DEMOKRATISCH – LINKS

                      KRITISCHE INTERNET-ZEITUNG

RENTENANGST

Integration – Die Mittlerin

Erstellt von DL-Redaktion am Dienstag 29. August 2017

„Ich bin gerne Lehrerin“,
sagt Marta Huhnholt mit Überzeugung.

File:Bremer Stadtmusikanten.jpg

Sie unterrichtet unbegleitete jugendliche Flüchtlinge in Bremen

Autorin.  Gabriele Goettle

Marta Huhnholt, Lehrerin. Geboren und aufgewachsen in Ostróda (Osterode), Polen. Nach dem Abitur an einem altsprachlichen Gymnasium (1994) studierte sie an der Nikolaus–Kopernikus-Universität zu Toruń (Thorn). Abbruch des Studiums und Aufenthalt in Deutschland (Bremen- Schwachhausen) als Au Pair für ein Jahr, mit der Absicht, danach in Bremen ein Studium aufzunehmen und in Deutschland zu bleiben. Sie lernt Deutsch, es folgt die Anerkennung ihres Abiturs in Deutschland. Sie absolviert die Aufnahmeprüfung an der Universität Bremen (Nachweis der deutschen Sprachkenntnisse), erhält einen Studienplatz. Herbst 1995: Aufnahme des Studiums, Spanisch und Deutsch als Fremdsprache (auf Lehramt). Im zweiten Studienjahr Wechsel zu Romanischer Philologie. Romanistik als Hauptfach, Kunst und Geschichte als Nebenfächer. 2001 geht sie als Austauschstudentin für sechs Monate nach Palermo. Neben dem Studium unterrichtete sie als Dozentin Italienisch an der Volkshochschule in Rotenburg/Wümme. 2002 erstes Kind. 2003 Abschluss des Studiums. Arbeitserlaubnis. In Folge des neuen Zuwanderergesetzes 2004 gab es einen Bedarf an Deutschlehrern, Anfang 2005 unterrichtet sie an der Volkshochschule auch Deutsch (Integrationskurs). Gründet mit einer Gruppe von Eltern eine freie Schule in Verden (ist im Vorstand). Sie beschließt, Lehrerin zu werden. 2009 beginnt sie ein Lehramtsstudium und absolviert es zügig. 2013 Geburt des zweiten Kindes, 2014 Kolloquium, Bachelor und Master. Von 2015 an Referendariat in Bremen. Geburt des dritten Kindes im Jahr 2016. Danach übernimmt sie an der Wilhelm Olbers-Schule in Bremen die Neugründung eines Projektes zur zweijährigen Vorbereitung von jungen Flüchtlingen (mit entsprechender Vorbildung) auf die Oberstufe. Marta Huhnholt ist 1975 geboren, ihr Vater war Automechaniker, die Mutter war eine höhere Verwaltungsangestellte beim städtischen Elektrizitätswerk. Huhnholt lebt auf dem Land, sie ist in zweiter Ehe verheiratet und hat drei Kinder.

Während eines Berlinbesuches mit ihrer Klasse treffen wir Marta Huhnolt zum Gespräch. Sie erzählt von der „medienpolitischen Reise durch das literarische Berlin“, die sie derzeit mit ihren Schülern macht. Und sie erzählt vom Aufbau und von den Fortschritten ihrer pädagogischen Arbeit mit diesen Schülern – jungen Flüchtlingen – , die sie in an der Bremer Wilhelm-Olbers-Schule unterrichtet

„Ich habe mit vier Schülern angefangen und musste ein Curriculum schreiben, das hatten wir ja logischerweise nicht. Und dann kamen nach und nach die übrigen Schüler. Die senatorische Behörde hat den Vorklassen 25 Unterrichtsstunden zugesagt und über die verfügen wir. Und das ist kein päpstliches, sondern ein reelles ‚wir‘. Die Schule gibt zwar keine Lehrer für zusätzliche Stunden frei, erlaubt und befürwortet aber Doppelbesetzung, wenn möglich. Für Deutsch ist es auf jeden Fall notwendig, weil die sprachlichen Voraussetzungen der Schüler doch sehr heterogen sind. Alle Deutschstunden haben wir doppelt besetzt. Hervorragend! Es wird in zwei Gruppen gearbeitet. Aber es gibt ganz viele Schnittstellen und gemeinsame Projekte. Wir sind ein gutes Team. Helfen uns auch gegenseitig, zum Beispiel, wenn die junge Kollegin mal Unterstützung braucht bei Grammatik, denn Grammatik ist mein Spezialgebiet, ich kann sie so verkaufen, als wäre sie das Schönste der Welt.

Meine Kollegin beginnt gerade ein Referendariat. Sie hat die schwächere Gruppe. Sie macht das wunderbar, die Schüler vertrauen ihr. Ich habe die stärkere Gruppe, die ich explizit auf die Oberstufe vorbereite. Anfangs hat die senatorische Behörde uns die Schüler zugewiesen, inzwischen kommen die Schüler zu uns, hospitieren – und wir entscheiden, ob wir sie nehmen oder auch nicht. Im Zweifelsfalle nehmen wir sie. Aber eine Garantie hat man natürlich nie.

Ich habe schnell gemerkt, dass viele Schüler schüchtern sind, sich isoliert fühlen, und mir wurde klar, wir müssen raus, gemeinsame Aktivitäten entfalten, damit wir lernen, uns als Gruppe zu definieren. Wir haben Ausflugstage organisiert, Beachvolleyball gespielt, wir haben Songtexte für Rap- und HipHop-Stücke geschrieben, es wurde getanzt, es gab öffentliche Auftritte, sodass sie aufatmen konnten und lachen. Sie müssen sich erst mal einigermaßen ‚normal‘ fühlen, sonst können sie nicht lernen. Sie sind ja traumatisiert; manche mehr, manche weniger. Es gab ein Kunstprojekt, ein Container wurde bemalt und mit Graffiti besprüht, die Projekte fielen nur so vom Himmel. Und dann ging es weiter mit ‚Jugend im Parlament‘.

Einer unserer Schüler, Ahmad aus Afghanistan, hat sogar die Bremische Rüstungsindustrie bei dem Projekt ‚Jugend im Parlament‘ thematisiert. Schon davor hatte er sich mit dem Thema befasst, mit Leuten darüber gesprochen, er war sehr irritiert. Dann nutzte er das Forum ‚Jugend im Parlament‘, um seine Kritik an der Rüstungsindustrie und der Waffenpolitik Bremens vorzutragen. Unterstützt von Oberstufenschülern hielt Ahmad in deutscher Sprache eine kritische Rede in der Bremischen Bürgerschaft. Das hat mich als seine Lehrerin sehr stolz gemacht. Es gab darüber auch einen Bericht bei Radio Bremen.“ (Seine Rede ist unter dem folgenden Link zu finden: vimeo.com/184650054. Jugend im Parlament, Aktuelle Stunde „Waffenproduktion in Bremen und Waffentransporte über Bremische Häfen“, 27. 9. 2016, ab ca. Min. 5, Anm. G.G.)

Sie muss auch mal den Chef raushängen lassen

 

Auf die Frage, ob es denn keine Autoritätsprobleme gibt und wie die Einstellung der Jungs zu Frauen ist, sagt sie: „Mhm … unterschiedlich, eigentlich begegnet man mir mit Toleranz. Aber für manchen war das anfangs nicht so einfach – wir sprechen jetzt immer nur über den Anfang, später ändert sich das Verhalten. Ich bin ja blond, mache einen naiven Eindruck, da haben manche am Anfang schon so einen herrischen Ton gehabt. Den kannte ich schon von der Volkshochschule, wo ich es mit arabischen und kurdischen Männern zu tun hatte, also ausgewachsenen Männern. Das Verhalten ist ähnlich, sie schauen mich von der Seite an, der Ton ist etwas strenger, auch wenn sie kaum Deutsch können. Meist geht es darum, dass sie etwas ihrer Meinung nach Ehrenrühriges tun sollen. ‚Ja, warum soll denn ich den Boden fegen?‘ oder ‚Wieso soll ich denn das Handy wegpacken?‘ Man kann das ja auf verschiedene Arten sagen. Aber so geht es gar nicht. Da muss ich dann den Chef raushängen lassen. Ich sage zum Beispiel: ‚Pass auf, ich habe hier das Sagen und du packst jetzt das Telefon weg. Sofort!‘ Und das unterstreiche ich durch einen strengen Blickkontakt … den halte ich so was von aus! Und sie kriegen das dann hin.“ Sie lacht.

„Irgendwann ist er dann weichgespült und so was von süß und charmant, wie ausgewechselt. Aber es gibt auch politische Konflikte. Wir haben einen Jungen, der kommt aus Albanien und hat eine erstaunliche Weltanschauung … Man kann sie kurz so zusammenfassen: Albanien ist das beste Land überhaupt, Albaner wissen auf allen Gebieten über absolut alles Bescheid. Alles, was nicht albanisch ist, ist schlecht und schlechter. Dieser Junge ist sehr gebildet, mathematisch gut, in Englisch hervorragend, sein Allgemeinwissen ist wirklich gut, aber ansonsten hat er engstirnige Denkweisen. Es ging so weit, dass er ein Mädchen aus Griechenland derartig kränkte, dass sie wirklich fast in Tränen ausbrach. Er sagte immer wieder: ‚Ihr Griechen, ihr pumpt ja immer nur die EU an!‘ Oder er hat seine Mitschüler in Englisch korrigiert, sogar die Englischlehrerin, was ja wirklich nicht geht.

Ich habe mich dann entschlossen, als seine Klassenlehrerin mal sehr ernst mit ihm zu reden. Ich habe herausgefunden, dass er einige Jahre in Italien gelebt hatte. Dann habe ich ihn einfach mal in Italienisch auf den Pott gesetzt. Drei ernste Gespräche und wir hatten ihn! Ich habe ihm gesagt, was sein Job hier ist. Sein Job ist nicht, Lehrer zu sein, sondern Schüler, und als solcher hat er zuzuhören, Vokabeln zu lernen, Grammatik, Hausaufgaben zu machen. Inzwischen geht es ganz gut. Aber jetzt haben wir ganz aktuell und noch nicht gelöst, ein anderes Problem. Besser gesagt, eine Situation: Ich spreche jetzt exklusiv von Jungs aus Syrien, manche sind jesidische Kurden. Und dann gibt es Jungs, die sind nicht kurdisch, nicht jesidisch, sondern muslimisch, auch eines der Mädchen. Wir haben sogar ein syrisches Mädchen, das ist christlich. Ja, Wir haben auch Mädchen, tolle Mädchen.

Also die Religionszugehörigkeit war bis jetzt überhaupt kein Problem, es störte niemanden, interessierte niemanden. Jeder hatte sein Gepflogenheiten und die wurden von allen akzeptiert. Dann kam ein Junge zu uns im Januar. Er ist jesidisch, sehr schlau, sehr ehrgeizig, sehr sympathisch und klug. Aber aufgrund seiner Erlebnisse in Syrien, in Nordsyrien, also in Kurdistan, ist er leidenschaftlich politisiert. Wenn aber politische Konflikte in die Klasse eindringen, wenn es auf einmal Lager gibt und das dazugehörige Lagerdenken, dann geht das nicht, dann endet so etwas nicht gut. Das weiß ich. Ich kenne das bereits aus der Volkshochschule. Wir sind jetzt dabei, mit ihm zu reden, es genau zu beobachten. Noch ist alles nicht so schlimm, aber es verändert sich bereits die Atmosphäre. Er fühlt sich damit zwar auch nicht wohl, macht aber weiter. Möglicherweise ist er so verunsichert, dass er sich nur durch sein starkes Auftreten etwas sicherer fühlt. Aber das geht natürlich nicht und darf keine Entschuldigung sein. Kein Grund, andere zu beleidigen, indem er zum Beispiel sagt: ‚Rührt diesen Apfelsaft nicht an, das gehört uns, das ist eine kurdische Flasche!‘ Oder dass er das Bilden einer kurdischen Ecke betreibt, das geht einfach nicht. Und wenn das zum siebten oder zehnten Mal passiert, dann ist das kein Spaß mehr. Und das ist passiert. Auch jetzt, während der Klassenfahrt! Wo wir doch eigentlich so eng und intensiv zusammen sind.

Da muss ich natürlich einschreiten. Das Traurige aus meiner Sicht ist, wenn man über andere Themen mit ihm spricht, ist er so toll, so souverän und aufmerksam. Er ist hilfsbereit, witzig, freundlich, offen, extrovertiert. Nur wenn es um seine Biografie geht, um seine Politisierung, dann ist er ganz anders. Wir sprechen mit ihm darüber und in kleinen Gruppen, versuchen klar zu machen, dass wir alle keine Schuld haben an seinen Erfahrungen und dass wir aber ebenso wenig solche schwerwiegenden politischen Konflikte in der Klasse lösen können. Schön wäre es! Dann wären sie schon beigelegt. Aber so ist es eben nicht. Wir können diese Konflikte nicht hier in der Klasse austragen. Unsere Sorge ist nun, dass, wenn er in die nächsthöhere Stufe wechselt, sich die Probleme automatisch verhärten werden. An unserer Schule gibt es nämlich viele Schüler aus türkischstämmigen Familien. Wir müssen da unbedingt rechtzeitig gegensteuern.

„Ist jemand von euch mit dem Boot angekommen?“

Zum Glück sind die Schüler sehr offen zu uns, zum großen Teil. Wir wissen viel von ihnen, aber nicht alles über jeden Einzelnen. Vor ein paar Wochen gab es in der Kunsthalle Bremen so ein Projekt zum Thema. Gleich am Eingang gab es ein Fernsehgerät, das als Dauerschleife ein Boot zeigte, das an einem Anker hängt. Und irgendwie ist die Verlängerung aus diesem Bild die authentische Situation. Wir standen davor und schauten es an und die Kunstpädagogin, die uns begleitete, sagte: ‚Ja – wie geht es euch denn damit?‘ Und irgend jemand sagte: ‚Es geht so. Es ist gar nicht so schlimm.‘ Sie fragte: ‚Ist vielleicht jemand von euch mit dem Boot angekommen?‘ Und jemand sagte cool: ‚Wir sind doch fast alle mit dem Boot gekommen!‘ Einige sind auch über den Landweg gekommen. Aber das Boot ist wohl nach wie vor das übliche Fluchtmittel. Einer erzählte mir: ‚Frau Huhnholt, ich habe es dreimal versucht, zweimal ist das Boot kaputtgegangen und wir mussten umdrehen. Beim dritten Mal hat es geklappt. Angst hatte ich nicht, ich kann schwimmen. Deshalb haben sie mir ein Baby in den Arm gegeben von einer Familie, die alle nicht schwimmen konnten.‘ Er hat mir das ziemlich unbeschwert erzählt.

Das hat mich schockiert, sie sind ja noch relativ jung und bräuchten eigentlich noch die Eltern, die Familie. Ach, es gibt so viele Flüchtlingsschicksale … Wir haben einen Jungen – ein Einzelkind –, der lebte allein mit seiner Mutter in Syrien, die Eltern waren getrennt. Eines Tages sind die beiden nach Ägypten geflüchtet, dort war er in einer internationalen Schule und zuvor in Syrien in einer British School. Die Mutter war schwer an Krebs erkrankt und sie waren sehr eng zusammen, aber sie hat ihm zugeredet, nach Deutschland zu gehen. Er ist allein gekommen, hat wunderbare Umgangsformen, ist sehr selbstständig. Im Juni, da war er vier Monate bei uns, hat er bereits sehr auf seine Mutter gewartet, er sagte, sie käme in 14 Tagen. Das hat er ein Jahr lang erzählt. Unlängst ist die Mutter dann tatsächlich gekommen, und sie will bleiben. Wir haben uns alle sehr gefreut.

Bremen refugee accommodation.jpg

Erst Container, dann in Übergangseinrichtungen

Quelle   :   TAZ    >>>>>   weiterlesen

——————————————————————————————————————————–

Grafikquellen    :

Oben   —  „Bremer Stadtmusikanten“, Bremen, June 2004. Photo by Magnus Manske.

This file is licensed under the Creative Commons Attribution 1.0 Generic license.

—————————————————————————–

Mitte  —  Willkommenssäule bei einem Flüchtlingswohnheim in Bremen-Osterholz

———————————————————————————

Unten   —   Makeshift housing for refugees at a suburb of Bremen (Oslebshausen), Germany

 

Kommentar schreiben

XHTML: Sie können diese Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>