalen Gedächtnis wie ausradiert, dass Kisuaheli ein Erbe muslimischer Kultur ist. „Muslime lesen nicht gern“, sagt ein christlicher Journalist. „Sie haben immer lieber Moscheen als Schulen gebaut. Aber darüber kann man öffentlich nicht reden. Muslime sind so schnell beleidigt, sie würden uns umbringen.“

In den Siebziger Jahren kam ein pakistanischer Lehrer nach Tansania, der das Selbstbild der Muslime radikal verändern sollte. Sheikh Muhammad Hussain Malik war von der Regierung als Mathematiklehrer geholt worden; mehr als ein Jahrzehnt später wurde er des Landes verwiesen, doch da war seine Saat unter den Muslimen längst aufgegangen: Empörung und Selbstbewusstsein. Malik war hochgebildet, hatte in Vergleichender Religionswissenschaft promoviert, kannte Marx und Mao und die Debatten der Linken. Seine Wirkung war so ungeheuer, weil er auf ein Vakuum traf: Die Sheikhs, die in Tansania das islamische Wissen weitergaben, waren allenfalls zur Grundschule gegangen, lehrten religiöse Riten ohne Bezug zur Gegenwart, ohne Kenntnis vom Weltgeschehen. An der Universität von Daressalam scharten sich um Malik wissbegierige junge Männer und Frauen; im Laufe eines Jahrzehnts wuchsen sie zu einer neuen Generation muslimischer Intellektueller heran. Es war die Zeit des weltweiten islamischen Erwachens, die Revolution im Iran strahlte bis nach Afrika aus.

Mohammed Said gehörte zu dieser Gruppe der neuen Selbstbewussten, er wurde als Autor ein Motor der Bewegung. Said, jetzt 58, ist ein eloquenter, ungestümer Mann; er arbeitet bei der Hafenbehörde, im Marketing – ein Feind der Regierung im Sold der Regierung, auch das ist Tansania. Sein Großvater, erzählt Said, war ein Protagonist der frühen Unabhängigkeitsbewegung, „aber er wurde nirgendwo erwähnt“. So begann Said selbst zu schreiben, Bücher, Curricula, Pamphlete, gegen „die Verschwörung des Schweigens“, „gegen den Ausschluss der Muslime“ aus Tansanias Zeitgeschichte, „Es gibt zwei Geschichtsschreibungen; die offizielle, das ist die christliche, und unsere.“

Said brach als Erster ein Tabu: Er griff Julius Nyerere an, den Vater der Nation, den alle immer noch Mwalimu nennen, „großer Lehrer“. Er starb 1999; überall im Land hängt millionenfach noch immer sein Bild. „Niemals zuvor hatte jemand gewagt, Nyerere anzuklagen“, ruft Said donnernd und zeigt mit ausgestrecktem Zeigefinger so drohend in eine Ecke, als stünde dort der Mwalimu. „In seinen 23 Amtsjahren gab es keinen einzigen muslimischen Bildungsminister. Hat man je gefragt, warum?! Wir, die Muslime, wir haben Nyerere groß gemacht“, fährt Said fort. „Er machte damals eine gute Figur, er hatte einen Abschluss aus Edinburgh, so jemanden hatten die Muslime nicht. Sie merkten zu spät, dass sie betrogen wurden.“

Aber warum haben sich die Muslime damals ihrer Ausgrenzung nicht widersetzt? Mohammed Said antwortet mit einer Gegenfrage: „Wie hätten sich die Juden gegen Hitler wehren können?“ Ein grotesker Vergleich; bemerkenswert daran ist eine psychologische Komponente: Es geht ja um die Väter und Großväter der heutigen Kritiker; zur eigenen Entlastung werden sie zu hilflosen Opfern einer übermächtigen Diktatur stilisiert. Die Auseinandersetzung mit Nyerere, die derzeit alle islamischen Medien beschäftigt, ist auch eine Abrechnung mit der Anpassungsbereitschaft der beiden letzten muslimischen Generationen, mit ihrem unpolitischen Islam, der sich oft als Treue zur Qadiriyya zeigte, einer großen afrikanischen Sufi-Bruderschaft.

Generationskonflikte zwischen den jüngeren Gebildeten und den Altvorderen kennen auch die Muslime anderer afrikanischer Länder. Tansania hat jedoch seine spezielle Prägung, durch Nyereres Sozialismus und die Orientierung auf unverbrüchliche nationale Einheit. „Nyerere ist es gelungen, den Menschen eine extreme Loyalität zur Partei und zu sich selbst einzupflanzen“, sagt ein älterer Muslim. „Es war wie ein konfessionelles Bekenntnis. Kritik war Abweichung und Verrat. Niemand wollte illoyal erscheinen.“ Bricht heute auf, was Nyerere zusammenschweißte?

Die frühere Einheitspartei Chama Cha Mapinduzi (Partei der Revolution) wurde im November, bei der jüngsten Präsidenten- und Parlamentswahl, erstmals ernsthaft erschüttert: Ihr Anteil sank auf gut 60 Prozent – für eine ehemalige Staatspartei Afrikas ist das die gefühlte Nähe zum Abgrund. Die CCM gilt weithin als korrupt, ihre muslimischen nichts anders als ihre christlichen Funktionäre. Doch die Muslime, die es auf hohe Posten geschafft haben, gelten bei zornigen Glaubensgenossen als doppelt verkommen: Als Opportunisten in einem „christlichen System“ hätten sie für materielle Vorteile Glaube und Würde verraten.

Quelle : Le Monde diplomatique >>>>> weiterlesen

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Ein Kommentar zu “Die Muslime Tansanias”

  1. Jürgen Zimmer sagt:

    Assante Sana (vielen Dank) für den Informationsbericht von Charlotte Wiedemann. Aber Sie irrt in der Aussage mihadhara wäre eine anzumeldende Kampfpredigt. Mihadra ist ein muslimischer Dankgottesdienst der in Dar es Salam sowie in Malawi sehr oft auch von Christen besucht wird. Auf Sansibar (eine Insel die zu Tansania zählt) gibt es jeden Morgen eine Mihadra Predigt.

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